Predigt zur Priesterweihe am 28. Juni 2020

Zum Priester geweiht in bewegter Zeit

„Wähle einen Beruf, den du liebst. Und du brauchst keinen Tag im Leben mehr zu arbeiten.“ So sagt eine alte Weisheit. Wenn das stimmt, dann kann ich Sie, liebe Weihekandidaten, heute nur beglückwünschen. Denn Sie haben gewählt, was Sie lieben. Das spürt man. Ja, ich durfte diesen Eindruck gewinnen, als wir miteinander gesprochen haben in den sog. Skrutinien, den Prüfungsgesprächen, die der Zulassung zur Weihe vorausgehen. Denn gerade ein neuer Bischof wie ich sollte ernst nehmen, was der hl. Paulus seinem Schüler Timotheus dringend geraten hat: „Ich beschwöre dich bei Gott, bei Christus Jesus und bei den auserwählten Engeln: (…) Lege keinem vorschnell die Hände auf und mach dich nicht mitschuldig an fremden Sünden. Bewahre dich rein!“ (1 Tim 5,21f.). Ich vertraue auf das Urteil der Ausbildungsleiter im Priesterseminar, der Heimatpfarrer und der begleitenden Seelsorger, aber auch auf die gesunde Einschätzung derer, die unsere Diakone kennen- und schätzen gelernt haben. Gern lege ich Ihnen heute die Hände auf und weihe Sie zu Priestern.

So öffnet sich mit dem heutigen Tag ein neues, hoffentlich langes Kapitel Ihrer Lebensgeschichte. Als künftige Priester ergreifen Sie einen der schönsten Berufe, die es gibt. Das sage ich nicht, weil ich an diesem Fest eine Schönwetterrede halten will. Ich tue es aus tiefer Überzeugung und vor allem aus eigener Erfahrung, denn ich habe immerhin fast 35 Dienstjahre als Priester auf dem Buckel. Und noch keinen Tag in meinem Leben habe ich es bereut, damals beim Rektor des Germanicums und bei meinem Heimatbischof die Priesterweihe erbeten zu haben. Dieses mein Bekenntnis ist mehr als nur Worte; ich will es untermauern mit dem Messgewand, das ich heute bewusst ausgewählt habe, ein Geschenk anlässlich meiner Bischofsweihe. Es stammt von Wanda Zamichiel Casaril (*1933), einer Textilkünstlerin aus Venedig. Sie hatte sich die alten Knüpftechniken der pescatori angeeignet und eine Kasel als Fischernetz geknüpft. Es wiegt nur ein paar Gramm, ist federleicht. Fast spürt sie der Träger nicht – diese Kasel, die den Spruch auslegt: „Wähle einen Beruf, den du liebst. Und du brauchst keinen Tag im Leben mehr zu arbeiten.“ Es ist keine Last, im Gegenteil: es ist eine Lust, dieses Gewand zu tragen, ins Fischernetz gleichsam eingekleidet zu sein. Das Messgewand wird zur zweiten Haut… Handwerkszeug eines Seelsorgers ist ja das Fischernetz, das ihn zugleich daran erinnert: Bevor du Menschen fangen kannst, wurdest du selbst einmal vom Herrn in Bann gezogen und ins Netz geholt: der Priester als Fisch im Netz des Herrn. Ist das nicht ein schönes, sprechendes Zeichen für alle, die mit Jesus, dem Fischer, arbeiten wollen? Im Fischernetz des Herrn sind wir ganz in unserem Element. Das wünsche ich Ihnen zu Ihrer Weihe!

