Konflikt um Jerusalem

Explosives Weihnachtsgeschenk

Die Entscheidung von Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen, hat den Nahostkonflikt wieder angefacht – ausgerechnet in der Adventszeit. Das und die angespannte politische und wirtschaftliche Lage haben auch Auswirkungen auf die Christen im Heiligen Land, zeigt die Schilderung von Nahost-Korrespondent Karl-Heinz Fleckenstein.

Bis zum 6. Dezember zeigte die neonstrahlende Weihnachtsdekoration am Ausgang von Jerusalem den Weg nach Betlehem, zu jener Stadt, die mit den Menschen guten Willens rechnet. Auf dem „Manger Square“, dem Krippenplatz vor der Geburtsbasilika, stand ein überdimensionaler Christbaum im Lichterglanz. Ringsherum gruppierten sich Stände für den traditionellen Weihnachtsmarkt.
Dann gingen in Bethlehem im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus, nachdem US-Präsident Trump der Welt sein explosives Weihnachtsgeschenk überreicht hatte: die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels. Damit setzte er sich über alle Stimmen der internationalen Gemeinschaft hinweg, die davor warnten, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.
Die Entrüstung war in der ganzen Welt zu vernehmen: von Berlin bis Tunis, von Riad bis Kairo, von Damaskus bis Beirut. Gleichzeitig erklärte Trump, er sei immer noch bereit, eine Zweistaatenlösung zu akzeptieren. Das muss in den Ohren der Palästinenser wie Hohn klingen. Als hätte nicht jeder Staat das Recht, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen. Warum gilt das nicht auch für Palästina?
Die radikalislamische Hamas rief prompt zu einer neuen Intifada gegen Israel auf. Hunderte Palästinenser lieferten sich Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten. Demonstranten warfen Steine, setzten Autoreifen in Brand. Die Armee reagierte mit  Tränengas und Gummigeschossen. Mehrere Menschen wurden getötet, hunderte verletzt. Die Führer der muslimischen Welt fanden drastische Worte. Manche warnten von einem drohenden Flächenbrand in der ganzen Region.
Die Kirchenoberhäupter von Jerusalem hatten Trump zuvor eindringlich gewarnt, die US-Politik gegenüber Jerusalem nicht zu ändern. Andernfalls drohe ein Schaden, der nicht wieder gutzumachen sei: Jerusalem, die Stadt Gottes, trage die Berufung in sich, eine Stadt des Friedens für die ganze Welt zu sein. Leider sei das Heilige Land in Konflikte verstrickt. Diejenigen jedoch, die Jerusalem lieben, seien von dem Willen beseelt, alles zu tun, damit die Bewohner des Landes und der Stadt in Frieden und Würde leben können.

Gebete dreier Religionen

Die Gebete der Gläubigen – der drei Religionen und der zwei Völker, die zu dieser Stadt gehören – wendeten sich zu Gott in der Bitte um Frieden, schrieben die Kirchenführer von Jerusalem an Trump. Israelis und Palästinenser könnten auf einen nachhaltigen und gerechten Frieden hinarbeiten, sind sie überzeugt. Die Heilige Stadt könne geteilt werden und allen gehören.
Ausgerechnet in der Adventszeit führt die Ankündigung des US-Präsidenten zu einer gefährlichen Zuspitzung des Nahostkonflikts. Ausgerechnet kurz vor Weihnachten, dem Fest des Friedens. Jerusalem dürfe seines Friedens nicht beraubt werden, forderten die Kirchenführer. Sie erinnerten an den Gesang der Engel am Stall von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen guten Willens.“  
An Donald Trump appellierten die Bischöfe: „Wir bitten Sie, Herr Präsident, mit uns auf den Gesang der Engel zu hören. Als die christlichen Führer von Jerusalem laden wir Sie ein, mit uns in der Hoffnung auf einen gerechten, integrativen Frieden einen Weg für alle Völker einzuschlagen in dieser einzigartigen und heiligen Stadt Jerusalem.“ Der Aufruf verhallte ungehört.

