Politikwissenschaftler vermutet Einfluss der NS-Politik auf islamische Welt:

Importierter Judenhass?

Der Antisemitismus in der arabischen Welt fiel nicht vom Himmel, sondern kam aus Berlin. So lautet verkürzt die umstrittene These des deutschen Politikwissenschaftlers Matthias Küntzel. 1937 exportierte demnach die Nazi-Broschüre „Islam und Judentum“ eine neue Form von Judenhass. Erstmals sei so die Idee eines zu bekämpfenden „Weltjudentums“ in der muslimischen Welt gestreut worden. 

Die Nationalsozialisten versuchten, ihre Botschaften vor allem mit arabischsprachiger Radiopropaganda in der islamischen Welt zu verankern. Küntzels neues Buch „Nazis und der Nahe Osten“ beleuchtet dieses Kapitel der deutschen Vergangenheit. Es präsentiert neue Archivfunde, die belegen, wie sich das Judenbild im Islam ab 1937 unter dem Einfluss der Nazi-Politik veränderte und bis heute nachwirkt.

Im Dezember 1941 verkündete die halboffizielle „Deutsche Wochenschau“ in Kinos im ganzen Reich, der „Führer“ persönlich arbeite mit Muslimen zusammen. Das Treffen Adolf Hitlers mit dem Großmufti von Jerusalem, Mohammad Amin al-Husseini, war demonstrativer Höhepunkt einer bereits länger bestehenden Zusammenarbeit. 

Schon vor Kriegsbeginn versuchten die Nazis, die arabische Welt auf ihre Seite zu ziehen. Bereits im August 1937 wurde in Kairo die Schrift „Islam und Judentum“ veröffentlicht und auf der ersten pan-arabischen Konferenz verteilt. Es war das erste Dokument, das den muslimischen Antijudaismus, die Feindschaft Mohammeds gegen die Juden in Medina, mit dem europäischen Antisemitismus verband. 

„Plötzlich ging es um das ‚Weltjudentum‘, das den Islam zerstören will“, sagt Künzel. „Das war ein ganz neuer Schritt und eine neue Etappe in der Geschichte des Antisemitismus.“ Zwar gibt der Politologe zu, dass es in der arabischen Welt immer schon einen latenten Antijudaismus gegeben hat. Er lag in einem Gefühl der Überlegenheit der Muslime gegenüber den schutzbefohlenen Dhimmmis begründet – meist Christen und Juden, die bestenfalls geduldet waren.

Die Nazis verstanden es, diese Haltung gegenüber Juden in einen politischen Antisemitismus umzuwandeln – so Küntzels These, der in jüngeren Jahren in linksradikalen Kreisen aktiv war. Allerdings mussten sich die Nazis zu dieser Linie erst durchringen. Schon im Ersten Weltkrieg war die Taktik der deutschen Heeresführung gescheitert, einen arabischen Dschihad gegen die Entente auszurufen. 

Erst der Plan der britischen Peel-Kommission vom Juli 1937 brachte Hitler zum Umdenken. Die Briten, damals Mandatsmacht von Palästina, wollten das Land in einen jüdischen und einen arabischen Staat teilen. Obwohl Hitler nicht viel für Muslime und Araber übrig hatte, setzte das Deutsche Reich nun ganz auf die arabische Karte. „Hitler hatte sich in ‚Mein Kampf‘ lustig gemacht, man könne mit diesen Leuten nicht arbeiten. Er hat seinen ganzen Rassismus auch gegen die Araber gewandt“, analysiert Küntzel. 

In den 1930er Jahren habe es in der Nazi-Bewegung eine Auseinandersetzung gegeben, wie man die Muslime am besten ansprechen kann: ob man dem säkularen Vorbild Kemal Atatürks folgend an den Nationalismus appellieren solle – oder an die Religion. Dann wurde der Plan eines jüdischen Staates in Palästina virulent. „Von da ab begann eine aktive Nahost-Politik des Nationalsozialismus mit dem Ziel, diesen jüdischen Staat, den man als eine Art jüdischen Vatikan befürchtet hatte, zu verhindern“, weiß Künt-zel.

Der Islam bewegt Massen

Dadurch begann eine Zusammenarbeit, die vorher schon vom Großmufti von Jerusalem gesucht, bis dahin aber in Berlin abgelehnt wurde. Die Nazis begriffen, dass der Islam durchaus vermochte, die arabischen Massen zu bewegen. Auf Anregung von Großmufti al-Husseini begannen die Deutschen, arabischsprachige Radiosender in Betrieb zu nehmen.

Der Koran wurde zitiert. Hinzu kamen religiöse Gespräche. Die Nazis sprachen die Araber nicht als nationalistische Araber, sondern als fromme Muslime an. Alles lief über den Sender Zeesen bei Königs Wusterhausen südlich von Berlin. Die antisemitische Dauerpropaganda per Rundfunk endete erst 1945 mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs.

