Michael Sommer macht Playmobil-Videos

Exodus in zehneinhalb Minuten

„Ich aber sage euch: Ihr verpasst was“, sagt Autor Michael Sommer zu denjenigen, die nicht verstehen, warum man die Bibel vielleicht doch mal lesen sollte. Einmal pro Woche gibt er seinen Zuschauern auf seinem Youtube-Kanal die Möglichkeit, dieses Versäumnis nachzuholen. Mit Playmobil­figuren, Witz und Schärfe widmet er sich ein Jahr lang dem „wichtigsten Buch auf Erden“. Im Exklusiv-Interview spricht er über sein Projekt. 

Herr Sommer, seit 6. Oktober präsentieren Sie auf Youtube „Die Bibel to go“ – dargestellt mit Playmobilfiguren. Nach Klassikern der Weltliteratur konzentrieren Sie sich jetzt auf das Buch der Bücher. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Einerseits ist das ein Selbstbildungsprojekt: Ich habe die Bibel noch nie von Anfang bis Ende durchgelesen. Andererseits kommt man bei der Beschäftigung mit den wichtigsten literarischen Werken der Welt zwangsläufig irgendwann bei der Bibel an. Denn sie ist nun einmal das Buch, das mit Abstand die meisten Spuren in unserer Kulturgeschichte hinterlassen hat.

Gibt es etwas, das Sie an der Bibel anders beeindruckt als an Werken der „moderneren“ Weltliteratur?

Ein wesentlicher Unterschied zu profaner Literatur ist natürlich der Anspruch an Wahrheit oder zumindest Verbindlichkeit, den wir erstens von außen an die Bibel herantragen, der aber zweitens auch inhaltlich von Gott formuliert wird. Ich finde dieses Selbstbewusstsein der Bibel einerseits schön. Andererseits erfordert es aber auch eine große Übersetzungsleistung von mir. Denn niemand von uns will sich beispielsweise heute wirklich an die vielen religiösen Gesetze des Alten Testaments halten – und die meisten von uns betrachten die Schöpfungs­geschichte auch eher als eine Metapher denn als die wörtliche Wahrheit. 

Mehr als andere Bücher zwingt die Bibel also dazu, eine Haltung zu ihr einzunehmen. Und sie lädt zur Diskussion über diese Haltung ein. Das finde ich gut, weil es den sozia­len Austausch, insbesondere über Werte und Normen stärkt. Es birgt aber auch die Gefahr, dass Menschen ihre Meinung zur allgemeinen Norm erheben. Die Bibel stellt also große Herausforderungen an unsere Toleranzfähigkeit.

66 Bücher sollen zusammengefasst, „verplaymobilisiert“, werden. Auf welches Buch oder welche Stellen freuen Sie sich dabei am meisten?

Inhaltlich finde ich beispielsweise das Buch Rut „klein, aber fein“. Im Vergleich mit vielen anderen biblischen Büchern ist es recht kurz, aber es bietet eine klare und auch heute noch berührende Geschichte, in der es um den Umgang mit Fremden geht. Ich freue mich darauf, diese Geschichte zu erzählen. 

Eine Herausforderung wird die Offenbarung des Johannes. Hier ist das mit der Geschichte wesentlich komplizierter: Es gibt viele fantastische Bilder, es gibt viele Dinge, die wichtig sind – und die Entscheidung, welche ich nun versuche, visuell umzusetzen, welche ich nur erwähne und welche ich weglasse, ist echt schwierig. 

Aus gewissen Texten ein Video zu machen, ist bestimmt nicht einfach. Etwa die paulinischen Briefe oder die Evangelien, die ja vom Inhalt her ähnlich sind. Wie wollen Sie das umsetzen?

Soweit im Voraus habe ich noch nicht inhaltlich geplant, aber was die Evangelien betrifft, denke ich, dass ich versuchen werde, die Unterschiede herauszuarbeiten und vielleicht mit unterschiedlichen Besetzungen zu arbeiten, also „Versionen“ der Figuren. Bei den Briefen des Neuen Testaments werde ich Figuren finden, die wichtige Inhalte verkörpern und ansonsten nicht davor zurückscheuen, mein Format neu zu erfinden.

Wie verläuft der Weg vom Lesen der Bibel bis zum Drehbuch und zum fertigen Film?

Zunächst einmal lese ich natürlich, was ich zusammenfassen will. Das dauert am längsten. Als nächstes setze ich mich freitags hin und schreibe ein Skript, was manchmal ziemlich schwierig ist – etwa wenn ein Buch sehr handlungsreich ist wie die Genesis oder gar keine Handlung vorkommt wie bei Leviticus. Anschließend stelle ich die Besetzung aus meinen etwa 1500 Playmobilkollegen zusammen und suche mir Kulissen. Montagmorgens folgen dann der Dreh und die Postproduktion. Ich schicke das Video einem Mitarbeiter von Evangelisch.de für Feedback, arbeite gegebenenfalls Verbesserungen ein – und klicke auf „veröffentlichen“.

