Vor 100 Jahren geboren

Heinrich Böll: Überzeugt unbequem

Mitten im Grauen des Zweiten Weltkriegs schrieb der junge Soldat Heinrich Böll in einem Feldpostbrief an seine Frau: „Ich werde dich wiedersehen und arbeiten für die Wirklichkeit und Wahrheit des Christentums … Das wird eine große Aufgabe sein nach dem Krieg.“ Tatsächlich begriff Böll seine schriftstellerische Tätigkeit als göttlichen Auftrag, nach 1945 die Erfahrungen von Krieg, Leid und Diktatur niemals in Vergessenheit geraten zu lassen.

Am 21. Dezember 1917 wurde Heinrich Theodor Böll in Köln geboren, als achtes Kind einer Handwerkerfamilie aus der Südstadt. Im zutiefst katholischen Elternhaus spielte der Glaube eine zentrale Rolle: Das Armutsideal im Urchristentum faszinierte den jungen Heinrich. Zeitlebens wollte er sein Handeln an Menschlichkeit und Toleranz ausrichten. In der Inflationszeit ging die väterliche Schreinerei bankrott. Die Familie musste in eine ärmlichere Wohnung umziehen – eine traumatische Erfahrung. 

Nach Besuch eines humanistischen Gymnasiums begann Böll eine Buchhändlerlehre, brach diese aber bald ab und schrieb sich in Köln für ein Germanistikstudium ein. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und erlebte ab Oktober 1943 das Grauen an der Ostfront. Von nun an sollte Böll als wortgewaltiger Kritiker von Krieg und Militarismus auftreten. Während eines Fronturlaubs heiratete er Annemarie Čech. Die junge Familie wurde ausgebombt, und Bölls erster Sohn starb im Alter von drei Monaten. 

In den ersten Nachkriegsjahren entstanden einige von Bölls eindrücklichsten Kurzgeschichten wie „Wanderer, kommst du nach Spa…“ sowie der Roman „Kreuz ohne Liebe“. Sein Roman „Der Engel schwieg“ wurde allerdings vom Verlag abgelehnt und erst 1992 posthum publiziert. Bölls Durchbruch kam 1951, als er auf Vorschlag Alfred Anderschs zur „Gruppe 47“ eingeladen und dort mit einem Preis geehrt wurde. In den nächsten 20 Jahren gelangen Böll seine bedeutendsten Werke, darunter „Und sagte kein einziges Wort“ (1953), „Ansichten eines Clowns“ (1963) und „Gruppenbild mit Dame“ (1971). 

Als Anwalt der Mitmenschlichkeit trat Böll für die Außenseiter, Unangepassten und Verlierer in einer rücksichtslosen, konformistischen Gesellschaft ein. Sprache begriff er als letzten Hort der Freiheit. Böll hielt der restaurativen Adenauer-Zeit den moralischen Spiegel vor: Ehemalige Nazis kamen wieder zu Amt und Würden, und Böll sah unter dem materialistischen Diktat des Wirtschaftswachstums eine gottlose, heuchlerische Gesellschaft heranwachsen. Auch mit der damaligen katholischen Amtskirche und ihrer Rolle in der NS-Zeit ging Böll scharf ins Gericht und trat 1976 sogar aus der Kirche aus. 

Geehrt in rauen Zeiten

Die westirische Insel Acaill wurde zu seiner zweiten Heimat. Sein „Irisches Tagebuch“ (1957) ist eine Hommage an sie. Als er in Zeiten des RAF-Terrors auf der strikten Wahrung der Rechtsstaatlichkeit beharrte, wurde er Opfer einer medialen Schmutzkampagne und als Sympathisant der RAF denunziert. Böll antwortete mit seinem Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Auf dem Höhepunkt der Hexenjagd gegen ihn wurde er 1972 mit dem Literaturnobelpreis geehrt. In den 1980er Jahren wurde er zu einer Ikone der Friedensbewegung. 1983 beteiligte er sich an einer Sitzblockade gegen die Nato-Nachrüstung. 

Am Morgen des 16. Juli 1985 starb Böll, der mit seiner Feder den Humanismus zu verteidigen suchte und sich von keinem politischen Lager vereinnahmen ließ, in seinem Haus in Langenbroich. An der Trauerfeier nahm auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker teil.

Michael Schmid

21.12.2017 - Deutschland , Historisches