Doch bei aller Freude dürfen wir heute nicht die rosarote Brille aufsetzen. Wir müssen realistisch bleiben. Denn unsere Weihekandidaten lassen sich auf eine Zukunft ein, die sie nicht kennen. Ich muss das der Ehrlichkeit halber sagen, weil die Menschenfischer heute vor dem Hintergrund öffentlicher Debatten in und außerhalb der Kirche, angesichts kritischer Anfragen an die ehelose Lebensform und die konkrete Ausgestaltung des priesterlichen Dienstes und nicht zuletzt durch den Handlungs- und Reformdruck, der auch durch die Missbrauchsdebatte aufgebaut wird, in aufgewühlter See unterwegs sind. Umso mehr danke ich Ihnen, liebe Mitbrüder, dass Sie sich in den Dienst der Kirche stellen, um das Reich Gottes voranzubringen. Ganz schön mutig – ein solcher Schritt in dieser Zeit! Zugleich freue ich mich über die Eltern und Geschwister, die Familien und Freunde, die Frauen und Männer, besonders die Jugendlichen aus den Heimatgemeinden unserer Weihekandidaten. Schön, dass Sie – wenn auch in begrenzter Zahl – hierher in den Dom kommen konnten, um die Weihe Ihres Sohnes, Bruders, Freundes, Mitstudenten oder Bekannten mitzuerleben und zu feiern. Da will ich gleich eine Bitte loswerden: Begleiten Sie unsere neuen Priester auch weiterhin nicht nur im Gebet, sondern auch mit Ihrer Nähe und Anteilnahme, mit Ihrem Wohlwollen und – wenn es sein muss – mit Ihrer konstruktiven Kritik. Wenn nach der Weihe der Neupriester noch immer gern als „hochwürdiger Herr“ tituliert wird, dann ist es wichtig, dass er bei aller Vollmacht, die er übertragen bekommt, Mensch ist und bleiben darf. Sorgen Sie dafür, dass es ihm – wenn die Primiztour vorbei ist und der Alltagsmodus beginnt - weiterhin gut geht, und wenn es einmal schwierig werden sollte, dann tragen Sie ihn bitte in seiner Lebensform mit! Wir alle brauchen Nähe und Ehrlichkeit. Das gilt im Übrigen auch für einen Bischof!

Damit sind wir mittendrin im priesterlichen Dienst, der auf Sie wartet: Maßstab und Richtschnur für den geweihten Amtsträger ist die Brüderlichkeit Christi. Sie schließt echte Autorität und Vollmacht nicht aus, sondern ein; aber beide haben nur ein Ziel: die befreiende Liebe Gottes spürbar und erfahrbar zu machen. Nach wie vor lebt die Kirche von den beiden Polen Priester und Laien, aber diese beiden Pole widersprechen einander nicht, im Gegenteil: Sie brauchen einander und bereichern sich. Deshalb bitte ich Sie, liebe Weihekandidaten, bei aller Begeisterung, mit der Sie sich ans Werk machen: Sehen Sie sich „nicht als Herren über den Glauben, sondern als Mitarbeiter der Freude“ (2 Kor 1,24), als Partner der noch immer vielen engagierten Frauen und Männer in unseren Gemeinden. Sie werden erwartet!

Das Zweite Vatikanische Konzil öffnet in dieser Hinsicht eine wahre Schatzkammer. Im Dekret Presbyterorum Ordinis (7. Dezember 1965) über den Dienst und das Leben der Priester stehen kostbare Sätze: Die Priester sind zwar aufgrund ihrer Weihe mit dem „Amt des Vaters und Lehrers im Volk und für das Volk Gottes“ betraut, zugleich aber auch Jünger des Herrn und damit „Brüder unter Brüdern (und Schwestern), da sie ja Glieder ein und desselben Leibes Christi sind, dessen Auferbauung allen anvertraut ist“. Daraus folgt: „Sie müssen also mit den gläubigen Laien zusammenarbeiten, die Würde der Laien und die bestimmte Funktion, die den Laien für die Sendung der Kirche zukommt, wahrhaft anerkennen und fördern“, ihre Freiheit achten, ihren Rat hören und beachten, die Charismen „mit Glaubenssinn aufspüren, freudig anerkennen und mit Sorgfalt hegen“ und ihre Eigeninitiativen fördern. (PO 9). Fazit: Nicht „Hoppla, jetzt komm ich!“ ist angesagt, sondern geschwisterliches Miteinander.

