Gedenktag am 17. September

Hildegard ist hier überall präsent

EIBINGEN – Schwester Hiltrud aus der Benediktinerabtei St. Hildegard schwärmt: „Eibingen ist der spirituellste Ort der ganzen Welt.“ Das ist wohl etwas übertrieben. Für die Nachfol­gerinnen der heiligen Hildegard im Kloster hoch oben über Rüdesheim ist da aber sicher viel Wahres dran.

Hildegard ist hier, in der Wallfahrtskirche, mit ihren Reliquien noch immer präsent: Schädel, Haar, Herz und Zunge sind in einem Schrein verwahrt, der seit 1857 an Hildegards Gedenktag durch Eibingens Straßen getragen wird.

Wegen der Ordensfrau kommen die meisten Pilger, die den Reliquienschrein jährlich zur Prozes­sion durch das festlich geflaggte Dörfchen begleiten. „Sie wollen Hildegard von Bingen begegnen“, sagt Schwester Hiltrud, die für die Organisation mitverantwortlich ist. 

In jüngerer Zeit reisen auch immer mehr Gläubige aus Asien an. Nach ihrer Erhebung zur Kirchenlehrerin hat Hildegard von Bingen viele neue Freunde gefunden. „Am wichtigsten aber“, sagt Schwester Hiltrud, „ist das Fest für die Re­gion.“ Auf dem Platz vor der Pfarrkirche, wo Hildegards Reliquien auf einem Außen­altar aufgestellt sind, treffen sich die Pilger. Viele sind mit dem Bus aus der Umgebung gekommen, um gemeinsam zu beten und zu singen. 

Am Todestag der Heiligen beten viele selbstbewusst: „Heilige Hildegard, du Leuchte der Kirche, du Lehrmeisterin der Vollkommenheit, du Kämpferin für Wahrheit und Recht, du leuchtender Stern in den Wirren der Zeit.“ 

Zum Fest hängen rot- und gelb-weiße Fähnchen vor den Häusern. Bildnisse der Ordensfrau aus Holz und Keramik stehen in den Fenster­nischen, gerahmt von Blumen, Kerzen und Häkeldeckchen. 

„Wer Andenken kaufen will, soll hoch ins Kloster kommen“, sagt Schwester Hiltrud. Ein Pendelbus zwischen Kirche und Kloster erleichtere den Weg. Hildegards Name locke die Pilger ins Kloster hinauf. „Aber eine spirituelle Begegnung mit ihr ist nur unten in der Pfarrkirche möglich“, weiß Hiltrud. 

„Bitte für uns ...“

Viele Gespräche an Hildegards Todestag drehen sich um Leiden und Krankheiten. Um Krebs zum Beispiel, der immer wieder Pilger nach Eibingen reisen lässt. Um Ärzte, die nicht mehr weiterhelfen können. Für manchen Kranken ist das Fest die letzte Hoffnung. Auch für den einen oder anderen im Rollstuhl. ­„Bitte für uns, heilige Hildegard“, beten die Gläubigen, während der Reliquienschrein im Dorf unterwegs ist. 

Eibingens Wallfahrtskirche geht auf ein im Jahr 1165 von Hildegard von Bingen neu besiedeltes Kloster zurück, in dem Ende des 16. Jahrhunderts aber nur noch drei Schwestern lebten. Nach Zerstörung des Binger Klosters Rupertsberg, wo Hildegards Schrein bis dahin aufbewahrt worden war, kamen ihre Reliquien Mitte des 17. Jahrhunderts nach Eibingen. 1831 wurde die Klosterkirche zur Pfarrkirche, die ein Jahrhundert später einem Brand zum Opfer fiel und ganz neu aufgebaut wurde. 

Während der letzten großen Renovierung Ende des 20. Jahr­tausends lagerte man den Reliquienschrein ins Kloster aus. Behalten aber wollte man ihn nicht. Schon beim Bau des Klosters im Jahr 1904 hatte man sich darauf geeinigt: Hildegards Reliquien bleiben in der Wallfahrtskirche im Dorf, wo sie das ganze Jahr über von Pilgern besucht werden. 

„Die meisten kommen, um Heilung bei Krankheit zu finden“, sagt Schwester Hiltrud. „Andere machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz oder suchen schlicht einen Partner.“

Günter Schenk

Information

Das Fest beginnt am Montag, 17. September, um 10 Uhr mit einem feierlichen Pontifikal­amt auf dem Platz vor der Kirche. Um 15 Uhr ist die Reliquienfeier mit Fest­ansprache und Prozession mit dem Schrein. Um 18 Uhr findet in der Abteikirche St. Hildegard die Hildegardisvesper statt.