Sorbisches Winterfest

Ein Brauch, der Identität gibt

Meisenknödel und Sonnenblumenkerne füllen das Vogelhäuschen. Dafür sorgen die Kinder umsichtig. Auf dem Weg in den Nachbarort hängen sie liebevoll Äpfel mit kleinen Körnern in die Sträucher. Eine gewöhnliche Fütterung? Nein. In der Kindertagesstätte „Zum Wassermann“ in der sächsischen Oberlausitz steckt dahinter die „Vogelhochzeit“, ein großes sorbisches Winterfest.

„Mit der Vogelhochzeit beginnt der Jahreskreis sorbischer Bräuche und Traditionen. Die Tage werden wieder heller. Die Natur erwacht zu neuem Leben. Einige Vögel zwitschern bereits“, sagt Daniela Scholze, seit 2011 Leiterin der Kindertages­stätte. 

Die Vogelhochzeit rufe Dank und Achtsamkeit für die Gaben der Natur hervor. Sie wecke Liebe und Verantwortung für das Mitgeschöpf Tier und stärke die Beobachtungsgabe der Kinder. Ebenso legt das Fest, das die Kinder mitgestalten, Wert auf die sorbische Sprache. Und es verbindet die Generationen: „Kinder, Erzieherinnen, Eltern und Großeltern freuen sich darauf. Ein Jeder wird eingebunden, ein Jeder trägt zum Brauchtum bei“, verdeutlicht Scholze. 

Seit Jahresbeginn haben sich die Kinder vorbereitet. Die Jüngsten füttern und beobachten die Tiere, die Kindergartenkinder malen und basteln Vögel. Die Hortkinder gestalten Tischschmuck für das Programm in der Sporthalle und dekorieren Festtafel und Bühne. Einige servieren den Eltern und Großeltern nach dem Programm sogar Kaffee. 

„Den Einzug gestalten wir als gesamter Kindergarten“, sagt Erzieherin Petra Matka. Erstmals hat sie das Programm mitentworfen. Die Lieder „Hallo, Hallo“ und „Ein Vogel wollte Hochzeit feiern“ sowie  „Wir feiern heut ein Fest“ erfreuen die Gäste. Reime, Gedichte, Sketche und Rätsel erläutern den Brauch.

Der Tanz „Vögelein, Vögelein tanz mit mir“ verbildlicht ihn originell. „Es gibt sogar einen Dialog zwischen Pfarrer und Brautpaar“, sagt Matka. „Jede Gruppe bringt sich ein. Jede Kollegin gestaltet ihren Teil. Die komplette Vorschulgruppe tritt in sorbischer Tracht auf. Darauf legen wir Wert.“

Am Morgen des 25. Januar feiern die Kinder erst in den jeweiligen Gruppen die Vogelhochzeit: Nach dem Morgenkreis öffnen sie die Fenster, stellen Teller auf und entfernen sich für kurze Zeit. Später staunen sie über die Vögel aus Teig, die sie auf ihren Tellern finden – der Dank ihrer gefiederten Freunde für das Futter in der kalten Jahreszeit. „Ab Mittag stimmen wir uns ganz auf das Programm ein“, sagt Scholze. 

Dabei ist sie dankbar für viele kleine stille Gesten. Die Schulsekretärin bereitet den Kaffee vor. Der Hausmeister und die Gemeindearbeiter stellen Tische und Stühle für die Besucher auf. „Auch die Eltern unterstützen uns rege“, freut sich die Leiterin. „Lange im Vorfeld schon lernen sie mit den Kindern fleißig die Texte und üben sie zu Hause immer wieder.“

Die Kinder sind aufgeregt. Antonius Rauer führt als „braška“ (Hochzeitsbitter) die Hochzeitsgesellschaft durch das Programm und stimmt die Lieder an. Dem Brautpaar, gespielt von Lea Neck als „njewjesta“ (Braut) und Tim Zschornack als „nawoženja“ (Bräutigam), folgen die „družki“ (Brautjungfern). Danach laufen die „słonki“ (Patinnen), „swaty“ (Begleiter) und weitere Besucher wie Gänse und Enten als Musikanten, Köchin und Koch, der Pfeife rauchende Onkel Jurij und der Pfarrer. Das Huhn trägt ein Butterschäfchen. Die Eule schließt die Fensterläden. „Jeder hat seine Aufgabe“, sagt Matka.

Liebevolle Gestaltung

Mit Stolz tragen die Kinder ihre aufwendigen Trachten. Diesen widmen sich Trachtenschneiderinnen und Ankleidefrauen mit viel Liebe zum Detail. Um etwa eine Brautjungfer einzukleiden, dauere es bis zu anderthalb Stunden, sagt Matka. „Schon einen Tag vorher werden die Haare eingeflochten. Sorgfalt erfordert vor allem, den Kopfschmuck und das Perlennetz anzubringen.“

Alle sind sie stolz auf ihre Kinder und den jahrhundertealten sorbischen Brauch. Eltern wie Erzieherinnen haben die Tradition als Kinder oft selbst intensiv erlebt. „So liebevoll und konsequent wie wir heute den Brauch pflegen und weitergeben, so werden ihn eines Tages auch unsere Kinder weitergeben“, davon sind Scholze und Matka überzeugt. „Die Vogelhochzeit erinnert uns an unsere Wurzeln. Sie belebt unsere sorbische Muttersprache. Es liegt ganz an uns, wie wir den Kindern die Liebe zum Brauch mitgeben.“

Andreas Kirschke

Noch mehr Vogelhochzeit:

Für Erwachsene führt das Sorbische Nationalensemble das Stück „Kaum zu glauben“ auf. Für Kinder steht der „Hochzeitstraum im Märchenwald“ auf dem Programm. Die Aufführungen sind bis Ende Februar an verschiedenen Spielorten zu sehen. Informationen zu den jeweiligen Terminen sind unter www.sne-bautzen.de/spielplan abrufbar.