In zahlreichen Orten vom Norden Deutschlands bis weit in den europäischen Osten lassen sie noch nach Jahrhunderten ehrfürchtig staunen: mächtige gotische Backstein-Dome und Kirchen, uralte Mauern und Stadttore. Viele dieser beeindruckenden Bauten stammen aus den Zeiten der Hanse, jenem erfolgreichen mittelalterlichen Verbund von Kaufleuten und Städten.
Was in kleinem Umfang mit den „Gotland-Fahrern“ begann, die mit ihren Koggen die schwedische Ostsee-Insel ansteuerten, entwickelte sich ab dem zwölften Jahrhundert zur europäischen Großmacht: Mit ihrer „Ost-Erweiterung“ reichte die „Deutsche Hanse“ bis ins russische Nowgorod.
Den Händlern folgten Priester, Ordensleute und Baumeister. Überall entstanden Kirchen und Klöster. Deutsche Kaufleute, die sich in Gotlands Hauptstadt Visby niederließen, finanzierten den Bau des dortigen Doms. Der und die erhaltene Stadtmauer machen Visby – seit 1995 Unesco-Welterbe – zu einer der besterhaltenen Hansestädte.
Das größte Gotteshaus
Auch das Baltikum verdankt seine Entwicklung der Hanse. Bischof Albert, ein gebürtiger Bremer, gründete 1201 Riga, die Hauptstadt Lettlands, die schnell an Bedeutung gewann. Nach wie vor ist der Rigaer Dom, Baubeginn 1211, das größte Gotteshaus im Baltikum. Die Altstädte von Riga und Estlands Hauptstadt Tallinn zählen seit 1997 zum Unesco-Erbe.
Im kleineren Tallinn zeigt sich das Hanse-Erbe besonders deutlich. Die Altstadt mit ihren engen Gassen, früheren Packhäusern und dickem Mauerwerk ist Mittelalter zum Anfassen. Wie ein Magnet wirkt die Olaikirche aus dem 13. Jahrhundert mit ihrem schlanken gotischen Turm. 232 Stufen führen hinauf zur Aussichtsplattform.
In der Ferne zeigt sich der Domberg Toompea mit Schloss und Dom. Hier ist Estlands Regierungssitz. Früher residierten dort der Deutschritterorden sowie Dänen, Schweden und Russen. Das kleine Estland war ein Spielball der Mächtigen, und sie alle hissten ihre Flaggen auf dem fast 46 Meter hohen „Langen Hermann“. Am 23. Februar 1989 holten Mutige die kommunistische Fahne von dem alten Schlossturm herunter. Tags darauf flatterte oben nach 50 Jahren Sowjetherrschaft wieder die estnische Flagge.
Schlicht begraben
Der Dom wurde mehrfach umgebaut und dabei wie manch andere Kirche weiß getüncht. Einige Grabplatten stammen aus dem 13. Jahrhundert. An den Wänden hängen 107 Wappenepitaphe deutschbaltischer Adliger. Einige Besucher zieht es eher zu einer Steinplatte am Haupteingang: „Grab des Otto Johann Thuve, Gutsbesitzer von Edise, Vääna und Koonu, 1696 A.D.“ ist darauf zu lesen.
Feste feiern und Frauen – das war Thuves Plaisir. Kurz vor seinem Tod bereute Tallinns Don Juan seinen Lebenswandel. Schlicht an der Schwelle der Domkirche wollte er begraben werden. Die Frommen, die auf diese Steinplatte treten würden, sollten für sein Seelenheil beten. Spötter meinen dagegen, der alte Thuve wolle vielmehr wie zu Lebzeiten den Frauen unter die Röcke schauen.
Das Ost-Grau verschwand
Auch der deutschen Ostseeküste kamen Handel und Wandel zugute. Wismar, Stralsund, Rostock, Greifswald und Danzig (heute Polen), zuvor kleine Orte, entwickelten sich zu prosperierenden Hansestädten mit schönen Marktplätzen, edlen Rathäusern und stattlichen Sakralbauten. Nach der Wende wurde heftig saniert, das Ost-Grau verschwand, und die historischen Plätze leuchteten wieder in einstiger Farbenpracht. Die Anstrengungen wurden belohnt: Gemeinsam gehören Wismar und Stralsund seit 2002 zum Unesco-Welterbe.