Augsburger „Heilig-Kreuz-Spiel“

„Ihr wollt Christen sein?“

AUGSBURG – „Halt! Kopf abschlagen? Das will doch keiner sehen!“, ruft die Moderatorin mitten ins Gemetzel zwischen Heiden und Christen. „Das war damals aber eine übliche Methode“, gibt ihr Kollege zu bedenken. Mit solchen Einwürfen wird der Zuschauer bei der Aufführung des „Heilig-Kreuz-Spiels“ in der katholischen Augsburger Heilig-Kreuz-Kirche konfrontiert.

Es war eine Premiere, vielleicht sogar eine „Welturaufführung“: Nach gut 500 Jahren wurde das Augsburger Heilig-Kreuz-Spiel, ein mittelalterliches Mysterienspiel, vom s’Ensemble-Amateurtheater erstmals in der Neuzeit aufgeführt. 

Mittelalterliche Mysterienspiele wie das um 1500 entstandene Heilig-Kreuz-Spiel sollten neben der Liturgie allen Gläubigen den Gehalt eines religiösen Festes, hier die „Kreuz­auffindung“, veranschaulichen. In der Neuadaption unter Regie von Daniela Nering und beraten von Klaus Wolf, Professor für Deutsche Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, wurden durch zwei Erzähler Elemente des epischen Theaters eingefügt. Ein guter Einfall der Regie! So wird die komplexe Handlung, die auch aktuelle Bezüge enthält, für das heutige Publikum verständlich.

Fast ohne Requisiten und Kostüme – die Darsteller tragen lediglich schwarz-weiße Kutten und haben Zeichen ihrer Religions­zugehörigkeit umgehängt – geht es ins Jahr 312. Kaiser Konstantin I. hat in der berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke unter dem Christuszeichen gesiegt. 

Das Stück versetzt die Handlung jedoch ins Spätmittelalter, in die Zeit der Expansion des Osmanischen Reichs. Hier will Konstantins Gegner statt des Tibers, wie es einst in der Antike geschah, die Donau überschreiten. In das Stück ist außerdem die Legende der Kreuzauffindung durch Konstantins Mutter Helena eingearbeitet. Dazu entlehnt das Mysterienspiel zahlreiche Motive aus Jacobus de Voragines „Legenda Aurea“.

„Judas, Kevin der Antike“

In Jerusalem wollen die Juden, vor allem Judas, Kaiserin Helena nicht preisgeben, wo sich das Kreuz befindet. Dass die Zuhörer beim Namen Judas automatisch an den Verräter denken könnten, greifen die epischen Erzähler durchaus humoristisch auf. „Judas? Etwa der Judas?“ – „Nein, nicht Judas Is­kariot. Dieser hier ist Judas Qui­riacus. Bei den Juden war ‚Judas‘ ein gebräuchlicher Name.“ – „Ah, der Kevin der Antike!“

Nach Folter und Haft im Hungerturm, wo er „fasten und lange rasten“ soll, gibt Judas sich geschlagen. „Und ihr wollt Christen sein?“, fragen die Erzähler kritisch. Amüsiert reagieren sie darauf, dass Judas drei Kreuze statt eines zeigt: „Drei Kreuze und eine Leiche? Das ist ja wie bei Indiana Jones und dem Heiligen Gral!“ Das Kreuz wird sich als das Richtige erweisen, bei dessen Berührung ein Toter in Gotteslob ausbricht. Schließlich wird Judas bekehrt und damit endet der erste Teil des Stücks. 

Der zweite spielt 300 Jahre später. Perserkönig Chosroes II. hat das Kreuz geraubt, Kaiser Hera­klius wird es 630 nach Jerusalem zurückbringen. Um des Kreuzes willen verbünden sich im Spiel Juden und Christen gegen die Moslems. „Was tut man nicht alles für ein heiliges Kreuz?“, kommentieren die Erzähler. Es folgen unübersichtliches Gemetzel und christliche Bekehrungsversuche. Auch der Teufel beteiligt sich. Trotz aller Einwände der Erzähler werden Köpfe abgeschlagen.

Der Gruppe des s’Ensemble-­Theaters gelingt es, die Figuren authentisch zu verkörpern. Das minimalistische Bühnenbild, einzig durch Licht- und Soundeffekte in Szene gesetzt, schafft eine packende Atmos­phäre. Die lockeren und gerade deshalb nachdenklich machenden Kommentare der Erzähler greifen genau an Stellen ein, an denen sich die Zuschauer von heute Fragen stellen. So gibt das Mysterienspiel einen Einblick in immer aktuelle politische Denkmuster. In ihnen müssen Andersgläubige bekämpft und bekehrt werden.

Lydia Schwab

Hinweis: 

Im Juli findet auf der Westchorbühne von St. Moritz eine weitere Aufführung statt.

10.04.2019 - Bistum , Theater