Bischof Bertram vor einem Jahr geweiht

„Neue Wege erkunden“

AUGSBURG – Festprediger und Konsekrator Reinhard Marx forderte vom Augsburger Bischof „eine Kirche, die nicht starr stehen bleibt, sondern die in dynamischer Bewegung das Reich Gottes verwirklicht“: Dass war vor genau einem Jahr, am 6. Juni. Nach wochenlanger, Corona-bedingter Zwangspause konnte im Dom endlich die Weihe des neuen Oberhirten erfolgen – vor nur 180 Teilnehmern, aber Zigtausenden daheim an den Fernsehern. Im Exklusivinterview unserer Zeitung blickt Bischof Bertram zurück.

Die von Kardinal Marx geforderte Dynamik haben Sie in diesem ersten Jahr ihres bischöflichen Dienstes vorgelebt und in einem großen Tempo viele Veränderungen durchgezogen. Wird das in den nächsten Jahren so weitergehen?

Vieles hängt von den Entwicklungen ab, die auf Kirche(n) und Gesellschaft warten. Wer gestalten will, darf nicht zuschauen. Im Wort Dynamik steckt viel drin. Da klingt Geschwindigkeit mit. Zwar meine ich, dass ich bei Fragestellungen durchaus zuwarte und beobachte, wie sich die Dinge entwickeln. Aber dann handle, entscheide ich auch. Als Student bei Jesuiten ist mir die Vorgehensweise des Papstes Franziskus sehr sympathisch. Er geht zunächst in einen Prozess der Unterscheidung, bis der Zeitpunkt gekommen ist, verantwortet zu entscheiden. Das habe ich in meinem ersten Amtsjahr auch versucht. So wurde bei den getroffenen Entscheidungen vielleicht zunächst das vermeintliche Tempo wahrgenommen, doch die Weichenstellungen beziehungsweise Neujustierungen sind keine Spontanaktionen. Sie sind gewachsen. Bei Dynamik schwingt auch Kraft und Mut mit. Ich möchte weit denken und mutig handeln – und dabei viele mitnehmen!

Was war Ihre größte Ernüchterung, die Sie in Ihrem ersten Amtsjahr verspürt haben?

Dass wir oft im Guten verhärtet sind. Corona wird uns helfen, ja sogar zwingen, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu erkunden, kurz: innovativ zu sein. Manchmal denke ich: Wir Deutsche sind stark im Organisieren, doch wie steht es ums Improvisieren in der Krise? Da sind uns zum Beispiel die Italiener weit voraus. Praktisch gefragt: Seit Monaten sind wir dabei, präzise Schutz- und Hygienekonzepte zu „zelebrieren“, doch gelingt es uns, in der Pandemie Gottesdienste wirklich zu feiern? Was wir uns mit dem II. Vatikanischen Konzil mühsam erarbeitet haben, müssen wir nach Corona wiedergewinnen. Mancher „Rückfall“ in die vorkonziliare Zeit hat mich schon ernüchtert. 

Was zählen Sie zu den schönsten Erfahrungen, die sie in dieser Zeit machen durften?

Viele Menschen sagen oder schreiben mir, dass sie für mich beten. Das tut gut. Denn wenn ich als Bischof Diener der Einheit sein soll, stelle ich immer wieder fest, wie schwer es ist, in der Mitte zu bleiben. Mitte heißt für mich nicht Mittelmäßigkeit, sondern Verwurzelt-Sein in einer Mitte, die Person ist mit einer profilierten, aber nicht polarisierenden Botschaft. Konkret: Aus der Mitte möchte ich zur Mitte führen – und die heißt Jesus Christus. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir uns weniger mit dieser Mitte beschäftigen und uns lieber in Flügelkämpfen verausgaben. So freue ich mich, wenn Menschen in mir den Bruder und auch den Begleiter zur Mitte sehen.

Haben Sie sich die Arbeitsbelastung so vorgestellt? Oder ist Ihr Terminkalender noch voller, als Sie jemals gedacht haben?

Ich habe mir das schon in etwa so vorgestellt. Ich bin gern unter Menschen. Und ich habe Freude am Bischofsamt. Ein Bischof ist kein Eremit. Dass ich beim dichten Terminplan immer wieder auch Raum finde für mich selbst und die innere Einkehr, darüber wacht Sr. Anna, meine Amtsleiterin, mit ihrer regelmäßigen Abkürzung im Kalender: „ZfBuG“. Das heißt: Zeit für Bertram und Gott. Und Sr. Dominika, die im Bischofshaus für das leibliche Wohl zuständig ist, sorgt dafür, dass es dem Menschen Bertram Meier gut geht und er das Lachen nicht verlernt. Das ist die halbe Miete…

Die Impfkampagne nimmt an Fahrt auf. Die Zeichen deuten darauf hin, dass man die Pandemie in den Griff bekommt. Wie werden Sie mit den Diözesanen Gott danken, wenn Corona endlich überwunden ist?

Ich träume davon, dass wir an einem Wallfahrtsort unseres Bistums einen Dankgottesdienst feiern. Aber nicht nur zentrale Events sind wichtig. Noch wichtiger wird sein, dass wir auch in den kleinen Einheiten unserer Pfarreien, Pfarreiengemeinschaften und Dekanate Gott von Herzen danken. Da können die persönlichen Anliegen, Gefühle und Gedanken noch besser einfließen. Auch in den Familien, Wohnungen und Häusern sollte das Halleluja erklingen, wenn Corona überwunden ist. Ich stelle mir vor, dass wir nach langer Pause aus voller Kehle, mit brausender Orgel und vielen Instrumenten das „Großer Gott, wir loben dich“ anstimmen. Schon beim Drandenken kriege ich eine Gänsehaut. Aber das alles ist noch Zukunftsmusik. Üben wir uns in Geduld und werden wir nicht übermütig! Die Pandemie hat uns schon mehrmals gezeigt, dass sie wie ein Bumerang sein kann.

Bei Ihren Gottesdiensten fällt auf, dass Sie neben Ihren Predigten auch großen Wert auf die Qualität der liturgischen Gewänder legen. Warum ist das so?

Mir geht es nicht um eine „Modenschau“, sondern darum, dass der Gottesdienst sich vom Alltag abhebt. Liturgie ist ein Fest des Glaubens. Zum Fest gehören Farben, die Sinne sollen angesprochen werden. Wir feiern Gott, ein Fest mit ihm und für ihn! Nichts liebt der „Feiertagsteufel“ so sehr wie die Monotonie. So ist gute Liturgie klangvoll und farbenfroh. Wie der Diakon oder der Priester, so steht auch der Bischof nicht für sich, sondern für ein besonderes Amt, in das ihn die Kirche eingeweiht hat. Deshalb trägt er das Gewand – und das Gewand trägt ihn. Noch ein weiterer Gedanke dazu: Weil wir Menschen sind und keine reinen Geistwesen, muss man sich in seinem Kleid auch wohlfühlen. Daher lege ich Wert auf gepflegte und geschmackvolle Kleidung, nicht nur in der Kirche, sondern auch im alltäglichen Leben. Dabei kommt es nicht so sehr auf den materiellen Wert an, sondern auf Qualität, Ästhetik, guten Geschmack. Es muss einfach passen.

Interview: Gerhard Buck und Johannes Müller

05.06.2021 - Bischöfe , Bistum Augsburg