Biarritz nach dem G7-Gipfel

Frankreichs Königin der Strände

„Ich wüsste keinen Ort, der reizvoller und herrlicher wäre als Biar­ritz“, schwärmte der Dichter Victor Hugo, als er 1843 hier in Südwestfrankreich am Atlantik Station machte. Mit der Idylle war es vor wenigen Tagen vorbei, als Biarritz beim G7-Gipfel im Fokus der Weltöffentlichkeit stand. 

Bis Montag erlebte das Städtchen mit 25 000 Einwohnern seinen Ausnahmezustand und avancierte zum Hochsicherheitstrakt. Auf einen Einwohner kamen zwei Polizisten. Wegen Angela Merkel, Donald Trump und Co. blieben der Bahnhof und der Flughafen für das gemeine Volk ebenso geschlossen wie der Hauptstrand – und das inmitten der Hochsaison! 

Urlauber und Anwohner mussten ihre Leidensfähigkeit unter Beweis stellen. Die Auswirkungen reichten bis zur französisch-spanischen Grenze in 30 Kilometern Entfernung: Ein „Antigipfel“ von Globalisierungsgegnern war angekündigt. Nun ist der „Gipfel-Sturm“ vorbei, die Normalität kehrt zurück. Grund genug, das Biarritz der Strände und Kirchen in Ruhe zu entdecken.

Und damit zurück zu Victor Hugo. Er fand ein malerisches weißes Dorf mit roten Dächern und grünen Fensterläden vor und prophezeite mit geradezu hellseherischer Kraft, dass Biarritz Mode machen würde: „Und dieser Tag wird bald kommen.“ Hugo sollte Recht behalten. Bereits im Jahrzehnt darauf wählten Kaiserin Eugénie und Napoléon III. einen kleinen Hügel über dem Hauptstrand als Platz für ihre protzige Sommerresidenz.

Fortan avancierte Biarritz zur Spielwiese der gesellschaftlichen Elite und bekam internationales Flair. Was für Frankreichs Herrscherpaar gut war, hielt auch der hinterher strömende Adel für perfekt. Blau­blütler aus England und Spanien trafen ein, Prinzen aus Osteuropa und jeder, der etwas auf sich hielt und über genügend Geld verfügte. Biarritz war der gern apostrophierte „Strand der Könige, die Königin der Strände“.

Große Fische wie beim G7-Gipfel waren nicht neu in Biarritz, allerdings vor Jahrhunderten anderer Art: Wale. Verwegene Männer zerlegten im Mittelalter ihre Fänge an den Stränden. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war der Walfang die dominierende Einkommensquelle. Fortan dümpelte Biarritz blass durch die Zeiten, bis sich das Blatt der Geschichte durch das erwähnte Kaiserpaar wendete. 

Der Kaiserpalast, längst in das von fünf Sternen gekrönte Nobelquartier „Hôtel du Palais“ verwandelt, setzte ein Ausrufezeichen. Zum Terrain gehörte seinerzeit eine weitläufige Parkanlage, wo sich Eugénie eine separate Privatkapelle erbauen ließ: die Chapelle Impériale, ein Schmuckstück, gehalten in einem stilistischen Mix aus neo-byzantinisch und spanisch-maurisch. 

Intervention in Mexiko

Heute ist der Backsteinbau, der sich ein wenig von umliegenden Häusern bedrängt sieht, der Öffentlichkeit nach Voranmeldung zugänglich. Geweiht ist die 1865 fertiggestellte Kapelle der Patronin von Mexiko, Unserer Lieben Frau von Guadalupe. Sie erinnert an eine fehlgeschlagene französische Mili­tärintervention in Mexiko 1861. Die Bänkchen der Kapelle wirken plüschig, Schmuckkacheln steigen wandaufwärts, die Holzdecke ist modern ausgemalt worden.

Nahebei liegt ein weiterer Sakralbau mit ungewöhnlicher Note, in Außenansicht beherrscht vom Kuppelwerk: die Orthodoxe Kirche, ab 1890 erbaut und gemeinsam der Gottesmutter und dem russischen Nationalhelden Alexander Newski geweiht. Die Kirche belegt die anhaltende Präsenz der russischen Gemeinschaft.

In Biarritz versteht man sich – typisch Frankreich – bestens auf die Selbstvermarktung, beflügelt durch die Facetten der Stadt. Da gibt es den Fischerhafen, den Markt, den Leuchtturm (zuletzt Kulisse eines feudalen G7-Dinners), das Casino im Art-Déco-Stil, den 1888 von Briten begründeten Golfplatz „Le Phare“, die schicken Einkehr- und Bummelzonen um die Rue Mazagran und die Place Sainte-Eugénie. 

Ebendort sticht die Église Sainte-­Eugénie hervor, eine 1903 geweihte Kirche in neogotischem Stil. Im Innern beeindruckt das Gotteshaus durch die von Luc-Olivier Merson und Meisterglasmaler Lesquibes­ geschaffenen Fenster. Dass man es in der Nähe in manch noblen Boutiquen, Brasserien und Patisserien von den Lebendigen nimmt, sei nicht verschwiegen.

Meerwärts geht es zum „Rocher de la Vierge“, dem Felsen der Jungfrau. Namensgeber ist ein Marienbildnis, das seit 1864 Schutz für die Fischer verheißt. Auf den Vorsprung führt eine von Gustave Eiffel konzipierte Eisenbrücke. Dort gibt sich Biarritz plötzlich von anderen Seiten: rau, wild, ungezähmt. Brecher donnern gegen die Felsen und schicken die Gischt als Gruß hinauf. 

In ruhigeres Fahrwasser taucht man im nahen Aquarium ein. Dort heißt es: Und der Haifisch, der hat Zähne. Manch ein Beobachter will da Parallelen zu einem ganz bestimmten Teilnehmer des G7-Gipfels ausgemacht haben: zu einem blonden, besonders „bissigen“ von der anderen Seite des Atlantiks.

Andreas Drouve

29.08.2019 - Frankreich , Magazin , Politik