Neue alte Normalität

„Ein wirklich schönes Gefühl“

Die Masken, die seit Beginn der Corona-Pandemie als federleichte Begleiter ebenso unverzichtbar schienen wie Personalausweis und Kreditkarte, sind in vielen Ländern Europas quasi über Nacht zu Auslaufmodellen geworden – anders als in Deutschland. Wie fühlt sich das neue Freiheitsgefühl an? Ein Beispiel aus Ungarn.

Hat er überhaupt noch eine Maske dabei? Bei der Frage kräuselt Peter Balogh die Stirn und wühlt in den Tiefen seiner Umhängetasche. „Ich glaube ja“, sagt der 56-jährige Stadtführer aus Budapest, wird aber letztlich nicht fündig. Für ihn, seine knapp zehn Millionen Landsleute und alle Reisenden ist die Maskenpflicht vorbei: ob in Kirchen, Bussen, Straßenbahnen, Hotels, Restaurants, Geschäften. 

Ungarn ist damit in der zweiten Märzwoche eines der Pionierländer bei der Aufhebung der Corona-Maßnahmen gewesen. Freiwillig setzt kaum jemand mehr die Maske auf. Touristenführer Balogh verspürt nun „ein wirklich schönes Gefühl“, das ihn nicht im Geringsten beunruhigt. Die Inzidenzen oder Hospitalisierungsraten sind seit den Lockerungen nicht gestiegen.

Die Spaltung überwunden

Ausgedient haben auch die Covid-Pässe, die man nirgendwo mehr vorzeigen muss. Für Gäste aus dem Ausland sind zudem sämtliche Einreiseregeln entfallen, selbst Schnelltests sind nicht mehr nötig. Damit sind in Ungarn alle Menschen – ob geimpft oder nicht geimpft – wieder gleich. Die coronabedingte Spaltung der Gesellschaft hat das Land auf diese Weise offenbar überwunden.

Der verpflichtende Mund-Nasen-­Schutz ist auch beim Personal in Hotellerie und Gastronomie entfallen: ob Kellner, die das Essen servieren, oder Barkeeper, die die Cocktails mixen. Das Gewohnheitstier Mensch muss sich nun wieder umgewöhnen. Hatte man bis vor zwei Jahren das Tragen von Masken für eine Art Science-Fiction gehalten oder bestenfalls aus Asien gekannt, verkehrt sich das Ganze nun ins Gegenteil.

Mitte März wurde die Staatsoper in Budapest nach Jahren der Schließung wiedereröffnet. Bei Aufführungen sitzt man wieder dicht an dicht, aber trotzdem ohne Maske – wie vor Corona. Und wenn der Bariton in einem Überraschungsmoment der Inszenierung beginnt, gleich neben den ersten Reihen seine Stimme in den Raum zu schmettern, werden die vielgescholtenen Aerosole fast greifbar. Aber hatte man sich vor 2020 darüber jemals ernsthaft Gedanken gemacht? 

Während die Ungarn buchstäblich ein neues Freiheitsgefühl atmen und im Südwesten Europas auch die Spanier längst wieder auf den Straßen feiern und freudig der Wiedergeburt ihrer Volksfeste entgegensehen, ist in Deutschland noch die Einführung einer Impfpflicht im Gespräch. Das fordert zu Fragen heraus. Kann man es mit Vorsichtsmaßnahmen übertreiben? Können dauerhafte Warnungen überzogen sein und Ängste schüren? Wie sollte eine Exit-Strategie aussehen? 

In Budapest ist Stadtführer Balogh jedenfalls froh, dass „man das mit den Masken losgeworden ist“ und nun wieder die Mimik seiner Mitmenschen erkennt. Der Kontakt zu anderen Leuten sei „erheblich erschwert“ gewesen. Immerhin „einen Vorteil“ habe die Maske gehabt, sagt Balogh und schmunzelt dabei: „Ich musste mich nicht täglich rasieren.“

Andreas Drouve

22.03.2022 - Ausland , Corona , Gesellschaft