Malteser reagieren mit angepassten Angeboten auf die Corona-Pandemie

„Menschen brauchen Menschen“

AUGSBURG – Ohne Hilfsorganisationen wäre die Corona-Krise weitaus drastischer ausgefallen. Die Malteser und ihre ehrenamtlichen Helfer haben ihre Angebote angepasst, um den Menschen auch in dieser Situation zu helfen. Alexander Pereira, Diözesan- und Bezirksgeschäftsführer der Malteser Augsburg, äußerst sich dazu im Interview:

Herr Pereira, Wohlfahrtsorganisationen engagieren sich auf vielfältige Weise: die Malteser im Bistum Augsburg beispielsweise im Rettungsdienst und Katastrophenschutz, in der Senioren- und Demenzarbeit, in der Arbeit mit beeinträchtigten Menschen, im Bereich Ausbildungen – außerdem für Kinder und Jugendliche sowie in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit. Was ist die Triebfeder Ihres Engagements?

Unser Leitsatz lautet seit fast 1000 Jahren: „Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen“. Damals haben wir Menschen auf Pilgerwallfahrten betreut. In diesen Zeiten versorgen wir Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder betreuen – wie im aktuellen Fall – Impfzentren. Wir sehen die Bedürftigkeit der Menschen. Und diese wird coronabedingt vermutlich in Zukunft steigen.

„ … weil Nähe zählt“ ist das Motto der Malteser. In der Corona-Krise heißt es jedoch: Abstand halten. Wie hat sich das im letzten Jahr auf die Angebote der Malteser ausgewirkt?

Die Vereinsamung – insbesondere von Menschen im Alter – war bereits vor der Krise ein Problem. Mit unseren Besuchs- und Begleitdiensten haben wir schon vor Corona dafür gesorgt, von Einsamkeit betroffene Menschen regelmäßig aus ihrer Isolation zu holen. 

Die Corona-Pandemie hat dieses Problem aber verstärkt. Viele Menschen haben sich komplett zurückgezogen, weil sie niemanden treffen durften oder nicht wollten. Menschen, die alleine leben, vereinsamen noch mehr, insbesondere wenn sie digital nicht gut aufgestellt sind. Für uns ist es in dieser Situation vor allem wichtig, die Menschen nicht zu vergessen – und auch selbst den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern neue Angebote zu entwickeln oder bestehende an die neue Situation anzupassen.

Welche Projekte gegen Einsamkeit haben sich aus der aktuellen Situation heraus entwickelt? Und können digitale Angebote von Hilfsorganisationen in Zukunft ein persönliches Miteinander ersetzen?

Wir haben Angebote angepasst, um den Menschen trotz Krise näherzukommen und helfen zu können. Zum einen haben wir Einkaufshilfen fest integriert – für Menschen, die aufgrund der Krise nicht einkaufen gehen wollten oder konnten. Zum anderen sind wir beispielsweise am Thema digitaler Besuchsdienst dran und möchten ältere Menschen mit der nötigen Ausrüstung wie Tablets ausstatten und schulen, damit sie trotz des Alleinseins mit Familien, mit Freunden oder mit uns Kontakt aufnehmen können. Trotz moderner Kommunikationswege ist in dieser Krise aber sehr deutlich geworden, dass Menschen andere Menschen brauchen. 

Auch ein digitaler Besuchsdienst kann Besuche, Treffen und den direkten Austausch nicht ersetzen. Er kann aber eine gute Ergänzung sein – und er kann unter Umständen die Hürde, Kontakt aufzunehmen und um Hilfe zu bitten, nachhaltig kleiner werden lassen. Denn für viele Menschen ist es auf digitalem Wege einfacher, offen zu reden. So wird nach der Krise ein wichtiger Aspekt für uns sein, auf digitale Möglichkeiten auszuweichen, wenn der persönliche Kontakt nicht oder nur schwer möglich ist.

Wie haben sich Ihre Angebote während der Corona-Krise verändert – und wie verändern Sie sich als Hilfsorganisation? 