Ursprung des Friedens

Mehr denn je erinnert Weihnachten 2017 daran, dass das Heilige Land von seiner Berufung her Ursprung des Friedens für die ganze Menschheit ist, die ihre Gerechtigkeit wiederfinden wird im Sinne der Verheißung des Propheten Jesaja (Jes 2,4): „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“
Die Realität sieht anders aus. Nicht erst seit der jüngsten Eskalation verlassen viele Christen aufgrund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Lage ihre Heimat. Schon lange hat ein schleichender Exodus eingesetzt. Was Papst Paul VI. während seiner Pilgerfahrt zu den Ursprüngen des Christentums 1964 gesagt hat, scheint heute Wirklichkeit zu werden: „Ich befürchte, dass eines Tages hier die Pilger keine lebendigen Steine, sondern nur noch Erinnerungsstätten vorfinden.“
Die wirtschaftliche Lage bringt viele Familien in eine Notsitua­tion, in der die letzten Ersparnisse aufgebraucht sind – mit den bitteren Folgen, dass sie sich nicht mehr in der Lage sehen, für das tägliche Brot ihrer Kinder zu sorgen. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass mit Absperrungen und Einschließungen seitens des israelischen Militärs der Kontakt unter den palästinensischen Städten unterbunden ist. Das macht die Situation noch schlimmer.
Als Folge zeigt sich eine fortschreitende Emigration ins Ausland. Damit einher geht ein Ausbluten Jerusalems, der „Mutter aller Kirchen“. Um den Aderlass zu verhindern, brauchen die Christen, die weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen, Zeichen der Solidarität der westlichen Welt – damit sie spüren, dass ihre Brüder und Schwestern sie nicht im Stich lassen.
Obwohl viele das leck gewordene Schiff verlassen, finden sich gleichzeitig andere, die ihre Berufung als „Sauerteigmenschen“ erkannt haben und gerade deshalb im Land bleiben. Sie wollen sich von niemanden  die Hoffnung rauben lassen, dass am Ende doch das Licht den Sieg über die Dunkelheit davontragen wird. Sie sind überzeugt: Jeder Mensch ist ein Heiligtum Gottes. Alle brauchen Gerechtigkeit und Frieden.
Angesichts des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern lässt sich das so übersetzen: „Lasst uns die Konflikte auf die Seite stellen und uns von Gott reinigen lassen. Eine neue Realität muss geboren werden, indem man den Geist Gottes willkommen heißt, damit er jene führen und leiten kann, die Verantwortung tragen für die Schaffung einer neuen Erde und einer neuen Menschheit. Dieses Land Gottes verdient eine bessere Behandlung durch jener Menschen, die es regieren.“
Das Wort Angst haben Christen, die so denken, längst aus ihrem Wörterbuch gestrichen. Sie verharren in dem Bewusstsein, dass die Liebe jede Art von Furcht vertreibt. Sie glauben an die Macht der Gewaltlosigkeit – ganz im Wortverständnis Mahatma Ghandis von der Macht der Liebe und der Kraft der Wahrheit.
Hatte nicht Ghandi damit Erfolg? Hatte er nicht mit der Macht der Liebe einem ganzen britischen Weltreich die Stirn geboten, bis seinem Land die ersehnte Unabhängigkeit geschenkt wurde? Warum sollte das nicht auch im Land der Bibel möglich sein? Diese sanfte Gewalt ist wie eine Blume, die sich durch einen kleinen Riss im hässlichen Asphalt ihren Weg bahnt und allmählich zu blühen beginnt.
Anzeichen dafür sind die Friedensmärsche mit Tausenden Teilnehmern durch das Westjordanland bis nach Jerusalem. Sie sind Zeichen des Widerstands gegen die israelische Besatzung, aber auch gegen die Selbstmordattentate palästinensischer Fanatiker. Die Teilnehmer sind der Überzeugung, dass alle Finsternis in der Welt auch ein kleines Licht nicht zum Erlöschen bringen kann. Natürlich sind solche Demonstratio­nen noch lange nicht genug, um wirklich etwas zu ändern.
Aber vielleicht sind sie doch ein kleiner Anfang, wie in jenem japanischen Sprichwort: „Wenn du eine 100 Kilometer lange Reise antreten willst, so beginne diese mit dem ersten Schritt!“ Das Heilige Land braucht heute viele solcher kleiner Schritte,  die zeigen, dass in beiden Völkern Kräfte schlummern und mobil gemacht werden können, die Feindesliebe nicht mit sklavischer Unterordnung verwechseln, auch nicht mit Schwäche oder mit dem Aufgeben der eigenen fundamentalen Rechte, sondern die diese Rechte mit der Vehemenz der Gewaltlosigkeit und Liebe verteidigen.  

Brandaktuelle Botschaft

Vielleicht lässt sich so allmählich ein Erziehungsprozess in Gang setzen, sodass sich die Kultur des Nahen Ostens von einer Kultur des Schwerts zu einer Kultur des Olivenzweigs wandelt. Damit ist die Weihnachtsbotschaft auch heute wieder brandaktuell: Friede den Menschen guten Willens, wie ihn die himmlischen Boten auf den Feldern von Bethlehem vor 2000 Jahren verkündeten.
Die Advents- und Weihnachtszeit könnte Anlass sein, allen Christen überall in der Welt die Hand zu einer imaginären Gebetskette zu reichen: „Israelische und palästinensische Kinder möchten wieder unbeschwert lachen können. Gebt ihnen die Chance, zu leben und nicht zu sterben. Gewalttätigkeit wird enden, wenn Israelis entdecken, dass sie von den Palästinensern geliebt werden. Gewalttätigkeit wird enden, wenn die Palästinenser herausfinden, dass sie von den Israelis geliebt werden.“
Und weiter: „Nur die wahre Liebe, frei von eigenen Interessen, kann eine neue Zukunft aufbauen. Wenn beide Völker nicht mehr auf Fanatismus hören, wird die brachiale Gewalt ein Ende nehmen. Wenn beide Völker ein entschiedenes Ja zum Leben sagen, wird die Gewalt ein Ende nehmen. Was wir brauchen, ist echte Freundschaft. Auf dass Israelis und Palästinenser einen Weg der Hoffnung und des Neubeginns finden!“

Karl-Heinz Fleckenstein

14.12.2017 - Ausland , Nahost , Politik