Mit Zustimmung der Behörden

Ein Neuanfang im Minenfeld

Das Neue Testament (Joh 1,28-34) schildert präzise, wie Jesus getauft wurde: „Dies geschah in Betanien, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.  Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird.“ 

Johannes bezeugte: „Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.“

Die frühchristlichen Pilger vermuteten die Taufstelle am Ostufer des Jordan. Dort wurden Kirchen gebaut, Mönche lebten in Höhlen.  Im Jahr 326 kam Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, ins Heilige Land. Von ihr wird berichtet: „Dann erreichten sie den Jordan, in dem unser Christus und Gott für unser Heil getauft wurde. Als sie den Fluss überquert hatte und die Höhle fand, in der der Vorläufer gelebt hatte, ließ sie eine Kirche im Namen von Johannes dem Täufer errichten.“

Seit dem sechsten Jahrhundert kam eine weitere Tradition der Taufe Jesu am anderen, am Westufer des Jordan hinzu. Das geschah vor allem  aus praktischen Gründen: weil das Westufer von den Hauptpilgerstätten Jerusalem und Bethlehem aus bequemer zu erreichen war. Ein Pilger von Piacenza berichtet im späten sechsten Jahrhundert als Erster von einer Kirche am Westufer. Er bringt sie in Zusammenhang mit dem Fest Epiphanias, das bis heute in der Orthodoxie an die Taufe Jesu erinnert. 

Die Mosaikkarte von Madaba aus dem sechsten Jahrhundert, älteste kartographische Darstellung des Heiligen Landes, bezeichnet jenen Ort als Bethabara und nennt ihn „Kirche der Johannestaufe“. Auch das Gotteshaus selbst ist dort dargestellt. Unter Kaiser Manuel Komnenos wurde die zuvor zerstörte Kirche im zwölften Jahrhundert wieder aufgebaut. Seitdem gedachte man dort auch des Jordan-Durchzugs der Israeliten und der Himmelfahrt des Elias. 

In der britischen Mandatszeit bis 1967 war das Westufer des Jordan ein vielbesuchter Pilgerort. Die Konfessionen hatten alle ihre eigenen Heiligtümer errichtet: Hier katholischerseits die franziskanische Kustodie des Heiligen Landes, dort Syrer, Kopten, Russisch-Orthodoxe, Äthiopier und Rumänisch-Orthodoxe. 

Am Fest der Taufe Jesu am 6. Januar besuchten Schulklassen die Taufstelle auf der Westseite und feierten in der kleinen Johanneskirche die Heilige Messe mit. Viele Menschen, die im Heiligen Land geboren sind, erinnern sich noch gut an dieses besondere Erlebnis.

Während des Sechs-Tage-Kriegs  1967 wurde das Gebiet zu einem Minenfeld in einer abgeriegelten Militärzone. Das Franziskanerkloster musste 1968 in Eile geschlossen werden. Durch verschiedene Kriegswirren war der Ort lange Zeit unzugänglich. Erst im Jahr 2000 wurde für den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Heiligen Land ein kleiner Zugang möglich.

Der Halo-Trust, eine britische Organisation, die sich auf die Beseitigung von Minen spezialisiert hat und weltweit tätig ist, hat vor zwei Jahren mit einem Räumprojekt im Bereich der Taufstelle Jesu begonnen. So wurden mit Zustimmung der israelischen und palästinensischen Behörden etwa 4000 Minen entfernt. Nach und nach können  acht Kirchen der verschiedenen Konfessionen in der Region wieder in Besitz genommen werden. 

Mönche planen Zukunft

Dazu gehören die kleine Franziskaner-Kirche vom heiligen Johannes dem Täufer und das dazugehörige Kloster am Jordanufer. Damit haben die Mönche ihr Eigentum zurückerhalten. Leonardo di Marco von der Verwaltung der Kustodie zeigte sich erfreut: „Die Taufstelle Jesu ist nun wieder zugänglich und nutzbar. Wir werden in den kommenden Monaten mit der Wiederherstellung und Ausbesserung des gesamten Grundstücks beginnen.“

Der Orden wolle Gebetsräume schaffen, die es den Pilgern ermöglichen, „eine intensivere Erfahrung mit dem Heiligen Land zu machen“. Bruder Sergey Loktionov sagt: „Als  wir das Kloster betraten, fanden wir dort heilige Gewänder, liturgische Möbel, Kronleuchter, Bücher. Die Brüder mussten es damals eilig gehabt haben.“ Auf dem Tisch des Refektoriums lag noch das Register der Pilgermessen mit dem Bleistift daneben. Die letzte aufgezeichnete Messe fand am 7. Januar 1968 statt und wurde von einer Gruppe aus Nigeria gefeiert. 

„In der Küche fanden wir einige Alltagsgegenstände: einen Topf, Wasserkocher, Besteck und Getränke. Eine Reihe tragbarer Altäre, mit denen Pilger die Messe in der Nähe des Flusses feiern konnten, waren allerdings verschwunden.“ Am Dreikönigstag, hofft Bruder Sergey, „werden wir, so Gott will,  wieder in unserer Kirche die Taufe des Herrn am Jordan feiern können“. 

Die Taufstelle am westlichen Jordanufer – Qasr al-Yahud (Burg der Juden) – ist bereits instandgesetzt. Sie kann nun der „Verbesserung der spirituellen Erfahrung und des körperlichen Wohlbefindens der Pilger“ dienen, wie es in einem israelischen Reiseführer heißt. Hölzerne Rampen für den barrierefreien Zugang wurden angelegt, sanitäre Anlagen eingerichtet und das Gelände mit schattigen Meditationsplätzen ausgestattet.

„Pax et Bonum“ (Frieden und Wohlergehen) lautet der Gruß der Franziskaner. Vielleicht schon bald werden ihn die Pilger am Jordan vernehmen. „Die Menschen haben in diesem Land viele Kriege geführt“, sagt Pater Ibrahim Faltas von der Kustodie des Heiligen Landes. Sein Orden, betont er, sei immer ein „Werkzeug des Friedens“ gewesen. „Seit über acht Jahrhunderten sind wir hier als Vermittler von Versöhnung. So soll es auch bleiben.“

Während die Wissenschaft noch darüber diskutiert, wo genau Johannes damals wirkte und Israel sowie Jordanien selbstbewusst ihre jeweilige Taufstelle als einen der wichtigsten Orte für die ganze Christenheit deklarieren, ist der Jordan bis heute derselbe geblieben. Den christlichen Pilgern aus aller Welt ist er geradezu ein heiliger Fluss, an dem sie sich Christus sehr nahe fühlen. 

 Karl-Heinz Fleckenstein

01.12.2020 - Glaubensleben , Nahost , Politik