Bischof Bertram im Interview

Durch den Papst wurde die Knotenlöserin weltbekannt

Zum Abschluss des Marienmonats Mai „krönte“ Papst Franziskus das Gnadenbild der „Knotenlöserin“ aus der Augsburger Kirche St. Peter am Perlach. Für Bischof Bertram Meier, der zu diesem Anlass nach Rom gereist ist, war das eine „Riesenüberraschung“. Nach der Begegnung mit dem Papst sprach er mit unserer Zeitung über die Bedeutung des Bildes.

Herr Bischof, wie kam es dazu, dass das Gnadenbild aus Augsburg den Abschluss des weltweiten Gebetsmarathons bildete?

Der Vatikan ist dafür bekannt, dass er stark ist im Improvisieren und auch schnell zur Stelle im Organisieren. Ich habe hier in Rom über sieben Jahre die deutschsprachige Abteilung im Staatssekretariat geleitet und weiß das. Anfang Mai habe ich aus dem Vatikan von hoher Stelle einen Anruf bekommen, ob ich mir vorstellen kann, bei der Organisation des Schlusspunktes des Gebetsmarathons in Anwesenheit von Papst Franziskus mitzuwirken.

Es ist bekannt, dass der Papst das Gnadenbild der Knotenlöserin liebt …

Da sich das Original als Altarbild in St. Peter am Perlach, einer kleinen Kirche, befindet, haben wir in Augsburg überlegt, wie wir diese Mariendarstellung einbringen könnten. Das Ganze haben wir sehr diskret behandelt, und ich war wirklich sehr überrascht, dass alles so glatt lief. Wir haben am letzten Sonntag im Mai im Dom die letzte feierliche Maiandacht gefeiert. Da war dann ja auch schon bekannt, dass ich nach Rom fliegen würde. Wegen Corona-Bedingungen waren die Plätze natürlich limitiert, aber der ganze Dom war voll.

Was fasziniert die Gläubigen so sehr an der Darstellung der Knotenlöserin?

Das ist ein Motiv, das die Menschen von heute sehr anspricht. Es geht um Knoten im eigenen Leben. Wir alle – auch junge Leute – kennen solche Knoten.

Andererseits wurde das Gnadenbild vor allem auch durch Papst Franziskus so bekannt ...

Ja, und damit hat es ja eine wirklich globale Dimension bekommen. Das Gnadenbild ist jetzt weltweit bekannt geworden. Das war vorher zum Teil schon so, aber durch Papst Franziskus hat das besonders zugenommen.

Hatte das auch Einfluss darauf, welchen Bezug die Katholiken im Bistum Augsburg zum Papst haben?

Es ging am Anfang des Pontifikats von Franziskus schon mal das Gerücht um, er sei während seiner Studienzeit in St. Georgen bei Frankfurt einmal in Augsburg gewesen und hätte die Kirche besucht. Aber dem ist nicht so. Er selbst hat in einem Zeitungsinterview klargestellt, dass er dieses Motiv anderweitig kennengelernt hat. Und zwar hat ihm eine Ordensschwester ein Bildnis der Knotenlöserin als Weihnachtskarte geschickt, und er war von dieser Darstellung so gerührt und gleichzeitig begeistert, dass er sie in die Breite streuen wollte, vor allem unter Studenten in Buenos Aires, dann in ganz Argentinien. Ich weiß von Ordensleuten in Brasilien, dass auch dort dieses Bild ganz stark verbreitet ist.

Was bedeutet das Bild für Sie als Bischof?

Ich glaube, das ist auch für mich als Bischof eine Steilvorlage, im Herbst mit der Knotenlöserin eine pastorale Initiative zu starten. Wie in den Vatikanischen Gärten am letzten Maitag dafür gebetet wurde, die Knoten der Pandemie zu lösen, so setze ich auf einen pastoralen Neuaufbruch und möchte auch besonders die Jugend einbinden.