Sie sagen, Sie haben etwa 1500 Playmo­bilkollegen. Woher kommen all diese Figuren?

Ich betreibe meinen Youtube-
Kanal „Sommers Weltliteratur to go“ seit Anfang 2015. In dieser Zeit haben sich etwa 1500 Kollegen bei mir angesammelt, manche als freundliche Spenden von Fans. Kinder mussten meines Wissens dafür nicht ausgeraubt werden (lacht).

Auf Ihrer Internetseite ist zu lesen, dass Sie in keiner Kooperation mit Playmobil stehen. Hat sich das Unternehmen dennoch irgendwie über Ihre Videos geäußert?

Der Konzern kennt und begleitet meine Arbeit seit etwa drei Jahren wohlwollend, aber wir stehen in keinem regelmäßigen Austausch.

Bringen Sie auch Ihr eigenes Empfinden in die Videos ein? 

Mein Projekt „Die Bibel to go“ ist eine Auseinandersetzung mit Texten, die für viele Menschen die Grundlage ihres Glaubens bilden. Das bedeutet aber nicht, dass ich Werbung für eine bestimmte Religion oder gar für Atheismus mache. Ich bin ein Fan davon, Bücher selbst zu lesen, und möchte auch andere Menschen dazu animieren – das ist, wenn Sie so wollen, meine Mission.

Mein Projekt ist aufklärerisch, weil es zu den Wurzeln zurückgeht und eine heutige Perspektive einnimmt. Meine Aufgabe ist es nicht, zu predigen oder die Texte zu interpretieren, sondern erstmal nur, sie sicht- und hörbar zu machen. Natürlich kann und will ich dabei meine Haltung, mein Staunen oder mein Befremden nicht verbergen, sondern nutzbar machen. 

Gott hat in Ihren Videos blaue Haare, einen schwarzen und einen weißen Arm, Tattoos und Brüste – ein Bild, das nicht unbedingt sofort an die Bibel denken lässt. Welche Zielgruppe wollen Sie mit Ihren Videos erreichen?

Gott entzieht sich einer Geschlechterzuordnung und über ihre oder seine Hautfarbe wird in der Bibel meines Wissens auch nichts gesagt. Die Tatsache, dass sie/er durch die Kulturgeschichte hindurch als alter weißer Mann mit Bart dargestellt wurde, erzählt etwas über unsere Gesellschaft, nicht über Gott. Die einzige Information, die ich in dieser Hinsicht für relevant halte, ist, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde. Und die Menschheit ist bunt, genauso wie meine Zielgruppe.

Gab es schon Kritik für Ihre Darstellung?

Natürlich haben viele Menschen eine Meinung, wenn es um so zentrale Texte wie die Bibel geht. Manche Kommentare finden meine bisherige Darstellung nicht kritisch genug gegenüber dem „bösen“ Gott des Alten Testaments. Sehr wenige finden die Videos „respektlos“, aber die allermeisten stehen der „Bibel to go“ sehr aufgeschlossen gegenüber und freuen sich über eine unterhaltsame, aber sachlich richtige Aus-
einandersetzung mit dem Buch der Bücher. 

Natürlich bedaure ich es, wenn Menschen durch diese Arbeit ihre religiösen Gefühle verletzt sehen, aber ich finde, dass man auch über wichtige Dinge lachen können muss. Wenn nicht, läuft man Gefahr, sich in eine fundamentalistische Richtung zu bewegen. 

Zu guter Letzt: Was geben Sie Menschen auf den Weg, die nach dem Anschauen Ihrer Videos die Bibel selbst lesen wollen?

Ich finde, dass es eine wichtige Botschaft ist, dass Bücher einem nicht böse sind, wenn man sie nicht akribisch von Anfang bis Ende durchliest. Das kann natürlich eine Herausforderung sein, wie ich sie gerade mit der Bibel betreibe, aber abgesehen vom sportlichen Ehrgeiz: Ich lese nicht alles gleich intensiv. Tatsächlich benutze ich eine Hörbuchversion, die ich immer beim Radfahren höre, und anschließend lese ich noch einmal – aber nicht alles mit der gleichen Aufmerksamkeit. Es ist nicht so, dass wir etwas „erfüllen“ oder „leisten“ müssen, wenn wir uns mit Büchern auseinandersetzen – die sind für uns da, nicht umgekehrt. 

Ich glaube, die Bibel ist ein Buch wie die Welt: Man kann auf jeder Seite unerwartete und bemerkenswerte Menschen kennenlernen. Es lohnt sich, der Bibel eine Chance zu geben!

Interview: Lydia Schwab

05.11.2020 - Christentum , Medien , Unterhaltung