Hier nehme auch ich mich nicht aus. Denn der Bischof ist Freund und Bruder – vor allem seiner Priester und Diakone. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: „Die Priester werden auf verschiedene Weise mit dem Bischof hierarchisch verbunden und machen ihn so in den einzelnen Gemeinschaften der Gläubigen gewissermaßen gegenwärtig.“ (PO 5, vgl. LG 28). Der Priester – eine Vergegenwärtigung des Bischofs! Anspruch, Ehre und zugleich Herausforderung, in Demut sein eigenes Ich nachzuordnen.

So drängt es mich, Ihnen, liebe Weihekandidaten, noch ein paar Gedankensplitter zu einem Thema mit auf den Weg zu geben, das gerade heute delikat ist: den Gehorsam. Wer in einem weltlichen Beruf arbeitet – etwa in einer Firma, bei einer Bank, in einem Konzern, auch beim Staat, der kann ein Lied davon singen, wie hoch dort der Gehorsam gehalten wird, auch wenn er vielleicht Loyalität, Treue, Verfügbarkeit genannt wird. Manch Außenstehender wundert sich, welche Freiheiten sich Kleriker erlauben können. Nun ist die Kirche keine Firma. Aber es schadet nicht, wenn uns von weltlicher Seite gesagt wird, was im Berufsleben selbstverständlich ist: Identifikation mit der Betriebsphilosophie, Loyalität gegenüber den Vorgesetzten.

In wenigen Minuten versprechen Sie mir als Ihrem Bischof Ehrfurcht und Gehorsam. Übrigens habe ich das vor drei Wochen selbst bei meiner Bischofsweihe zweimal dem Papst gegenüber gelobt. Gehorsam heißt nicht, dass Sie jede konkrete Entscheidung des Bischofs für absolut richtig halten müssen. Es gibt vielleicht Situationen, die Enttäuschung mit sich bringen. Da ist die Versuchung groß, schnell auf „die da oben“ zu schimpfen, auf Rom oder auf den Bischof: weil dieser zu liberal ist und nicht richtig durchgreift – so meinen die einen, und die anderen empören sich: weil der Bischof zu romhörig ist und sich nicht traut, endlich gewisse Reformen anzustoßen.

Gestatten Sie mir dazu zwei Hinweise: Der Gehorsam dem Papst gegenüber, die Treue zu Petrus und seinem Nachfolger - wer immer das sei – war stets der sichere Weg, auch im Gehorsam zu Christus zu bleiben. Ubi Petrus, ibi Ecclesia! Wo Petrus, da ist die Kirche. Halten Sie sich bitte an dieses Wort! In den 35 Jahren meines Priesterseins war es mir immer ein verlässlicher Kompass, selbst wenn es mich mitunter auch Opfer gekostet hat. Und dann: Gehorsam heißt auch, dem Bischof sein Herz zu öffnen und ihm – wenn es sein muss – Unangenehmes zu sagen, aber bitte nicht über die Medien und Internetplattformen, sondern am besten live, von Angesicht zu Angesicht. Priesterlicher Gehorsam ist das Gegenteil von serviler Unterwürfigkeit: Er ist eine Schule der Freiheit. Ohne das Kreuz ist die Schule allerdings nicht zu schaffen.

So treten wir nun ein in die heilige Weihe. Es ist wirklich ein heiliger Moment: „Alles anbetet und schweiget.“ Es ist mehr als ein Augenblick, der wieder vergeht. Es ist ein Anfang, der in Gott gründet, am Beginn eines neuen Weges, gesetzt als Sakrament, das fruchtbar werden will für die Kirche von Augsburg, für die Ordensgemeinschaft der Missionare vom Kostbaren Blut und schließlich für alle Menschen, denen unsere Neupriester begegnen werden. „Gott vollende das gute Werk, das er bereits in Ihnen begonnen hat.“ Amen.

29.06.2020 - Bistum Augsburg , Priester