So wichtig mir die Anbetung und der Lobpreis sind – und die sind ganz wichtig – so soll die Jugendseelsorge doch breiter aufgestellt werden; Ähnliches gilt für die Neuevangelisierung. So habe ich diesen Bereich im Bistum umbenannt und als Abteilung innerhalb des Organigramms des Bischöflichen Ordinariats neu strukturiert. Damit will ich betonen, wie wichtig Evangelisierung ist, so wie es auch Papst Paul VI. in „Evangelii nuntiandi“ (1975) schreibt. Deshalb habe ich einen jungen Priester zum Jugendpfarrer ernannt, der Jugend- und Schulseelsorger ist. Er ist ein hervorragender Mann, der auch am Gymnasium sehr beliebt war und ist. Und ich habe einen weiteren Priester ernannt, der auch in der Pfarrei sehr angenommen wird. Diesen habe ich zum neuen Leiter der Abteilung für Evangelisierung gemacht. Er ist nicht nur im Ordinariat tätig, sondern nebenamtlich noch in einer kleinen Pfarrei.

Welche sind die Knoten, die in der Kirche in Deutschland zu lösen sind?

Ein großer Knoten liegt sicherlich darin, dass wir durch die Pandemie ausgebremst worden sind. Manches läuft glatt wie am Fließband; manches im Betrieb der Kirche in Deutschland, aber auch in Europa läuft weniger gut. Wir sind ja groß im Organisieren und im Konzeptionieren. Aber eine Kirche, die nur funktioniert, lebt nicht unbedingt geistlich. Viel ist verknotet und wir müssen schauen, dass wir die Knoten, die da sind, lösen. 

Es sind Chancen da. Ich denke beispielsweise, dass wir vermehrt auf die einzelnen Menschen zugehen und nicht nur auf digitale Formate setzen sollten. Wenn ich an Streaming-Gottesdienste denke, dann habe ich mich da nicht verschlossen, aber das kann nicht das normale Leben sein. Ich sage immer wieder: Die Kirche ist nicht so sehr ein virtueller Betrieb, sondern eine lebendige Gemeinschaft. Realpräsenz ist nicht nur ökumenisch kontroverse Theologie in der Eucharistie-Frage mit den evangelischen Christen, sondern Realpräsenz meint auch den Leib Christi als Kirche. Ich möchte, dass sich die Menschen wieder leibhaftig versammeln.

Sehen Sie das auch als einen großen Knoten für die gesamte Kirche in Deutschland?

Ja, das ist ein großer Knoten, den wir miteinander lösen müssen, und der betrifft nicht nur die Kirche in Deutschland, sondern geht weit darüber hinaus. Wir haben natürlich schon bestimmte Verknotungen: Wir haben das leidige Thema des Missbrauchs. Seit zehn Jahren sind wir damit beschäftigt, und ich glaube, die Kirche in Deutschland hat schon sehr viel getan. Ich kann aber aus eigener Erfahrung berichten: Seitdem ich Diözesanadministrator war und jetzt als Bischof tätig bin, vergeht keine Sitzung der Deutschen Bischofskonferenz, keine Vollversammlung und kein Ständiger Rat der Diözesanbischöfe, ohne dass das Thema des Missbrauchs breiten Raum einnimmt. Ich bin voll mit dabei, ich richte mich danach. 

Wir sind im Bistum Augsburg auch schon sehr weit mit der unabhängigen Aufarbeitungskommission. Vor Kurzem hat sich der Betroffenen-Beirat konstituiert. Die Betroffenen sollen in freier Form aus ihren Reihen zwei Mitglieder wählen für die unabhängige Aufarbeitungskommission.

Darüber wurde aber bisher nichts bekannt?

