Orthopädin Annemarie Schraml aus Waldsassen kümmert sich seit 20 Jahren um Kinder in Tansania

„Wir haben Verantwortung füreinander“

WALDSASSEN – „Viele kleine Menschen, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ So lautet der Leitsatz von Dr. Annemarie Schraml und ihren Mitstreitern. Der beachtliche Wirkungsort ihres medizinischen Projekts „Feuerkinder“ befindet sich im Norden Tansanias. Nkoaranga – als die Orthopädin vor fast 20 Jahren das erste Mal dort war, ahnte sie nicht, was sie und ihr ärztlicher Kollege, der Anästhesist Dr. Heinz Giering, losgetreten hatten.

Der Besuch eines kleinen medizinischen Teams aus Deutschland brachte in dieser „teils unfassbar  armen“ Region einen Stein ins Rollen. Oder besser gesagt: viele kleine Steine. Fast 20 Jahre nach ihrem ersten Einsatz in Tansania kann Annemarie Schraml von vielen kleinen und großen Erfolgen berichten. „Immer wenn wir wiedergekommen, ist etwas geschehen“, berichtet die in Waldsassen lebende Ärztin. Eine Warmwasserleitung wurde im   Nkoaranga Hospital installiert, ein Wartezimmer errichtet oder nur der Trampelpfad zwischen den Gebäuden befestigt.

Ausnahmezustand

Der größte Schritt voran wird aber gemacht, wenn das Team aus Deutschland anreist. Denn dann herrscht Ausnahmezustand in Nkoaranga. Fast im Akkord wird bei Kindern und Jugendlichen behandelt, was irgendwie geht. Fehlstellungen wie O-Beine und X-Beine, Klumpfüße, nach Verbrennungen falsch zusammengewachsene Narbenkontrakturen, die dem Projekt „Feuerkinder“ seinen Namen gegeben haben: Die Liste der medizinischen Schwerpunkte des Teams beschränkt sich auf drei Punkte. Die Schlange der Wartenden ist umso länger.

Denn auch wenn längst nicht alle betroffenen Menschen in der Region erreicht werden: Die Anzahl der Patienten, die auf das Eintreffen der Ärzte warten, ist kaum zu bewältigen. Jedes Mal wieder.

Jedes Mal: Dass sie immer wieder zurückkehren, ist für Annemarie Schraml und ihre Kollegen mittlerweile Selbstverständlichkeit. Dreimal im Jahr setzt sich die in Deutschland mittlerweile pensionierte Ärztin ins Flugzeug Richtung Tansania. 

Was durch das Projekt „Feuerkinder“ im Nkoaranga Hospital aufgebaut wurde, bedeutet für viele junge Bewohner der Umgebung die Rettung. „O-Beine oder ein Klumpfuß sind zwar nicht lebensbedrohlich“, weiß Ärztin Schraml. „Aber wenn ein Kind nicht laufen kann, dann kann es nicht zur Schule gehen.“ Und Bildung sei schließlich der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben.

Für ihren Einsatz in Tansania hat Annemarie Schraml dieses Jahr die Wolfgangsmedaille des Bistums Regensburg erhalten. Dass es vor einigen Jahren bereits das Bundesverdienstkreuz gegeben hat, erwähnt die passionierte Ärztin und „Christin aus tiefster Überzeugung“ nur am Rande. 

Mehr bedeutet ihr die Dankbarkeit der Menschen in Tansania. Und Worte wie die eines evangelischen Bischofs vor Ort berühren sie. „Sie haben die Hände von Maria, die hier Gutes tut“, hat er ihr gesagt. Für Annemarie Schraml ist das die größte Auszeichnung.

Von Anfang an so geplant war die Geschichte von Annemarie Schraml und Tansania nicht. Vorgesehen war ursprünglich nur ein einmaliger Aufenthalt. „Im Jahr 2000 wurden wir gefragt, ob wir nach Tansania in eine Einrichtung für behinderte Jugendliche kommen würden“, erzählt die Ärztin von den Anfängen. Schraml arbeitete damals bei der Rummelsberger Diakonie in Nürnberg in der orthopädischen Klinik.

Die Ärztin sagte zu. In Tansania angekommen, legte sie los – und wurde bei Weitem nicht fertig. O-Beine und X-Beine durch einen zu hohen Fluoridgehalt im Trinkwasser, beeinträchtigende Narbenbildungen nach Verbrennungen an offenen Feuerstellen: All das gibt es in der Gegend um Nkoaranga häufig.

40 junge Patienten wurden in der als einmalig gedachten Aktion im Jahr 2000 operiert. An einem der letzten Tage erreichte eine Mutter mit Kind das Krankenhaus. Ob die schlimmen O-Beine des Kleinen behandelt werden könnten, war die hoffnungsvolle Frage der Frau. Annemarie Schraml musste ablehnen, aus zeitlichen Gründen und mangels geeigneter Materialien. Aber sie stellte der Mutter in Aussicht: „Beim nächsten Mal.“

Etabliertes Projekt

Von da an stand für die Orthopädin fest: Es geht weiter. Und das seit 20 Jahren. Hangelten sich die Ärzte und Krankenschwestern anfangs noch von einem zweiten zu einem dritten Mal und so weiter, ist das Projekt „Feuerkind“ heute längst etabliert. „Es kam eins zum anderen“, sagt Annemarie Schraml. Eines ist dabei aber immer gleich: „Man stößt jedes Mal an die Grenzen.“ Im Februar dieses Jahres brach die Ärztin zu ihrem 30. Einsatz innerhalb von 20 Jahren auf. 

„Die Teams der umsonst operierenden Mediziner aus Deutschland sind unterschiedlich groß. Fast immer dabei sind aber ein Narkosearzt und eine Operationsschwester, oft auch Medizinstudenten oder junge Ärzte.“ So beschreibt Annemarie Schraml das Projekt, das so richtig ins Rollen gekommen ist. Mittlerweile beteiligen sich die Helfer aus Deutschland auch an der Ausbildung von Ärzten vor Ort. Das Ziel dabei: „Dass sie irgendwann einmal alles selber machen können.“

Finanziert wird das Ganze allein durch Spendengelder. Diese trafen schon sehr bald ein, als die Oberpfälzerin Annemarie Schraml nach dem ersten Einsatz zurück in ihre Heimat kam. Auch dank der Vorträge, die die Medizinerin seitdem unermüdlich hält.

„Wir lassen uns nicht entmutigen“, hält Annemarie Schraml fest. Ihr Grundsatz lautet: „Wir haben Verantwortung füreinander. Diejenigen, die zufällig in besseren Verhältnissen leben, haben die Verantwortung, den Menschen gerade in Afrika zu helfen.“

„Viele kleine Menschen, die an vielen kleinen Orten kleine Dinge tun ...“: Die Initiative „Feuerkinder“ verändert ein bisschen das Gesicht der Welt. Susanne Wolke

07.08.2019 - Afrika , Bistum Regensburg