Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai

Recherchen auf heißem Pflaster

Weltweit nutzen immer mehr Reporter die Möglichkeiten des Internets und lokaler Radiosender, um Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen. In Guatemala geht es indigenen Gemeindereporterinnen oft darum, den Angehörigen ihrer Völker und besonders den Frauen eine Stimme zu geben. Dabei werden sie von kirchlichen Gruppen unterstützt.

Kameramänner in Jacken mit den Logos kleiner Produktionsfirmen filmen einen Protestzug in Guatemala-­Stadt. Eine Fotografin stellt sich auf eine Parkbank, um die Demons­tration besser ablichten zu können. Indigene Reporterinnen nutzen ihre Smartphones, um Fotos zu machen und Interviews aufzunehmen. In der Menge tauchen mal hier, mal da der braune Hut und die farbenfrohe Tracht der Gemeindereporterin Angela Cuc auf. 

Frauenrechte respektieren

Die junge Frau recherchiert für eine Reportage über die Lebenswirklichkeit von Maya-Frauen in Guatemala. „In einem Land wie diesem ist es sehr schwierig, sicherzustellen, dass die Rechte einer Frau respektiert werden“, sagt sie und wischt Schweißtropfen von ihrer Brille. „Uns steht ein Staat gegenüber, der vom ‚Machismo‘ geprägt ist: Seine Strukturen sind frauenfeindlich und patriarchal. Wer versucht, in den großen Medien Berichte über die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung unterzubringen, hat es schwer.“

Angela Cuc stammt aus dem Mayavolk der Kaqchikel. Sie schreibt für verschiedene alternative Publikationen in Guatemala und arbeitet als Korrespondentin für ein indigenes Radioprogramm in der Hauptstadt Quito. Im hinteren Teil des Protestzugs trifft sie auf einige Mitglieder der interreligiösen Vereinigung „Centinelas“. Die Frauen und Männer tragen ein Banner, auf dem geschrieben steht: „Das Gesicht der Kriminalisierung ist weiblich, aber die Tapferkeit auch.“

Die Pressesprecherin der Vereinigung, Mayra Rodriguez, sagt: „Die Kriminalisierung nimmt zu und immer häufiger sind mutige Frauen betroffen. Sie kämpfen gegen ein System, das von korrupten Machenschaften und persönlichen Interessen manipuliert wird. Wir verlangen Gerechtigkeit für alle Frauen, die verfolgt werden, weil sie ihre Rechte einfordern. Die ständige Bedrohung erzeugt ein Klima des Terrors.“

Gegen Zensur und Korruption

In einer Weltrangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ für das vergangene Jahr steht Guatemala im unteren Drittel. Die Vereinigung „Centinelas“ bemüht sich seit Jahren, Gläubige verschiedener Religionen im Engagement gegen Zensur und Korruption zusammenzuführen. Vor allem katholische und evangelikale Christen machen mit, aber auch Juden, Muslime, Buddhisten und Angehörige der Mayareligion. 

Gemeinsam fordern sie ein Ende der Gewalt und mehr Transparenz in Wirtschaft und Politik, erklärt Mayra Rodriguez: „Wir haben den Anspruch, dass Personen, die an einen Gott glauben, bereit sein sollten, sich für eine gerechte Sache einzusetzen. In Guatemala leidet die Hälfte der Kinder an chronischer Unterernährung. Das muss sich ändern. Frauen, die verfolgt werden, weil sie über Korruption schreiben und für Verbesserungen kämpfen, sind für uns ein Vorbild der Würde.“

Mayra Rodriguez ist Politik­wissenschaftlerin und forscht zu Wechselwirkungen zwischen Politik und Religion. Als katholische Aktivistin bemüht sie sich, in verschiedenen Glaubensgemeinschaften politisches Engagement zu mobilisieren. Ihrer Meinung nach kann die Berichterstattung indigener Journalistinnen einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Wohl der Gemeinschaft

„Die Kirchen sollten die Arbeit der Lokalreporterinnen nutzen, um die Gesellschaft für die Situation der indigenen Gemeinden zu sensibilisieren“, sagt sie. „Als Christinnen sind wir bemüht, unser Handeln mit dem Anspruch des Evangeliums in Einklang zu bringen. Es geht darum, das Wohl der Gemeinschaft zu fördern und für Gerechtigkeit einzutreten. Jesus hat uns dazu aufgerufen, unsere Nächsten zu beschützen. Wir bemühen uns um Aufmerksamkeit für diejenigen Kameradinnen, die verfolgt werden.“

Angela Cuc hofft, dass solche Unterstützung dazu beiträgt, sie und ihre Kolleginnen vor Übergriffen zu schützen. In Lateinamerika gilt nur Mexiko als noch gefährlicher für Journalistinnen. „Wer in Guate­mala journalistisch arbeitet, hat sich schon immer auf Konfrontationskurs zur Regierung begeben. Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme. Wenn du darüber berichtest, wie indigene Frauen ihr Land verteidigen, wirst du von der Regierung als Staatsfeind angesehen.“

Einst gab es eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung in Guatemala: Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg offiziell zu Ende ging,  erlebte die Gesellschaft Fortschritte in ihrer demokratischen Entwicklung. Die Pressefreiheit wurde einige Jahre lang von den meisten staatlichen Institutionen respektiert. Viele Menschen gewöhnten sich daran, die Regierung weitgehend ohne Angst zu kritisieren. 