Das liegt daran, dass ich damit weniger Schlagzeilen machen will, sondern es leise und hinter den Kulissen aufbauen möchte. Ich hoffe, dass es mir damit gelingt, die Unabhängigkeit gut zu vermitteln, denn die unabhängigen Leute, Juristen, Psychologen, sollen keine Kirchenmitarbeiter sein. Die habe ich alle vom Justiz- und vom Sozialministerium des Freistaates Bayern approbieren lassen, und das ist ohne weiteres gegangen – ohne Schlagzeilen. Wir werden damit erst bei der konstituierenden Sitzung – noch vor der Sommerpause – an die Öffentlichkeit gehen. Auch haben wir schon einige Projekte zur Aufarbeitung. Daher glaube ich, dass wir schon einiges erreicht haben.

Glauben Sie, dass der Knoten des Missbrauchs irgendwann einmal gelöst werden wird?

Wie lange dieser Knoten noch halten wird, weiß ich nicht, aber ich sehe hier Licht am Horizont. Da wir nicht wissen, wer nach der Bundestagswahl die Protagonisten im politischen Leben sein werden, ist auch auf politischer Ebene noch einiges unklar. Es wird aber der Ruf nach einer Wahrheitskommission immer lauter. Ich sage es ganz offen: Mir ist es wichtig, nicht so sehr auf einen Befreiungsschlag zu setzen, sondern dass wir versuchen, das möglichst objektiv anzugehen und die Betroffenen im Blick zu behalten. Ohne sie gibt es keine Umkehr, keine Reform. Aber auch der Staat sollte noch mehr Verantwortung übernehmen. Das Thema betrifft ja nicht nur die Kirche. Es müssen auch andere Institutionen unter die Lupe genommen werden, also auch andere Vereinigungen und Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.

Welche?

Ich denke an Schulen aber auch an die Bereiche Kultur, Sport, Musik und so weiter. Und dann ist da noch ein dritter Knoten, der eng mit dem Missbrauch zusammenhängt und das ist die Reaktion darauf: Es geht darum, Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Das hat mit Vertrauen zu tun. Geduld ist angesagt. Auch Rückschläge wird es geben.

Sie meinen den Synodalen Weg ...

Vor zehn Jahren gab es in Deutschland den Dialogprozess und der ist, wie soll ich sagen, suboptimal zu Ende geführt worden. Es gab drei Begegnungen – ich war zum Teil selber als Vertreter unseres Bistums mit in den Gruppen, die mein Vorgänger Bischof Konrad zusammengestellt hat – aber es gab keine konkreten Ergebnisse. Und dann ist die Missbrauchskrise noch massiver geworden, und es ist die These aufgestellt worden, dass unsere Antwort auf die Missbrauchsskandale der Synodale Weg sein soll. Das halte ich für den Hauptknoten, der auch innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland sehr umstritten ist, weil die einen eben auf diese Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchsskandals setzen und die anderen sagen, wir müssen im theologischen Bereich der Evangelisierung ansetzen. Dass beides zusammenhängt und das Eine nicht ohne das Andere geht, das glaube ich, ist ein dicker Knoten, der sich selbst in der Bischofskonferenz im Moment so schnell sich nicht auflösen wird. 

Da steckt auch die Frage dahinter, wie viel doktrinelle Entwicklung sein darf und wie viel Dynamik in der Weiterentwicklung der katholischen Glaubenslehre muss sein. Ich nehme nur mal das Thema Frauen in der katholischen Kirche: Das ist so ein Punkt, an dem wir uns, denke ich, im Moment sehr reiben. Ich hoffe, dass das nicht zu einem solchen Spannungsfeld wird, dass es zu Verwerfungen kommt. Da verweise ich eben immer wieder auch auf die Ungleichzeitigkeit in der Kirche; wir müssen darauf achten, was wann und wo in der Kirche geschieht. Deshalb müssen wir versuchen, den Synodalen Weg in Deutschland in die großen synodalen Prozesse einzubetten, die sich der Papst in den Diözesen, in den Ländern, auf den Kontinenten wünscht – bis zur Welt-Bischofssynode, die er auf 2023 verschoben hat.

Wie wird denn Ihrer Meinung nach die Bischofssynode über Synodalität und der Synodale Weg in Deutschland ausgehen?

