Sektenführer Tim Omotoso

Er predigt aus der Einzelzelle

Er ist einer der bekanntesten Sektenführer Südafrikas. Seine evangelikale Freikirche hat selbst in Europa Anhänger. Jetzt muss sich Tim Omotoso vor Südafrikas Oberstem Gerichtshof in Port Elizabeth verantworten – weil er mindestens 30 Frauen als Sexsklavinnen gehalten haben soll.

Die Fragen des Anwalts bohren sich wie ein Dolch in Cheryl Zondis jungen Körper. Die Tränen fließen über ihre Backen. Dabei sitzt die Studentin im Gerichtssaal nicht auf der Anklagebank, sondern im Zeugenstand. Sie sagt gegen ihren mutmaßlichen Vergewaltiger aus: Omotoso, charismatischer Anführer einer evangelikalen Freikirche, soll mehrere seiner Anhängerinnen als Sexsklavinnen gehalten haben. 

Bekanntheit erlangte der Nigeria­ner durch seine Fernsehpredigten. Sie werden mittlerweile bis nach Europa ausgestrahlt. Seine Freikirche, die „Herrschaft Jesu Internatio­nal“, hat ihre Zentrale in Südafrika. Niederlassungen finden sich unter anderem in Frankreich und Großbritannien. Seine Anhänger betrachten den 60-jährigen Charismatiker als spirituelles Medium. Jede Woche zogen seine Predigten Tausende Bewunderer vor die TV-Bildschirme und in die Kirchenbänke. 

„Wie ein Gott“

Dass Omotoso mindestens 30 Frauen nach Südafrika geschmuggelt und dort als Sexsklavinnen gehalten haben soll, stört seine Anhänger nicht. Im Gegenteil: Sie reagieren mit Wut auf die Vorwürfe. Die Ankläger werfen dem selbsternannten Propheten Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und Menschenhandel vor. Umso größer war die Überraschung, als unlängst bekannt wurde: Omotoso hält nach wie vor seine Predigten – per Mobiltelefon aus der Einzelzelle. „Es ist, als beteten sie seine Stimme an. Sie behandeln ihn wie einen Gott“, berichtet eine Frau, die an einem der „Gottesdienste“ teilnahm. 

In Afrika wurde Omotosos Verhandlung zum Exempel nicht bloß für den Missbrauch von Religion, sondern vor allem für Frauenrechte. Täglich kommt es in Südafrika zu fast 200 Sexualverbrechen gegen Frauen. Bislang hatte kein Vergewaltigungsopfer in dem Schwellenstaat es gewagt, unter den Augen der Öffentlichkeit und der TV-Kameras gegen seinen Peiniger auszusagen. 

Für ihren Mut feierte das Land Studentin Cheryl Zondi als Heldin. Sogar mehrere Politiker, darunter Südafrikas Frauen­ministerin Batha­bile Dlamini, waren im Ge-­
richtssaal dabei. Entsprechend schockiert reagierten die Verantwortlichen auf die Todesdrohungen, die die Studentin bald darauf erhielt. Omotosos Unterstützer sollen ein Kopfgeld auf Zondi ausgesetzt haben. Jetzt erhält sie rund um die Uhr Personenschutz.

Die junge Südafrikanerin will von der Herde des „Propheten“ nicht länger als Geisel gehalten werden. Deshalb sagte sie ihrem Peiniger jetzt den Kampf an – und darüber hinaus allen anderen zwielichtigen „Kirchen“-Führern. Ziel ihrer neugegründeten Stiftung ist es, andere Frauen vor sexueller Ausbeutung zu bewahren. „Man mahnt uns zur Vorsicht, wenn wir nachts auf die Straße gehen“, sagt die junge Aktivistin, „aber niemand warnt uns, wenn wir zur Kirche, an einen rituellen Ort oder an eine andere religiöse Stätte gehen.“ 

Nicht der erste Skandal

Aus der katholischen oder der anglikanischen Kirche sind in Südafrika nur vereinzelt Missbrauchsfälle bekannt. Unter den evangelikalen Freikirchen, die hier seit mehreren Jahren regen Zulauf erleben, waren Omotosos 30 Sexsklavinnen jedoch nicht der erste Skandal. 2016 befreite die Polizei 18 Kinder aus den Händen von Sektenführern. Die Gläubigen der „Angel’s Ministry“ lebten in unmenschlichen Zuständen in Barracken. Kinder durften keine Schule besuchen, Erwachsene nicht arbeiten. 

Durch die Skandale erhält die CRL, die staatliche „Kommis­sion­ für die Unterstützung und den Schutz von Kultur-, Religions- und Sprachgruppen“, ungeahnte Presse. Bis vor kurzem war die Religions­behörde selbst in Südafrika nur wenigen bekannt. Das änderte sich schlagartig durch die Skandale um die freikirchlichen „Propheten“. 

Zondis Aussage vor Gericht habe anderen Frauen Mut gemacht, sagt Thoko Mkhwanazi-Xaluva, die Vorsitzende der Religionskommission. „Viele Frauen vertrauten sich uns an. Zuvor wussten sie nicht, zu wem sie gehen sollten.“ Schwierig sei es dennoch für die Frauen gewesen, da viele der Familien, Freunde und Nachbarn noch zur Gemeinde der Freikirchen gehörten. „Die Macht, die die Religion auf sie alle ausübt, ist unglaublich“, sagt Mkhwanazi-Xaluva. 

Ihre Behörde hatte dem Parlament in Kapstadt bereits 2017 empfohlen, alle Kirchen des Landes zu erfassen und durch eigene Religionskomitees zu regulieren. Ziel sei es, Missbrauch vorzubeugen. Das Parlament wies einen solchen Schritt jedoch zurück, da er gegen die Religionsfreiheit verstoße. Der Omotoso-Prozess regt die Diskussion jetzt erneut an.

Markus Schönherr

01.02.2019 - Ausland , Kriminalität