Schneekugeln

Kleiner Kosmos unter Kunstglas

KAUFBEUREN – Seit 1954 produziert die Firma Walter & Prediger im Allgäu Schneekugeln. Die Zauberwelten im Kunststoffgehäuse erfordern viel Handarbeit, und kommen längst nicht immer nur winterlich daher.

„Es ist schon irre, was man mit etwas Farbe, winzigen Bildchen und deren Positionierung erzeugen kann. Einen ganzen kleinen Kosmos“, sagt Hans Walter. Dann greift er sich einen solchen Kosmos, eine winterprächtige Berglandschaft, schüttelt ihn kräftig. Und plötzlich ist er da, dieser Moment von Gebanntheit und Traumseligkeit. Walter liefert dafür eine Erklärung: „Pfui Schnee – das sagt doch keiner. Schnee macht alle friedlich.“

Der 66-Jährige ist Chef der Firma Walter & Prediger, eines Herstellers von Spielzeug, Souvenirs und Dekoartikeln im Kaufbeurer Stadtteil Neugablonz. Das Unternehmen mit seinen 20 Mitarbeitern fabriziert Schneekugeln, ein Produkt, das in Deutschland nur noch an einem anderen Ort gefertigt wird. 

In Neugablonz entsteht sie in immer wieder neuer Optik. Sie zeigt Naturidylle, Stadtansichten und Straßenszenen, alles stets heimelig. Doch nicht immer steckt Schnee in dem Oval, statt lieblich geht’s auch mal lustig zu, berichtet Walter: „Wir haben für die Schweizer Post schon Briefe stöbern lassen, Buchstaben für das Mainzer Gutenberg-Museum und Geldscheine für eine Wallstreet-Ausgabe.“

Erfunden worden sei die Schneekugel wohl im 19. Jahrhundert in Frankreich, ergänzt der Firmenchef.Walter & Prediger habe die erste 1954 herausgebracht. „Mein Vater Otto reagierte damit auf den Warenhunger in der Zeit des Wiederaufbaus, besonders auf das Bedürfnis der wachsenden Zahl von Touristen, aus dem Urlaub ein Souvenir mitzubringen.“

Wie früher steckt in der Produktion einer Schneekugel noch heute viel Handwerk. Sie beginnt aber maschinell: mit dem Herstellen der Figurenformen. Rund 3000 alte Stahlplatten mit eingravierten Motiven besitzt das Unternehmen, neue Vorlagen entstehen digitaltechnisch. Das Muster wird dann in eine Spritzgussmaschine eingesetzt. „In die fülle ich Kunststoffgranulat“, erklärt Mitarbeiter Harald Wolf (49). Er spricht laut, denn in der Werkstatt dröhnt es arg. „Das Granulat wird auf etwa 110 Grad erhitzt und dadurch zähflüssig. So wird’s in die Form gespritzt, das Ganze kühlt aus, und fertig ist der Rohling.“ 

Dieser kommt zu Christiane Albrecht (55). Die Malerin verpasst dem weißen Stück Plastik einen Anstrich. Mit zarten Pinseln verziert sie mit wimpernfeinen Strichen Figuren, die kaum so groß sind wie ein kleiner Finger. „Manchmal brauche ich eine Lupe“, sagt sie und tunkt ihr Utensil in Lösungsmittel. „Das verdünnt die Farbe, so dass sie auch in Rillen läuft. Hier etwa in das Fell am Rentierhals, das gewinnt dadurch an Tiefenwirkung.“ Das Tier steht vor einem Hintergrund aus verschnei­ten Bäumen im Mondenschein. 

Genauso wie das aussieht, riecht es an Albrechts Arbeitsplatz auch: süßlich. Dem Lösungsmittel sei Dank und dem Klebstoff von Al­brechts Kollegin Ayla Esen (50). Sie hat den Hintergrund ausgedruckt und ausgestanzt, das Papier wasserdicht eingeschweißt und schließlich hinter die Figur auf den Kugelboden gepappt. „Der Kleber muss trocknen, dann kommt die Haube drüber, die wie die Figur aus der Spritzgussmaschine stammt“, erklärt sie. 

Danach bewässert Nebiye Aydogdu (49) die Kugel, indem sie einen dünnen Schlauch in ein Loch in deren Boden steckt. „Die Flüssigkeit ist destilliert, damit sie nicht gammelt“, erläutert Aydogdu. Dann greift sie zu einer Art Spritzpistole und flößt der Kugel Schnee aus Mini-Kunststoffpartikeln ein. „Das Ganze bleibt über Nacht stehen, damit die Luft sich oben sammelt. Am nächsten Tag gieße ich etwas Wasser nach, damit die Bläschen entweichen. Stöpsel drauf und fertig.“

Nostalgisches Mitbringsel

Und wer ersteht die Schneekugel dann? „Wir produzieren pro Jahr gut 100 000 Stück“, antwortet Hans Walter. „Gut zwei Drittel davon verkaufen wir in Deutschland, den Rest ins Ausland, bis nach Amerika und Japan.“ Das Gros diene wohl als nostalgisches Mitbringsel, zudem verteilten viele Unternehmen die Kugeln als Kunden- und Werbe­geschenke, darunter Facebook, Milka und die Postbank.

„Von den Kugeln allein könnten wir nicht leben“, meint Walter. Insgesamt aber sei der Absatz zufriedenstellend, trotz der Billigkonkurrenz aus Fernost. Und trotz vieler Kritiker, die meinten, die Kugeln seien bloß Kitsch. „Sind sie auch – aber der Mensch braucht so was.“ Mancher offenbar sehr: Es gibt Sammler, die Hunderte und Tausende dieser Objekte horten. Kult ist die Schneekugel folglich ebenfalls. Und außerdem im Wandel: „Wir planen beleuchtete Exemplare“, verrät Walter. In Neugablonz arbeitet man also weiterhin am Schnee von morgen.

Christopher Beschnitt

24.01.2019 - Bistum Augsburg