Corona im Heiligen Land

„Jerusalem ist lahmgelegt“

Pater Gregor Geiger OFM stammt aus Baden-Württemberg. Seit 20 Jahren lebt der Franziskaner in Jerusalem. Der Autor des Pilgerführers „Im Land des Herrn“ unterrichtet an der Ordens-Hochschule „Studium Biblicum Franciscanum“ in der Jerusalemer Via Dolorosa Hebräisch und Aramäisch. Im Interview spricht der 50-Jährige über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Heiligen Stätten.

Pater Gregor, die Ausgangsbeschränkungen in Jerusalem erinnern manche an die zweite Intifada 2000 bis 2005. Millionen Palästinenser lebten damals oft tagelang unter Hausarrest. Wie nehmen die Menschen das auf?

Das kann man kaum vergleichen. Die Ausgangsbeschränkungen gelten ja für alle. Eigentlich sind die meisten Einwohner von Jerusalem einsichtig. Spaziergänge allein oder zu zweit in isolierten Gegenden sind erlaubt. Ich war heute Richtung Ölberg unterwegs. Es waren nur wenige Leute auf der Straße. Jerusalem ist lahmgelegt. An die Zeit um 2002 denke ich momentan tatsächlich immer wieder: leere Straßen, leere Kirchen. Allerdings ist die Stimmung momentan keine aggressive, sondern eher eine fatalistische. 

Woran machen Sie das fest? 

Die Sicherheitskräfte und die arabischen Einwohner der Stadt begegnen sich seit Langem mit Misstrauen und Furcht voreinander. Daran hat sich wenig geändert. Aber die Furcht ist jetzt eine andere: Man fürchtet nicht mehr in erster Linie den mutmaßlichen Terroristen oder den anmaßenden Besatzer, sondern man fürchtet das Virus, und zwar auf beiden Seiten gleich. Statt Konfrontation zu suchen, geht man sich eher aus dem Weg.

Welche Vorkehrungen gelten derzeit an den Heiligen Stätten?

Anfangs war die Grabeskirche noch offen, ein Ordner achtete auf den nötigen Abstand. Nun ist sie geschlossen. Die franziskanischen heiligen Stätten sind weiterhin geöffnet, aber teilweise mit verkürzten Öffnungszeiten, da manche Pförtner oder Mesner nicht zur Arbeit kommen können. Die Geißelungskapelle, in der sich unsere Gemeinschaft zweimal am Tag zum Gebet trifft, ist für die Öffentlichkeit geschlossen. 

Gibt es überhaupt noch Touristen oder Pilger? 

Ganz vereinzelt sieht man noch Ausländer. Ob das Touristen sind oder Menschen, die hier leben, weiß ich nicht. Die meisten Volontäre sind ausgereist, teils auf Drängen der Entsendeorganisationen.  

Wie beeinflusst Corona Ihren Alltag als Wissenschaftler?

Meine Arbeit ist nicht stark eingeschränkt. Ich sitze, wie auch in normalen Zeiten, meistens vor Büchern und am Computer. Da hat sich gar nicht so viel geändert, nur dass ich in den kommenden Wochen sämtliche Termine aus meinem Kalender streichen musste. Um sich konzentriert schwer lesbaren Qumran-Fragmenten zu widmen, ist das gar nicht schlecht. 

Und wie sieht es an der Hochschule Ihres Ordens aus? 

Unterricht findet via Skype statt. Das ist gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Draußen hört man Vogelgezwitscher. Man fühlt sich mitten in Jerusalem wie in einem bayerischen Landkloster. 

Der Franziskaner-Kustos des Heiligen Landes, Francesco Patton, fordert, aktuell auf Pilgerfahrten zu verzichten. Jetzt brauche es „das Pilgern des Gebets“. Wie könnte das aussehen?

Es spielt sich in den eigenen vier Wänden ab, so wie fast das gesamte Leben der Menschen. Wenn man nicht in Gemeinschaft mit anderen beten und Gottesdienst feiern kann, tut man es daheim. Selbst wenn ich die Gemeinschaft anderer Beter nicht um mich herum habe, tut es doch gut zu wissen, dass sehr viele Menschen in der gleichen Lage sind und gleichzeitig oder mit elektronischen Kommunikationsmitteln verbunden ebenfalls beten. „Pilgern des Gebets“ kann auch so aussehen: mit der Bibel oder einem Gebetbuch in der Hand im Geist die Orte der Erlösung abzuschreiten, die man nicht persönlich besuchen kann. 

Viele palästinensische Christen sind als Restaurant-besitzer, Reiseleiter oder Olivenholzschnitzer von Touristen abhängig. Was bekommen Sie von deren Lage mit? 

Direkt so gut wie gar nichts, da zu den Menschen außerhalb meiner Klostergemeinschaft praktisch kein Kontakt möglich ist. Für die Christen, die direkt von der franziskanischen Kustodie angestellt sind und die zum großen Teil nicht zur Arbeit kommen können, werden die Gehälter weiter gezahlt. In Israel kommt dabei das Sozialsystem zu Hilfe. In Palästina gibt es ein solches nicht. 

Die Palmsonntagskollekte zugunsten des Heiligen Landes musste wegen Corona ausfallen. Fast zwei Millionen Euro kamen 2019 zusammen. Sie fehlen nun.

Der Ausfall der Kollekte stellt die christlichen Einrichtungen – Schulen, Kinderheime, Krankenhäuser oder Altenheime – vor große Probleme. Für viele Institutionen ist die Kollekte eine wichtige Einnahmequelle. Wir hoffen, dass Online-Spenden oder Überweisungen dies ein bisschen abfedern können. Ansonsten tut es den hiesigen Christen gut zu wissen, dass sie in dieser Situation nicht allein sind. 

Welche Botschaft möchten Sie an die Christen in Deutschland und Österreich richten?

Alle – Christen, Juden und Muslime, Gläubige anderer Religionen und Menschen ohne religiöse Bindung – sind in der gleichen Situation, auf der ganzen Welt. Das gemeinschaftliche religiöse Leben ist fast ganz zum Erliegen gekommen oder findet nur noch online statt. Ein winziger, unsichtbarer Feind hat unser Leben aus der Bahn geworfen. Trotzdem vertraue ich darauf, dass ein unsichtbarer Freund uns durch diese Krise führt. Wir Christen nennen ihn „Vater unser im Himmel“. 

Interview: Johannes Zang

Information

Als Ersatz für die Palmsonntagskollekte bittet der Deutsche Verein vom Heiligen Lande um Spenden. Infos unter www.palmsonntagskollekte.de.