Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller und Regisseure deutscher Sprache: Bertolt Brecht. Am 10. Februar jährt sich sein Geburtstag zum 125. Mal. Zur Welt kam Brecht in Augsburg. Die dortige Forschungsstätte leitet der Germanist und Theologe Jürgen Hillesheim. Er erklärt im Interview, warum Brecht auch heute noch aktuell ist – und womit er in der Gegenwart seine Probleme hätte.
Herr Professor Hillesheim, wieso ist Brecht noch immer wichtig?
Sein Werk hat einmalige ästhetische und gesellschaftsrelevante Qualitäten. Das von ihm entwickelte epische Theater kann Mechanismen aufzeigen, nach denen Gesellschaft funktioniert. Das geschieht insbesondere durch den Verfremdungseffekt, also durch kommentierende Unterbrechungen der Bühnenhandlung. Dadurch wird der Zuschauer zum Partizipieren aufgefordert. Brecht hat somit das traditionelle aristotelische Theater überwunden – da sollte sich der Zuschauer moralisch berieseln lassen.
Was wollte Brecht durch das Aufzeigen sozialer Gesetzmäßigkeiten erreichen?
Keine Weltverbesserung, auch wenn Linke das gern hätten. Denn Brecht hat nicht geglaubt, dass man gesellschaftlich etwas zum Guten wandeln kann. Auch wenn er die Welt als theoretisch veränderbar darstellt und oberflächlich als der große Lehrmeister auftrat. Letzten Endes ist das epische Theater aber das ästhetische Spiel eines Fatalisten, der weiß, dass es kein Morgen gibt, wenn er stirbt. Am Ende ist – und bleibt – der Mensch für Brecht wie er ist. Aber wie gesagt: Man lernt bei ihm, wie Gesellschaft funktioniert, und das auf sprachlich elegante Weise. Wenn man das so sachlich annimmt, hat man vielleicht ein bisschen Spaß am Leben.
„Oberflächlich als der große Lehrmeister“ – Sie scheinen Brecht eher distanziert gegenüberzustehen.
Brecht war ein Opportunist. Er wird zwar immer als Anhänger der marxistischen Theorie dargestellt. Er war aber nie Mitglied der Kommunistischen Partei und auch viel zu sehr Egomane, um den Marxismus ernst zu nehmen. Nach außen so verfochten hat er den am Ende auch nur, weil er in der DDR ein eigenes Theater, das Berliner Ensemble, gekriegt hat. Wobei Brecht auch kein reiner Regimegänger war.
Erklären Sie.
Es gibt zum Beispiel in Brechts spätem, melancholischem Lyrik-Zyklus „Buckower Elegien“ das Gedicht „Der Blumengarten“. Darin wird die DDR als Garten dargestellt. Die Rede ist von einem Baum, der für die Kunst steht. Er wächst außerhalb der Mauern. Innerhalb ist kein Platz für freie Entfaltung. Man bedenke: Brecht hat in seiner DDR-Zeit kein großes Drama mehr zustande gekriegt. Alles, was Sie kennen – „Die Dreigroschenoper“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, „Leben des Galilei“, „Mutter Courage und ihre Kinder“ –, all das ist vorher entstanden.
Können Sie Brechts Opportunismus noch ausführen?
Brecht hat während der NS-Herrschaft viele Jahre im Exil gelebt – aber nach dem Krieg Kontakt zu alten Nazis gesucht, um in Westdeutschland inszeniert zu werden. Er hat sogar hingenommen, dass diese alten Nazis, die dann in Theater-Verantwortung waren, alles Linke und Gesellschaftskritische aus seinem epischen Theater herausgenommen haben.