Ostkirche feiert Ostern

Das Heilige Feuer lodert

Obwohl es in Ost und West schon seit geraumer Zeit Bestrebungen gibt, Ostern an einem gemeinsamen Termin zu feiern: Nach wie vor unterscheidet sich der Festtermin in den westlichen Kirchen und in der östlichen Orthodoxie, wo er nach dem alten julianischen Kalender festgesetzt wird. Und so feiert die Ostkirche 2018 eine Woche später als die Westkirche Ostern. Damit einher geht in der Grabeskirche zu Jerusalem das Wunder des Heiligen Feuers.

Sie drängeln, schubsen und stoßen: Möglichst nah ans Heilige Grab wollen sie – die Gläubigen aus nah und fern. Manche stehen sich seit dem frühen Morgen die Füße in den Bauch. Nicht wenige haben in der Kirche übernachtet. Seit Stunden intonieren einheimische Christen unter Trommelbegleitung traditionelle Gesänge mit kräftiger Stimme. Nun tritt Stille ein. Vertreter der Behörden bahnen sich einen Weg durch die Menge. Ohne Ellenbogengewalt geht das nicht. Sie repräsentieren gleichsam die römische Besatzungsmacht zur Zeit Jesu. So wie diese gemäß der Heiligen Schrift das Grab Jesu bewachte, verfahren nun die Vertreter des israelischen Staates. Mittels Wachs versiegeln sie die Tür zum Heiligen Grab, nachdem sie in diesem nach versteckten Anzündern wie etwa Streichhölzern gesucht haben. Betrug soll auf diese Weise ausgeschlossen werden.  

Der Weg ins Grab

Kurz nach 13 Uhr erscheint die hohe Geistlichkeit. Das Drängeln und Schieben wird fast zur Schlacht. Viele versuchen, einen der Priester zu berühren. Nach Gebet und Prozession betritt der griechisch-orthodoxe Patriarch Jerusalems, derzeit Theophilos III., die Ädikula (lateinisch Tempelchen), das Heilige Grab. Die Menge stimmt das Kyrie eleison an. Den Grabeingang bewacht nun der neutrale „lateinische“, sprich: römisch-katholische, Küster, sozusagen als Schiedsrichter und Wächter.

Auf Arabisch, Armenisch, Russisch, Griechisch, Koptisch und in anderen Sprachen murmeln die Gläubigen ihre Gebete. Fast jeder hält ein Bündel aus 33 schmalen Kerzen in der Hand, die im Basar feilgeboten werden. Die Zahl 33 symbolisiert das Todesalter Jesu. Jedes Jahr am Karsamstag, den die einheimischen Christen Sabbt in-Nuur (Lichtsamstag) nennen, versammeln sich Abertausende von Gläubigen und tauchen ein in dieses wundersame Ritual, das bereits für das vierte Jahrhundert überliefert ist.

Orthodoxe Christen glauben, dass das Jahr, in dem das Heilige Feuer ausbleibt, das letzte in der Geschichte der Menschheit sein wird. Die Spannung steigt. Nach etwa 20 Minuten wird an einer Öffnung der Grabkapelle eine Fackel sichtbar, und noch eine, Flammen lodern. Dann tritt der „Grieche“ – wie man in Jerusalemer Kirchenkreisen sagt – mit zwei Bündeln 33er-Kerzen aus der Ädikula. Einheimische Christen und Pilger brechen in Freudenschreie und Jauchzer aus. Das architektonisch so verwirrende Gotteshaus, im Wesentlichen ein Kreuzfahrerbau mit Teilen der konstantinischen Basilika aus dem vierten Jahrhundert, hallt vom Jubel wider, als sei ein längst herbeigesehntes Tor im Fußballstadion gefallen. 

Jubeln ist das eine. Daneben gilt es, schnell die eigene Kerze anzuzünden. Dabei setzt bei manchen der Verstand aus. Ohne Rücksicht auf die Umstehenden strecken die Leute ihre Kerzen über die Köpfe anderer hinweg, um sie an einer brennenden zu entzünden. Binnen Minuten erstrahlt die Kirche im Lichterglanz, schlagartig steigt die Temperatur merklich. 

Verbreitung per Flugzeug

Das Heilige Feuer wird in Windeseile weitergegeben, bis auf den Vorplatz der Basilika, von dort in die Altstadt und weiter ins zehn Kilometer entfernte Bethlehem. Das Heilige Licht fliegt weiter zu orthodoxen Gemeinden der ganzen Welt für die Ostervigil, nach Moskau eigens in einer Sondermaschine vom Flughaufen Tel Aviv aus. Die Ankunft des Heiligen Feuers führt von Australien bis Amerika zu Freudenkundgebungen.

