Humanitäre Katastrophe im Jemen

Deutschland verdient am Leid

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit bahnt sich im Jemen eine humanitäre Katastrophe größten Ausmaßes an. Fast vier Jahre nach dem Beginn der saudi-arabischen Offensive gegen vermeintlich vom Iran unterstützte Rebellen droht Millionen Menschen in dem Bürgerkriegsland der Hungertod.Deutsche Waffen befeuern das Leid der Zivilbevölkerung – sehr zum Unmut der Kirchen, die heftig protestieren.

22 der rund 28 Millionen Jemeniten sind von humanitärer Hilfe abhängig. Die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Mehr als drei Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Alle zehn Minuten stirbt im Jemen ein Kind an Hunger oder Krankheiten wie der Cholera, die sich im ganzen Land ausgebreitet hat. 

Geert Cappelaere von der Kinderhilfsorganisation Unicef bezeichnete den Jemen erst vor wenigen Wochen als „Hölle auf Erden“. In dem kleinen Land findet nach Angaben der UN die derzeit größte humanitäre Katastrophe der Welt statt. Doch ist dies keine Katastrophe, die wie ein Naturereignis über das Land hereinbrach. Das Elend ist allein von Menschen gemacht. 

Seit Mai 2015 bekämpft im Jemen eine von Saudi-Arabien angeführte sunnitische Militärallianz die schiitischen Huthi-Rebellen. Unterstützt wird das Bündnis mit Waffen aus dem Westen – auch aus Deutschland. Und das, obwohl die Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt hatte, keine Waffenexporte mehr in ein am Jemen-Krieg beteiligtes Land zu genehmigen. 

Die Realität spricht eine andere Sprache. So bewilligte der Bundessicherheitsrat unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel allein im vergangenen Jahr Waffenausfuhren nach Saudi-Ara­bien im Wert von deutlich über 400 Millionen Euro. Im Vorjahr waren es rund 250 Millionen Euro. Auch andere am Krieg beteiligte Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Kuwait und Ägypten werden von Deutschland aus munter weiter beliefert. 

Linken-Politikerin Sevim Dagdelen sprach daher jüngst von „einer moralischen Bankrotterklärung der Bundesregierung“. Das sehen auch die beiden großen Kirchen ähnlich. Im Dezember kritisierte Karl Jüsten, der katholische Co-Vorsitzende der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), die Regierung scharf. Mit ihrer Politik trage sie zur humanitären Katastrophe im Jemen bei und fördere „den Bruch des Völkerrechts“. 

Den vom Bund nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi verkündeten, auf zwei Monate befristeten Lieferstopp für Rüstungsexporte nach Saudi-Ara­bien kommentierte Jüsten fast schon zynisch. „Im Ernst: Der Bundesregierung musste schon vor dem Fall Kashoggi bekannt gewesen sein, mit wem sie es in Saudi-Arabien zu tun hat.“

Offensichtlich stehen in der Rüstungsexportpolitik weiter wirtschaftliche Interessen an erster Stelle. So bezeichnete Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen deutschen Exportstopp Ende 2018 als wenig sinnvoll: Wenn Deutschland keine Waffen mehr liefere, würden sofort „andere Länder diese Lücke füllen“. 

Tatsächlich stiegen die Waffen­importe im Nahen Osten nach Angaben des Friedensforschungsinstituts Sipri von 2013 bis 2017 im Vergleich zu den Vorjahren um satte 103 Prozent. Mit Saudi-Arabien, den Emiraten und Ägypten gehören gleich drei der im Jemen involvierten Kriegsparteien zu den fünf weltweit größten Rüstungsimporteuren. 

Keine Hilfslieferungen

Mit westlichen Bomben wurden bei 15 000 Luftangriffen gezielt auch zivile Ziele wie Märkte, Schulen und Krankenhäuser attackiert. Inzwischen ist im Jemen die Hälfte der medizinischen Infrastruktur – ebenso wie die Strom- und Wasserversorgung – zerstört. Mit einer Seeblockade schneidet die Allianz der Saudis das Land von Hilfslieferungen ab. Die Folge: 8,4 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. 

An vorderster Kriegsfront mit dabei ist die Rheinmetall AG. Nach Darstellung von Martin Dutzmann, dem evangelischer Co-Vorsitzenden der GKKE, umgeht der deutsche Rüstungskonzern über Töchter- oder Gemeinschaftsunternehmen sowie Produktionsstätten im Ausland gezielt den Bundessicherheitsrat. So kamen im Jemen-Krieg – nach Angaben von Amnesty International – zum Beispiel schon Bomben des Typs MK 83 zum Einsatz, die von einer italienischen Rheinmetall-Tochter produziert und an die Saudis überführt wurden. 

Über ein Tochterunternehmen in Südafrika beliefert Rheinmetall die politisch besonders instabile Region
Naher Osten und Nordafrika kontinuierlich mit Munition und errichtet dort sogar komplette Munitionsfabriken. Laut Amnesty beträgt der deutsche Ausrüstungsanteil für den Eurofighter, mit dem die Emirate und Saudi-Arabien schon ungezählte Angriffe auf Ziele im Jemen geflogen sind, 45 Prozent.

Die GKKE forderte die Bundesregierung daher auf, endlich bestehende Regelungslücken im Ausfuhrrecht zu schließen. Doch darf angezweifelt werden, dass sie damit bei Merkel auf Gehör stößt. In einer Stellungnahme bezeichnete Regierungssprecher Steffen Seibert die Kritik der Kirchen nur müde als „nicht neu“.

Andreas Kaiser

19.01.2019 - Ausland , Nahost , Politik