Zwei Jahrzehnte später überwiegen die Rückschläge. Heute werden wieder viele Menschenrechtsaktivisten, kritische Reporter, aber auch unabhängige Richter und Mitarbeiter der Kirchen eingeschüchtert und bedroht. Es kommt zu Anschlägen und Morden. Staatsanwälte, die Fälle von Korruption aufdecken, werden mittels fadenscheiniger Vorwürfe diskreditiert. 2022 wurden mehr als 300 Angestellte des Justizsystems inhaftiert. Diese Atmosphäre der Angst treibt Oppositionelle ins Exil. 

Korruption und Rassismus

Mayra Rodriguez macht sich vor allem Sorgen um mittellose Frauen, die es wagen, öffentlich Korruption und Rassismus anzuklagen. Ihnen fällt es besonders schwer, sich im Labyrinth der Willkür des Justizsystems gegen frauenfeindliche Verleumdungen zu verteidigen. „Wir verlangen, dass die Kriminalisierung der indigenen Gemeindereporterinnen aufhört. Die korrupten Politiker haben es auf diejenigen Personen abgesehen, die ihnen im Weg stehen. Für sie sind die Berichte der Frauen wie störende Steine im Schuh.“

Angela Cuc weiß, dass eine plurale Berichterstattung in Guate­mala ein sehr weit entferntes Ziel ist: „Wir Mayas werden bis heute als der Feind angesehen. Viele Leute können nicht akzeptieren, dass wir indigenen Frauen Widerstand leisten. Deshalb wollen sie verhindern, dass wir ein Mikrofon in die Hand nehmen und uns an der Berichterstattung beteiligen.“

Konflikte mit der Polizei

Die meisten Kolleginnen von Angela Cuc sind noch jung. Trotzdem hatten viele bereits Konflikte mit der Polizei. Der einen wurde die Fotoausrüstung konfisziert; die andere wurde festgenommen und verhört; manche wurden geschlagen. Angela Cuc selbst musste mehrere Nächte in einer Zelle verbringen, bis ein Richter sie freisprach – weil es keinerlei Beweise für den Vorwurf gab, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. „Die Angst ist eine ständige Begleiterin. Auf den Schutz der Polizei können wir nicht zählen.“

Als der Demonstrationszug den zentralen Platz der Hauptstadt erreicht, führt eine Gruppe Mädchen vor der Kathedrale der Erzdiözese einen Tanz auf. In dem Gebäude dahinter sitzt die Sozialwissenschaftlerin Gloria Gonzales an einem Schreibtisch. Sie berät die guatemaltekische Bischofskonferenz in Fällen von Landkonflikten und bei der Ausarbeitung von Projekten zur ländlichen Entwicklung. 

„In letzter Zeit beobachten wir eine neue Dynamik“, sagt sie. „Früher waren die Anführer der Kämpfe indigener Gemeinden meist männliche Katecheten. Jetzt geht es immer häufiger um die Bewahrung der Schöpfung und die Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Häufig stehen Frauen an der Spitze des Widerstands. Mag sein, dass ihre Identifikation mit Mutter Natur besonders ausgeprägt ist.“

Gonzales hält es für eine wichtige Aufgabe der Kirche, diese Frauen zu unterstützen. Viele werden verfolgt, weil sie sich für den Schutz der Natur einsetzen. „In diesem Land leben wir alle in Gefahr. Aber das Risiko der Anführerinnen sozialer und ökologischer Bewegungen ist besonders groß. Einige mussten das Land verlassen. Andere sind geblieben und ertragen die ständige Bedrohung. Manche sind im Gefängnis.“

Ab und zu beschäftigt das Menschenrechtszentrum der Diözese auch indigene Reporterinnen, die aus abgelegenen Gemeinden berichten. Die Jurastudentin Ana Matzir arbeitet als freischaffende Videoproduzentin: „Ich bemühe mich, immer auch Mitglieder der verarmten Dorfgemeinden zu Wort kommen zu lassen und ihre Entwicklungsprozesse zu stärken. Manchmal geht es darum, Aufmerksamkeit für politische Gefangene zu schaffen. In letzter Zeit habe ich über den Widerstand einiger Gemeinden gegen Bergbauprojekte recherchiert.“

Interessen der Mächtigen

Auf solche Berichte wartet man in den Nachrichtensendungen der nationalen Fernsehkanäle vergeblich. Die meisten Redaktionen achten darauf, den Interessen der Mächtigen nicht zu schaden. Matzir versteht ihre unabhängige journalistische Arbeit als Opposition zu diesem Medienmonopol. Sie will die Aufmerksamkeit auf Entwicklungen lenken, die die Gesellschaft weitgehend ignoriert: auf Umweltzerstörung beispielsweise. Damit richtet sie sich oft gegen die Interessen finanzstarker Unternehmen.

Gloria Gonzales weiß, dass sich Reporterinnen wie Angela Cuc und Ana Matzir damit in Gefahr bringen: „Sie begeben sich ins Auge des Hurrikans. Dort sind sie nicht nur deshalb besonders gefährdet, weil sie Frauen sind, sondern auch, weil sie einem Mayavolk angehören. Ihre Stimmen sind wichtig. Sie können viele andere Menschen informieren und mobilisieren. Deshalb bemühen wir uns, ihnen mehr Gehör zu verschaffen.“

Andreas Boueke

28.04.2023 - Ausland , Journalismus , Korruption