In Schrobenhausen findet zum Beispiel regelmäßig das Literatur-Café für Senioren statt. Diese Lesungen werden nun per Post zugeschickt und digital angeboten – und eröffnen wiederum ganz neue Möglichkeiten, da Menschen von überall aus dabei sein können. Auch im Bereich Ausbildungen haben wir festgestellt: Wenn wir digitale Kurse anbieten, müssen die Teilnehmer ja nicht nur aus Augsburg kommen. Zuvor haben wir für jede Dienststelle sehr lokal gedacht. Nun ist uns als Hilfsorganisation bewusst geworden, dass wir in vielen Punkten neu denken müssen. Die Corona-Pandemie ist für uns also auch eine Chance, zu reflektieren und uns zu fragen: Was können wir? Wo wollen wir hin? Und worin entwickeln wir uns weiter oder gänzlich neu?

Die Corona-Pandemie kann also durchaus positive Entwicklungen anstoßen. Doch es gibt ja meist eine Schattenseite: Welche negativen Auswirkungen hat die Krise?

Unsere Grundwurzel ist das Ehrenamt. Und hier wissen wir tatsächlich noch nicht, wie wir aus der Krise herauskommen werden. Denn sämtliche Begleitung, Betreuung und Schulung von Ehrenamtlichen ist gänzlich eingebrochen. Abendliche Treffen, Sitzungen oder Übungen sind ausgefallen. Viele Ehrenamtliche haben sich bei uns engagiert, weil sie Teil einer Gemeinschaft sein und sich einbringen wollten. Sie wollten und wollen Menschen in Not helfen. 

Zwar haben wir auf digitale Treffen und Weiterbildungsmaßnahmen umgestellt, doch das ersetzt nicht den persönlichen Austausch. Der größte Gemeinschaftsdienst war unser Sanitätsdienst: Im Rahmen dessen sind unsere Ehrenamtlichen vor der Krise zu Veranstaltungen wie Konzerte und Straßenfeste gefahren. Nun hatten wir den längsten Katastrophenfall, der je ausgerufen wurde. Mit der Krise ist dieser Ehrenamtsbereich zeitweise komplett zum Erliegen gekommen. Nichtsdestotrotz sind viele ehrenamtliche Helfer dazugekommen. 

Darüber hinaus haben unsere bestehenden Ehrenamtlichen in den einzelnen Bereichen ihr Engagement den Bedingungen angepasst – etwa durch digitale Schulungsmöglichkeiten im Erste-Hilfe-Bereich und Fortbildungen in der Notfallvorsorge für die Ehrenamtlichen.

Gab es noch weitere Angebote, die in der Krise auf Eis gelegt werden mussten? Und welche Folgen hatte das?

Unsere Tagesbetreuung MalTa für Menschen mit Demenz und die Arbeit mit beeinträchtigten Menschen in Steppach mussten ebenfalls schließen. Das war besonders dramatisch, denn Auswirkungen der Krise trafen damit vor allem Familien und Menschen, die per se schon große Sorgen haben und oft an ihre psychischen Grenzen stoßen. Durch das Schließen der Tageseinrichtung mussten sie ihre Angehörigen zu Hause selber betreuen. Das kann beispielsweise bei Menschen mit Demenz, die aggressives Verhalten zeigen, zu dramatischen Situationen führen. In solchen Fällen haben wir – sobald es ging – auf eine 1:1-Betreuung gesetzt, um die Menschen zu entlasten. 

Auch bei unserem Kinder- und Jugendhospiz waren die Folgen schwerwiegend, da die Familien noch isolierter waren, als sie ohnehin schon sind – aus Angst um ihre unheilbar erkrankten Kinder oder Familienangehörigen. Mit diesen Familien haben wir einen sehr engen telefonischen Kontakt aufrechterhalten. In Notfällen sind wir aber dennoch hingefahren – natürlich mit Schutzkleidung. Hier haben unsere Mitarbeiter bewusst entschieden, das Risiko einzugehen, um den Menschen zu helfen. Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie hoch der persönliche Einsatz war und wie sich viele sich über die Maßen engagiert haben.

Wie hat sich die Zusammenarbeit der Mitarbeiter innerhalb Ihrer Organisation durch die Krise verändert?

