Israel vor dem Urnengang

Gezänk verdeckt Zukunftsfragen

Regulär würde die Wahl zur 21. Knesset im November anstehen. Wegen Spannungen innerhalb der von Premierminister Benjamin Netanjahu angeführten Regierungskoalition wurde sie auf den 9. April vorgezogen. Der Wahlkampf ist schmutzig, die Parteienlandschaft zersplittert.

Wären die Parteien in Israel Spielkarten, dann gliche die israelische Parteienlandschaft einem Kartenspiel, dem vor jeder Parlamentswahl neue Karten zugefügt werden. Alte werden entnommen, manche halbiert und mit anderen halben zusammengesetzt. Kadima („Vorwärts“) beispiels-weise wurde 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon gegründet. Er war gleichzeitig Vorsitzender des Likud, der größten konservativen Partei Israels. Auf Anhieb gewann Kadima die Parlamentswahl. Nach Querelen löste sie sich 2015 auf. Als Nachfolgepartei gilt Ha-Tnu’a („Die Bewegung“), doch hat sich Gründerin Tzipi Livni, einstige Mossad-Agentin und frühere Außenministerin, kürzlich aus der Politik verabschiedet. 

Statt Netanjahu regieren

Neu ist dagegen seit gut drei Monaten Benny Gantz, von 2011 bis 2015 Generalstabschef der Armee. Prompt nannte ihn die Zeitung „Die Welt“ den Mann, „der Netanjahu gefährlich werden könnte“. Seine neugegründete Widerstandspartei Chosen LeJisra’el ging Mitte Februar mit Jair Lapid von der Zukunftspartei Jesch Atid ein Bündnis unter dem Namen „Blau-Weiß“ ein. Ihr Ziel ist es, Premierminister Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu entfernen. Im Falle eines Wahlerfolgs wollen sich Gantz und Lapid als Regierungschefs abwechseln.

Wieder einmal wählt Israel vorzeitig ein neues Parlament. Grund waren Spannungen innerhalb der rechts-religiösen Koalition aus sechs Parteien, die viele Beobachter als die rechteste Regierung in der 71-jährigen Geschichte des Landes werten. Als Netanjahus Partner Jisra’el Bei­tenu („Unser Zuhause Israel“), auch wegen Missbilligung einer Waffenruhe im Gaza-Streifen, die Koali­tion verließ, verfügte der Premier nur noch über eine hauchdünne Mehrheit von zwei Sitzen in der Knesset. Im Dezember entschied das Parlament seine Auflösung.

„Der Versuch, die bevorstehenden Wahlen zu verstehen, kann verwirrend sein“, meint die US-amerikanische Jewish Telegraphic Agency. Mit 47 angemeldeten Parteien ist eine Rekordzahl erreicht. Welche davon werden die etwa sechs Millionen Wahlberechtigten in Israel über die Sperrklausel von 3,25 Prozent hieven? Und wie werden die Kandidaten der 20-prozentigen arabischen Minderheit, der so genannten Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit, abschneiden? 

Das Vier-Parteienbündnis Vereinigte (arabische) Liste ist passé.  Stattdessen gibt es zwei Bündnisse: Die Chadasch-Partei von Ayman Odeh und die Arabische Bewegung für Erneuerung von Ahmad Tibi haben sich zusammengetan, ebenso wie Ra’am und Balad. 

Der Wahlkampf ist gerade einmal drei Monate alt und voller Anschuldigungen, Skandale und Paukenschläge. Für letztere sorgte mehr als einmal Justizministerin Ajelet Schaked, die Ende 2018 mit Bildungsminister Naftali Bennett die 2008 gegründete Partei HaBajit haJehudi („Jüdisches Zuhause“) verließ und „Die Neue Rechte“ gründete. Auf deren Internetseite ist sie mit Deutschlands Außenminister Heiko Maas bei einem gemeinsamen Helikopterflug zu sehen. 

Parfüm und Klaviermusik

Für Empörung sorgte ein Video, in dem die meistfotografierte Politikerin Israels in der Aufmachung eines Models für ein Parfüm wirbt. Die Unterzeile dazu: „Faschismus – von Ajelet Schaked.“ Die Vermutung, dass linksliberale Parteien Schaked in ein schlechtes Licht rücken wollten, bestätigte sich nicht: Es handelte sich tatsächlich um eine Werbekampagne ihrer neuen Partei. 

Zu sanfter Klaviermusik säuselt Schaked unter anderem: „Einschränkung des juristischen Aktivismus, Ernennung von Richtern, Einschränkung des Verfassungsgerichts. Faschismus …“, dann sprüht sie sich etwas Parfüm auf und versichert: „Für mich riecht das nach Demokratie.“

Die Kandidatur verboten hat Israels Oberstes Gericht Michael Ben-Ari von der Partei „Jüdische Kraft“. Ihm war von der Staatsanwaltschaft „Aufruf zum Rassismus“ vorgeworfen worden. Er habe israe­lische Araber als „verräterisch und mordlustig“ beschrieben und mache „ethnisch-nationalistisch Stimmung gegen die arabische Bevölkerung“, hieß es zur Begründung.

Inhaltsleerer Wahlkampf

Genau dies verurteilen Friedensaktivisten wie Gideon Baskin. Er ist entsetzt über den inhaltsleeren Wahlkampf, in dem Themen wie Wirtschaft oder Frieden mit den Palästinensern nicht vorkommen. Scharf kritisiert er die seiner Meinung nach hass­erfüllten Äußerungen Netanjahus und anderer Politiker gegen die palästinensische Minderheit im eigenen Land. „Was ist aus unserer Gesellschaft geworden?“, fragt er. „Woran erinnern wir uns als Juden, mit unserer 2000 Jahre alten Erfahrung als verfolgte Minderheit?“ 

Baskin kann sich nicht vorstellen, was Israelis sagen würden, würde ein ähnlicher Wahlkampf in einem europäischen Land geführt werden. Internet-Aktivist Amos Gvirtz macht den „Rassismus der Regierung“ dafür verantwortlich, dass „Rassismus und Heuchelei normal“ geworden seien im jüdischen Staat. 

Und Netanjahu? Auf Wahlplakaten schüttelt er Donald Trump die Hand. Sein US-Freund hat ihm mit der Anerkennung von Israels Souveränität über die 1967 eroberten Golan­höhen kürzlich ein großes Wahlkampfgeschenk gemacht. Kann dies die Anklageerhebung wegen Korruption, Betrugs und Vertrauensmissbrauchs durch den Generalstaatsanwalt in den Hintergrund drängen? Dafür drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. 

Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen „Blau-Weiß“ und dem Likud sowie den Einzug von zwölf Parteien oder Bündnissen in die Knesset voraus. Die Parteienlandschaft droht sich weiter aufzusplittern. Nur: Die Orientierung scheint zu fehlen, der Kompass abhandengekommen. Wohin geht die Reise? Eines steht fest: Aussöhnung und Frieden steht bei den allermeisten Parteien nicht auf der Tagesordnung. Johannes Zang

08.04.2019 - Ausland , Nahost , Politik