„Man hat den ehemaligen Rundfunkansager aus dem Irak, Younis Bahri, gewinnen können. Der hatte eine Artikulation, die sehr an die Reden Hitlers erinnerte. Allerdings auf Arabisch. Auch der Großmufti von Jerusalem hielt viele Reden im Radio. Es gab auch Palästina-Deutsche, also Deutsche, die in Palästina aufgewachsen waren, die im Arabischen sehr fit waren“, zählt Küntzel das Personal für die Radio-Propaganda auf.

Das Judentum bekämpfen

Hauptbotschaft der vor allem arabischsprachigen Sendungen war die Behauptung, das angebliche „Weltjudentum“ beherrsche die Engländer und die Amerikaner. Das „Weltjudentum“ wolle im Krieg den ganzen Islam vernichten. Jeder gute Muslim müsse sich zusammen mit den Deutschen dagegen wehren.

„Die Nazis waren so schlau zu ahnen, dass das, was direkt aus Berlin kommt, mit Misstrauen betrachtet wird. Also haben sie Sender eingerichtet, die so taten, als seien sie Untergrundsender in Ägypten“, sagt Küntzel. „Dass sie in Wirklichkeit aus Berlin sendeten, blieb geheim.“ Diese Sender konnten den größten Irrsinn verbreiten, weil keiner ihren Ursprung habe zurückverfolgen können. Die NS-Medien wiederum konnten sich dann auf die Information des Geheimsenders stützen.

Natürlich sendeten die Alliierten Gegenpropaganda. Allerdings wollten Engländer und Amerikaner auf keinen Fall als Freunde der Juden auftreten, um nicht die Nazi-Propaganda zu bestätigen. So hatten die Nazis freies Feld, antijüdische Koranzitate und Hadithe zu senden, also Überlieferungen von Aussprüchen und Handlungen Mohammeds. 

Etwa der Hadith von Stein und Baum, der bereits 1937 in „Islam und Judentum“ Verbreitung fand. Zuvor habe er in der islamischen Welt kaum eine Rolle gespielt, meint Küntzel. „Das ist ein schrecklicher Hadith, der besagt, dass am Ende der Tage die Muslime die Juden töten werden. Die Juden werden sich hinter einem Baum und einem Stein verstecken, und der Baum und der Stein werden sagen: Komm her, Muslim, töte den Juden!“

Nach der Gründung Israels sei dieser Hadith neu interpretiert worden. „Als die Juden als Dhimmis überall verstreut lebten, hatten wir gar keine Möglichkeit, alle Juden zu töten. Aber Allah in seiner Größe hat gewollt, dass die Juden einen Staat bilden, in dem sie sich alle konzentrieren, und dann kann man sie auch zusammen töten.“ So fasst Matthias Küntzel die Haltung zusammen, die von radikalen Islamisten bis heute vertreten wird.

Propaganda wirkt nach

Die Nazi-Propaganda lebe also weiter und wirke auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch nach, ist Küntzel sicher. Nur so sei der arabische Überfall auf den gerade erst gegründeten Staat Israel 1948 zu erklären. Bereits im Oktober 1944 hätten die Deutschen durch den Abwurf von Munitionskisten über Palästina die kampfbereiten Araber ausgerüstet. Und noch im April 1945 erhielt der Großmufti Gelder aus dem Reich für seinen Kampf gegen die Juden. 

Wer Küntzels These von der deutschen „Geburtshilfe“ für den muslimischen Antisemitismus folgt, den
dürfte kaum verwundern, dass Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus in Teilen der muslimisch geprägten Welt noch heute Verehrung entgegengebracht wird. So finden sich etwa auf dem Portal Youtube Videos, die die SS-Division „Handschar“ verherrlichen – Heldenverehrung für bosnische Muslime, die für Hitler kämpften.

Küntzel ist es eine Herzensangelegenheit, dagegen anzuschreiben. Seit fast 20 Jahren recherchiert der Politikwissenschaftler über den Nahostkonflikt und die Ursachen des Judenhas-ses in der muslimischen Welt. Seine Thesen dazu sind in der Historikerzunft nicht ohne Widerspruch geblieben. Das ficht Küntzel nicht an: Für ihn liegt der Ursprung der antijüdischen Hetze von Hamas und Co. in Deutschland, bei Königs Wusterhausen südlich von Berlin.

Thomas Klatt

Buchinformation

Matthias Küntzel

Nazis und der Nahe Osten

Wie der islamische Antisemitismus entstand

ISBN: 

978-3-95565-347-7

19,90 Euro

07.11.2019 - Deutschland , Islam , NS-Zeit