Unsere Mitarbeiter hatten die Option, im Home Office zu arbeiten. Viele wollten aber weiterhin ins Büro kommen. Schließlich ist während der Krise bei uns viel passiert, und wir hatten deutlich mehr zu tun: Angebote wurden immer wieder runter- und raufgefahren. Wir mussten viele Absprachen mit Klienten, Ehrenamtlichen oder der Presse treffen und oft sehr schnell reagieren. Wir haben zum Glück genügend Platz im Gebäude und uns an alle Regeln gehalten – so haben wir bis heute keine Ansteckungen im Haus gehabt.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Hilfsorganisationen als Unternehmen aus?

Zu Beginn der Pandemie hatten wir große Sorgen. Wir sind, um unsere Mitarbeiter zu halten und Angebote aufrechtzuerhalten, auf unsere Mitgliedschaften und Spenden angewiesen. Wenn wir keine neuen Mitglieder gewinnen und bestehende Mitglieder durch finanzielle Notlagen ihre Mitgliedschaften kündigen, dann wäre das für uns der finanzielle Zusammenbruch. Tatsächlich haben wir es geschafft – trotz finanzieller Schieflage –, bis jetzt durch die Krise zu kommen. 

Schließlich ist uns, unseren Mitgliedern sowie auch Mitarbeitern und Ehrenamtlichen bewusst, dass es Hilfsorganisationen braucht, um für jene Menschen zu sorgen, die die Krise am härtesten trifft. So war und ist die Krise eine Bestätigung für uns, dass unsere Hilfe benötigt wird.

Zusätzlich kam ja auch der Aufwand durch den Aufbau der Impfzentren im Unterallgäu und in Memmingen. Welche Erfahrungen haben Sie daraus mitgenommen?

Die Betreuung der Impfzentren und auch der Testzentren werden kein langfristiges Angebot der Malteser sein. Sie mussten aufgebaut werden – und wir sind da, wenn wir gebraucht werden. Das war in erster Linie viel Aufwand: Wir mussten neue Strukturen schaffen und 150 Mitarbeiter in kurzer Zeit einstellen. Aber wir sind krisenerfahren und dadurch diesen Aufgaben gewachsen.

Wie blicken Sie auf die Zeit nach der Krise? Und wie können Hilfsorganisationen die Folgen der Krise auffangen?

Was genau die Krise alles bewirkt hat, wird sich erst noch zeigen. Aber die Malteser werden definitiv neue Angebote entwickeln oder ausbauen, um die Folgen aufzufangen – und zwar für alle, die Hilfe benötigen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren in Augsburg besonders auf die Themen Altersarmut und Einsamkeit im Alter konzentriert. Und die Armut wird vermutlich steigen – so, wie auch die Isolation mit ihren psychosozialen Auswirkungen zunehmen wird. Damit kümmern wir uns um einen bestimmten Bereich in Ergänzung mit den anderen Hilfsorganisationen in Augsburg. Aber wir möchten auch die Jugend nicht vergessen. In unserer Geschäftsstelle werden wir nach der Krise die Jugendarbeit ausbauen: Sobald es geht, wollen wir spezielle Angebote schaffen, um Jugendliche anzusprechen und für die Hilfe am Menschen zu begeistern.

Eine kleine Geschichte aus der Krise zum Abschluss? 

Ein Beispiel zeigt sehr deutlich, inwiefern die Krise auch Menschen zusammenbringen kann: Eine ältere Dame, die den Besuchs- und Begleitdienst der Malteser in Anspruch genommen hat, freut sich nun über den Kontakt zu zwei Ehrenamtlichen. Die beiden haben sich angefreundet und sorgen nun im Wechsel für die Frau, übernehmen Aufgaben im Haushalt und kaufen für sie ein. Mit der Malteser-Rikscha kann sie Ausflüge an jene Orte machen, wo sie selbst nicht mehr hinkommt. Auf diese Weise entstand ein tolles Miteinander – und alle drei freuen sich über die Unterstützung und freundschaftliche Betreuung. 

Interview: Julia Kiefer