Wie kommt es zum Lichtwunder? Diodoros, griechisch-orthodoxer Patriarch von 1980 bis 2000, hat einmal Einblicke in das Lichtgeheimnis gewährt: „Ich suche mir meinen Weg durch die Dunkelheit hin zur Grabkammer und knie nieder. Da spreche ich bestimmte Gebete und warte. Manchmal mag es ein paar Minuten dauern, aber normalerweise geschieht das Wunder sofort. Aus dem Stein, auf dem Jesus geruht hatte, strömt ein undefinierbares Licht hervor. Das Licht verhält sich jedes Jahr unterschiedlich. Manchmal umhüllt es nur die Grabbank, andere Male erhellt es die ganze Grabkammer, sodass sogar Menschen, die draußen stehen, sehen können, wie die Grabeskapelle mit Licht erfüllt wird.

Und weiter: „Ab einem bestimmten Punkt steigt das Licht empor und bildet eine Säule; darin hat das Feuer eine ganz andere Beschaffenheit, sodass ich meine Kerzen daran anzünden kann. Nachdem ich das Heilige Licht empfangen habe, trete ich hinaus und reiche die Flamme zuerst an den armenischen Patriarchen weiter und dann an den koptischen – und anschließend an alle Menschen, die sich in der Kirche befinden.“  

Immer wieder haben Gläubige berichtet, dass sich auch in der Kirche, außerhalb des Heiligen Grabes, Öllämpchen oder Kerzen von selbst entzündet hätten. Manche wollen ein bläuliches Licht gesehen haben. Die Internetseite holyfire.org nennt das Heilige Feuer das „berühmteste Wunder in der östlich-orthodoxen Welt. Es findet Jahr für Jahr am selben Ort, zur selben Zeit und in derselben Weise statt, und das seit Jahrhunderten.“ Von keinem anderen Wunder könne man das behaupten. 

Rätselhafte Entstehung

Befragt nach dem Lichtwunder und wie es entsteht, antwortete einmal der irische Dominikaner Jerome Murphy O’Connor (1935 bis 2013), der ein renommierter biblischer Archäologe war und 50 Jahre in Jerusalem lebte, ironisch-humorvoll: „Wahrscheinlich durch die Reibung zwischen dem griechischen und dem armenischen Patriarchen.“ 

Wer es zum heiligen Feuer an Ort und Stelle schaffen möchte, sollte schon am frühen Morgen an der Grabeskirche sein, die die Orthodoxen Anastasis, Auferstehungskirche, nennen. Wer Beziehungen hat, nutzt sie an diesem „heiligen“ Samstag, lässt sich auf die Namensliste eines Patriarchats setzen oder sich von einem Journalisten oder Franziskaner einschleusen. 

Einmal im Leben

Viele orthodoxe Christen aus Jerusalem, Bethlehem oder Galiläa, aber auch hagere Russen, junge Schönheiten aus Athen oder stämmige Omas aus Zypern, nehmen fast alles auf sich, um einmal im Leben dabei zu sein. Auf Hockern, Matratzen und in Schlafsäcken verbringen manche die Nacht in einer der vielen Nischen oder Seitenkapellen der heiligsten Kirche der Christenheit. 

Besonders still und andächtig geht es dabei nicht unbedingt zu. Selbst zu Raufereien ist es schon gekommen, sogar unter den Patriarchen. Einmal versuchten die Armenier, den griechischen Patriarchen daran zu hindern, das Heilige Feuer zu empfangen. Handgreiflichkeiten unter den Oberhäuptern sollen dazu geführt haben, dass 2002 das armenische Osterlicht erlosch. 

Etwa fünf Stunden Zeit hat man, um sich von dieser kräftezehrenden Zeremonie zu erholen. Dann steht die nächste Ausdauer verlangende Liturgie an: die Osterfeier der äthiopisch-orthodoxen Christen auf dem Dach der Grabeskirche – mit einer tanzähnlichen Prozession um eine Rotunde. Unter Trommelschlägen wird Jesus Christus gesucht.

Der Klerus schreitet dabei unter riesigen, farbenfrohen, baldachin­gleichen Schirmen. Um ein Uhr morgens schließt sich dann die Göttliche Liturgie an. Dieser Gottesdienst, dem viele komplett weißgekleidete Pilger beiwohnen, dauert inklusive Schriftlesungen, Mahlet (Laudes) und eucharistischer Liturgie Qeddase acht Stunden.

Anregung für daheim

Zurück zum Samstag des Heiligen Feuers: Man muss ihn einmal selbst erleben, da hilft kein Lesen, keine Erzählung. Gefragt, wie Christen hierzulande sich von den Kar- und Ostertagen im Heiligen Land anregen lassen können, antwortet Pater Gregor Geiger, Pilgerführer, Autor und Dozent an der ordenseigenen Hochschule „Studium Biblicum Franciscanum“ in Jerusalem: „Es kommen Menschen zusammen, die keine gemeinsame Sprache haben, aber die beim Gottesdienstfeiern nicht auf die Uhr schauen. Sie haben ihre Freude an innigen Gottesdiensten. Deutsche können von hier den Mut mitnehmen, den Glauben vor der Umgebung zu zeigen.“

Johannes Zang