Es ging um „Deutsche Volksheilkunde“, um Regenwürmer und um biologisch-dynamischen Heilkräuter-Anbau: Neben dem Konzentrationslager Dachau unterhielt die SS eine sogenannte Plantage, um dort über Anbaumethoden zu forschen. Vor allem katholische Priester, holländische und norwegische Geistliche sowie jüdische Häftlinge mussten im „Kräutergarten“ schwere Arbeiten verrichten. Hunderte kamen zu Tode.
Heute stehen die historischen Bauten und ehemaligen Gewächshäuser vor dem Verfall. „Man betrieb dort die Erforschung und Verwertung von Wirkstoffen“, sagt Historikerin Anne Sudrow, die die Geschichte der Plantage erforscht. Es gibt keine Wegweiser und keine Informationstafeln. Nur der Straßenname „Am Kräutergarten“ verweist auf die Vergangenheit des Ortes.
An der Alten Römerstraße schräg gegenüber dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau gelegen, verfallen die ehemaligen Verwaltungsgebäude des Kräutergartens. Gleiches gilt für die Gewächshäuser, bei denen teilweise nur noch die Metallskelette der Glaseinfassungen erhalten sind. Am Boden zeichnen sich noch die Umrisse der ehemaligen Pflanzenbeete ab. Heute führt der Amper-Radwanderweg durch das Gelände, das bislang der Stadt Dachau gehört.
Unabhängigkeit von ausländischen Rohstoffen
Hier, erzählt die Historikerin, unternahm die „Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung“ der SS auf 211 Hektar den Anbau von Nutzpflanzen. 57 Hektar waren für Kräuter vorgesehen. Neben der Anlage in Dachau gab es Außenstellen: zum Beispiel die „Erlhofplatte“, ein „Alpengarten“ in 1400 Meter Höhe in den Salzburger Alpen. Hier wurden Bergkräuter erforscht.
Was nach harmloser Pflanzenzucht klingt, war eine skurrile Mischung aus Ideologie und biologisch-dynamischen Anbaumethoden, aus Esoterik und Ausbeutung, aus Terror und Ökonomie. Seit 1938 wurde durch die Zwangsarbeit der Lagerhäftlinge ein gigantischer Heil- und Gewürzkräutergarten angelegt. 1939 wurden auf einer Fläche von mehr als 100 000 Quadratmetern 68 000 Pfefferminzpflanzen, 106 000 Thymianpflanzen und 30 000 Sträucher eingesetzt, darunter 22 000 Johannisbeersträucher.
Das Unternehmen sollte zur Unabhängigkeit des Deutschen Reichs von ausländischen Rohstoffen beitragen. Die angebauten Kräuter waren Grundbestandteile eines Pfefferersatzes: des „Prittelbacher Pfeffergewürzes“. „Davon wurden 156 000 Kilogramm produziert“, weiß Historikerin Sudrow. Die Kräuterplantage war einer der wenigen erfolgreichen SS-Betriebe.
Ausbeutung der Häftlinge bis zum Tod
1940 orderte die Waffen-SS für 80 000 Reichsmark 4000 Kilogramm Gewürze. 1943 wurden rund 121 000 Kilogramm Ersatzpfeffer verkauft. Angebaut wurde biologisch-dynamisch. Der wirtschaftliche Erfolg beruhte auf der Ausbeutung der Häftlinge. Die Arbeitskommandos mussten pro Tag zwölf Stunden arbeiten. Bereits im ersten Jahr kamen 107 Häftlinge ums Leben.
Die Arbeit musste in gebückter oder hockender Haltung verrichtet werden, die Überwachung auf dem freien Felde war scharf. Mitunter wurden jüdische Häftlinge von den SS-Wachmännern aus der Umzäunung gejagt, um dann niedergeschossen zu werden. Bis 1940 starben 429 Menschen auf der Plantage. Von 1939 bis 1945 wurden 800 Tote gezählt.
Bei jedem Wetter
Einer Anweisung von SS-Führer Heinrich Himmler zufolge sollten vor allem gefangene Geistliche im „Kräutergarten“ eingesetzt werden. Der evangelische Pastor Bruno Theek erinnerte sich: Bei jedem Wetter mussten die Lagerinsassen von morgens bis abends auf dem Boden liegend Unkraut jäten, die schwere Walze ziehen oder graben – immer angetrieben von den Schlägen der Kapos. Und stets nur mit dem dünnen Häftlingsanzug bekleidet.
Die meisten Geistlichen auf der Plantage, die 1942 und 1943 starben, hätten sich wegen der schweren Arbeit den „Todeskeim“ geholt, berichtete der katholische Priester Hans Carls. „Das Arbeitskommando war ein Todeskommando“, meint Anne Sudrow. 1000 bis 1200 Häftlinge waren im Sommer auf der Plantage beschäftigt.