Wir müssen den Eindruck vermeiden, dass wir die Dinge verschleppen. Eine synodale Kirche ist eine geistliche Kirche. Das braucht Zeit. Wir müssen auch schauen, dass wir unsere Themen in Deutschland nicht ausbrennen, sondern in den Weg der Gesamtkirche einbetten und gut hinschauen, wo wir deutsches Sondergut haben. Ich denke da an die Bibel-Theologie. Und wir müssen uns auch fragen, wo denn so substanzielle Themen angerührt werden, die wir nicht ohne den Dialog mit der Weltkirche, die nun mal ihr Zentrum in Rom hat, weiterführen können. 

Nichts wäre schlechter, als wenn wir in Deutschland mehrheitlich etwas beschließen würden, was dann zu solchen Spannungen innerhalb der Kirche in Deutschland führen würde. Oder aber, wenn wir frisch, flott und locker vom Hocker Beschlüsse fassen, die wir dann in Rom gerade „in rebus doctrine aliis“ (in anderen Angelegenheiten der Lehre) verspielen. Dann käme unter Umständen dem Heiligen Stuhl und dem Papst die Rolle zu, die Notbremse ziehen zu müssen; das wäre fatal für die Zukunft. Das wünsche ich mir nicht.

Sie kennen ja den Vatikan gut. Welche Knoten sehen Sie hier?

Auch wenn sich die Personen ändern, auch wenn immer wieder eine Kurienreform angedacht wird: Es ist, glaube ich, ganz wichtig, dass die Kommunikation unter den Dikasterien gut läuft. Im Moment ist der Heilige Stuhl sehr stark pyramidisch aufgebaut. Jedes Dikasterium kann in Gestalt seines Präfekten oder Präsidenten in Audienzen beim Papst vorstellig werden und sozusagen von Angesicht zu Angesicht die Dinge präsentieren. 

Ich bin nicht der Lehrmeister, und es steht mir nicht zu. Aber ich glaube, dass wir bestimmte Dinge vom Vatikan erwarten können. Von den Ordinariaten und von den Ortskirchen aus nehme ich den Wunsch nach einer dialogischen Struktur, also nach mehr Kommunikation, wahr. Es wäre also schön, wenn es mehr interdikasterialen Austausch gäbe. Dann wüssten die einen von den anderen. Und es gibt ja Thematiken, die nicht nur in einer Kongregation verhandelt werden. Das glaube ich, ist ein ganz wichtiger Punkt. 

Und der zweite Punkt ist – und da muss ich selber als Bischof fragen: Warum bin ich da? Warum bin ich im Amt? Ich muss schauen, dass ich auch gleichsam einen „Fischteich“ von kompetenten Priestern, aber auch Laien anlegen kann, von denen ich – wenn ich um Vorschläge gebeten werde – sagen kann, diese oder jene Person wäre für einen Auftrag in der vatikanischen Kurie geeignet. Die entsprechende Person muss vielsprachig und auch gut vernetzt sein. 

Für mich war es halt ganz toll, dass ich in Rom studiert habe, dass ich auch eine Zeit lang an der Diplomatenakademie war, dass ich einen Lehrauftrag an der römischen Universität Gregoriana hatte, dass ich dann aber auch wieder ein paar Jahre als Pfarrer und Dekan tätig sein durfte. Es braucht Brückenbauer, und diese Brückenbauer stehen mit beiden Beinen auf der Erde, einmal in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum und mit dem anderen Bein in Rom. Natürlich machen sie hierbei breite Spagate, also von der Körperlichkeit ist es kaum möglich, aber geistig kann man auch über die Alpen hinweg Brücken bauen – und solche Leute müssen wir heranziehen. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn Mitarbeiter im Vatikan die Dinge vielleicht etwas einseitig bewerten. Es braucht Leute, die sich in der Mitte aufhalten können, ohne mittelmäßig zu sein.

Interview: Mario Galgano