Zwischen Israel und Jordanien:

Der Friede ist längst erkaltet

Eigentlich sollte Frieden herrschen zwischen Israel und Jordanien. Doch auch 25 Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens wirkt die gemeinsame Grenze beider Staaten so, als träfen dort verfeindete Nationen aufeinander. Das Misstrauen sitzt tief.

Der Grenzübergang Wadi Araba/Jitzchak Rabin zwischen Jorda­nien und Israel: Nach recht zügiger Kontrolle auf jordanischer Seite muss der Tourist 200 Meter zu Fuß zurücklegen. Mit der Waffe an der Schulter erfragt ein junger israelischer Sicherheitsmann Nationalität und Gruppengröße und bittet auf Englisch um Geduld. „54“, spricht er auf Hebräisch in sein Funkgerät. Ein Codewort?

Nach vier Minuten gibt der Uniformierte den Weg frei: „Bitte gehen Sie links und dann rechts!“ Nach knapp 100 Metern hat man das containerähnliche Kontrollgebäude erreicht. Dort fallen Schwarzweißfotos auf: Der 1995 ermordete Premier Jitzchak Rabin, abgelichtet mit dem jordanischen König Hussein, mit US-Präsident Bill Clinton, als nahbarer Politiker in einer Bäckerei, als Vater beim Schwimmen mit seinem Kind. 

„Ist das Ihr Koffer?“

Vor dem Metalldetektor fragt eine Dame in weißem Hemd, wen man in Jordanien kenne, und fordert auf, den Koffer auf das Förderband zu legen. Einige Schritte weiter sieht man sein Gepäckstück aus dem Röntgengerät kommen. „Ist das Ihr Koffer? Haben Sie Geschenke bekommen?“, lauten die Fragen auf Englisch. Trotz Röntgens muss etwa die Hälfte der Gruppe den Koffer öffnen. 

Männer mit Einweghandschuhen legen Hemd für Hemd, Souvenir für Souvenir in graue Wannen. Reiseführer werden durchgeblättert, Mitbringsel beäugt. Ein Reisender darf schon nach zwei, ein anderer erst nach zehn Minuten Inspek­tion zusammenpacken. Außerhalb des Gebäudes werden die Pässe an Schaltern kontrolliert, mancher wird dabei nach den weiteren Statio­nen der Reise gefragt. 

Als der Letzte der 42 Deutschen seinen Pass verstaut, sind seit Betreten der jordanischen Grenzanlagen 73 Minuten vergangen, wobei man mit der israelischen Kontrolle die meiste Zeit verbracht hat. „Beklemmend“, urteilt eine Deutsche. „Ich bin gefilzt worden“, sagt eine andere. Ein Mann fühlt sich gar an die DDR erinnert. 

Die Grenze, die die deutsche Reisegruppe passiert hat, ist eigentlich die Grenze zweier Staaten im Frieden. Durch das Oslo-Abkommen von 1993 zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO ermutigt, hatten Jordanien und Israel mit US-Hilfe einen Vertrag ausgehandelt, der ihre Feindschaft beendet sollte. Das feierte man am 26. Oktober 1994 an genau dieser Grenze.

„Fast zwei Generationen lang herrschte Trostlosigkeit im Herzen unserer beiden Völker“, sagte der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin. „Die Zeit ist gekommen, nicht nur von einer besseren Zukunft zu träumen, sondern sie zu verwirklichen. Die Führer sollten den Weg freimachen und die Richtung weisen.“ König Hussein versicherte, man wolle mit Gottes Hilfe sicherstellen, „dass es keinen Tod und kein Elend mehr geben soll, keine Verdächtigungen, keine Angst und keine Unsicherheit“.

Seitdem sind Angst und Unsicherheit nicht verschwunden. 1997 wurde Hamas-Funktionär Chalid Maschal in Amman Ziel eines Anschlags: Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad verabreichten ihm ein spurloses Gift. Seinen Begleitern gelang es, die Agenten zu fassen und den jordanischen Sicherheitskräften zu übergeben. König Hussein verlangte die Herausgabe des Gegengifts. Premier Benjamin Netanjahu gab es erst nach Intervention von US-Präsident Clinton
heraus. Mas­chal überlebte.

Zur Entspannung trug auch nicht bei, dass das Königreich vor einem Jahr zwei Gebiete zurückverlangte, die man vor 25 Jahren Israel zur Nutzung überlassen hatte. Das Nachbarland sei informiert worden, dass die Übereinkunft zu Bakura und Ghumar nicht verlängert werde, erklärte König Abdullah II. Die Vereinbarung galt für eine Dauer von 25 Jahren und sollte sich automatisch verlängern, wenn keine Partei sie aufkündigt. 

Heute scheint der Friede erkaltet. Oded Eran, von 1997 bis 2000 israelischer Botschafter in Jordanien, meint jedoch: „Selbst ein kalter Friede ist besser als gar keiner.“ Im Gespräch mit unserer Zeitung verweist er auf die enge Kooperation zwischen Israel und Jordanien in vielen Bereichen: „Die beiden Staaten haben starke Sicherheitsbeziehungen und arbeiten bei den Themen Wasser und Energie zusammen.“ Täglich pendeln jordanische Arbeiter in die israelische Stadt Eilat am Roten Meer. Viele arbeiten dort im Hotelgewerbe. 

Eine große Lüge?

Kritisch äußert sich dagegen der palästinensische Sozialwissenschaftler Suleiman Abu Dayyeh: Den Frieden zwischen Israel und Jordanien nennt er „eine große Lüge.“ Das Abkommen vor 25 Jahren sei „nur auf amerikanischen Wunsch und Druck erfolgt“.

König Abdullah II. macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, dass Israel die Initiative für Frieden im Nahen Osten von 2002 weder diskutiert noch gewürdigt habe. Diese wurde nicht nur von der Arabischen Liga angenommen, sondern von 57 Staaten der Islamkonferenz verabschiedet. Die Initiative beinhaltet das Angebot zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den islamischen Staaten sowie die Anerkennung Israels.

„Israel hat die klare Wahl“, schrieb Abdullah in seinem Buch „Die letzte Chance“. „Möchte es weiter eine Festung sein, die von zunehmend feindlichen und aggressiven Nachbarn umringt ist, oder möchte es die Hand des Friedens ergreifen, die ihm 57 muslimische Staaten entgegenstrecken, und sich endlich in die Region integrieren, von den anderen Nationen akzeptiert werden, um umgekehrt auch sie zu akzeptieren?“

Johannes Zang

25.10.2019 - Ausland , Nahost , Politik