Gegenentwurf zu Wagner und Bayreuth

Salzburger Festspiele – eine Europäische Wiedergeburt

Am Anfang stand Max Reinhardts Traum vom „Theater als Heilung, als Friedensbringer für die zerrissene Welt“, kosmopolitisch und von höchster Qualität, aber so volksnah wie möglich. Bezeichnenderweise war es die Geburtsstadt Mozarts, welche Reinhardts Vorstellungen und Visionen Raum schenkte. Seit 100 Jahren verwandelt sie sich durch herausragende Inszenierungen und Konzerte in die sommerliche Weltmetropole der Hochkultur.

Im April 1918 erstand Reinhardt, damals der bedeutendste Theatermanager Europas, das Salzburger Schloss Leopoldskron. Bald schon gaben sich hier Künstler die Klinke in die Hand, und die Diskussionen kreisten um ein Thema: die kulturelle Wiedergeburt Europas nach den Katastrophen des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe.

In der Bibliothek von Leopolds­kron erfanden das Triumvirat aus Reinhardt, dem Dichter Hugo von Hofmannsthal und dem Komponisten und Dirigenten Richard Strauss die Salzburger Festspiele als Gegenentwurf zu den ihnen allzu elitär und eindimensional erscheinenden Bayreuther Wagner-Festspielen: Salzburg sollte Oper, Konzert und Schauspiel zugleich bieten und verbindende Brücken zwischen politischen, sozialen und religiösen Gegensätzen bauen. 

Am 22. August 1920 erlebte Hofmannsthals „Jedermann“ seine Freiluftpremiere am Domplatz. Die Bühnenbretter stammten noch von einem Gefangenenlager. In den Nachkriegsjahren, als noch ein Teil der Bevölkerung hungerte und Spekulanten zugleich im Überfluss lebten, traf das Stück präzise den Nerv der Zeit.

1922 inszenierte Strauss mit Mozarts „Don Giovanni“ die erste Oper und brachte die Wiener Philharmoniker erstmals in die Provinz. Seitdem betrachtet jenes Weltorchester die Salzburger Konzerthallen als sein zweites Wohnzimmer. Salzburg wurde zum Besuchermagnet, es gab Rundfunkübertragungen in alle Welt.

1929 wurden die Festspiele durch die Weltwirtschaftskrise und den Tod Hofmannsthals erschüttert Dann schossen sich die Nazis auf die Salzburger Hochkultur ein.Propaganda-Minister Joseph Goebbels sprach verächtlich vom „jüdischen Hexensabbat“: Ab 1938 wurden viele Künstler vertrieben oder inhaftiert. Max Reinhardt starb 1943 im New Yorker Exil.

1945: Erneut lag Europa in Trümmern, und abermals stand Salzburg für eine Renaissance. Der Tatendrang des jungen Komponisten Gottfried von Einem ließ die Festspiele wiedererstehen. 

Erwartete Extravaganz

Von 1956 bis 1989 dominierte ein ehrgeiziger Salzburger die Festspiele: Der autoritäre Herbert von Karajan verband musikalische Perfektion mit künstlerischer Langeweile. Karajans Nachfolger betraten oft Neuland. Extravagante Inszenierungen wie jüngst die „Salome“ mit Asmik Grigorian werden vom Publikum fast schon erwartet.

Die diesjährige minimalistische „Così fan tutte“ gilt bereits als eine der besten Mozartinszenierungen seit Jahrzehnten; Dirigentin Joana Mallwitz ist die erste Frau, die in Salzburg eine ganze Aufführungsserie übernimmt. Auch die kometenhafte Karriere von Anna Netrebko beförderte Salzburg.

Vielen glücklichen Zufällen verdankten die Festspiele ihr Überleben. Stets schrieben sie ihre eigenen, oft schier unglaublichen Geschichten: Als 2018 unmittelbar vor der Premiere der „Zauberflöte“ die Königin der Nacht ausfiel, sprang die junge Belgierin Emma Posman ohne Proben ein und wurde zum Festspielstar – eigentlich hätte sie diese Rolle nur in der Kindervorstellung singen sollen.   

Michael Schmid

20.08.2020 - Jubiläum , Kultur , Österreich