Ruprecht Eser zum Gedenken

„Glaube ist Tiefe des Lebens“

Am 6. Januar hätte er seinen 80. Geburtstag begangen – wenn er nicht am 9. Dezember überraschend gestorben wäre: Ruprecht Eser war bekannt als ­kritischer Journalist, Korres­pondent und TV-Moderator. Bettina Schausten, Chefredakteurin des ZDF, würdigte ihn als „Voll­blutjournalisten“. In einem seiner letzten Interviews sprach Eser über seinen Glauben, werteorientiertes Handeln und den Höhepunkt seines journalistischen Wirkens.

Herr Eser, können Sie sich bitte ein wenig charakterisieren?

Schwierig. Wie charakterisiert man sich selbst, ohne kokett zu wirken? Ich nenne mich oft einen Doppel-Deutschen mit angelsächsischen Neigungen: in der DDR aufgewachsen, mit 18 – kurz vor dem Bau der Mauer am 13. August 1961 – in die Bundesrepublik geflüchtet und dann dreimal beruflich in London, erst beim deutschen Dienst der BBC und dann zweimal als Korrespondent für das ZDF.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ich bin in Maßen gläubig. Meine Leipziger Familie war evangelisch-reformiert, und im Alter führt mich mein Weg wieder häufiger in die Kirche.

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff vertrat die Meinung, Sprechen heiße Zuhören. Warum müssen diese Verben für einen Journalisten Hand in Hand gehen?

Fragen und nachfragen werden erst durch aufmerksames Zuhören, aber auch durch gelegentliches Schweigen möglich. Das ist im Fernsehen schwierig, aber Voraussetzung für denkendes Reden.

Haben Sie Vorbilder oder Idole? 

Nelson Mandela, Willy Brandt und Dietrich Bonhoeffer.

Ist der Glaube für das werteorientierte Handeln wichtig?

Ich finde, werteabhängiges Handeln sollte auch glaubensunabhängig möglich sein. Vielleicht steht es auf einem festeren Fundament, wenn man zweifelsfrei glauben kann.

Wieso ist die direkte zwischenmenschliche Kommunikation als solche unersetzbar?

Das erleben wir in der Corona-Krise auf nie für möglich gehaltene Art und Weise: dass die zwischenmenschliche Kommunikation psychisch und physisch schmerzt, wenn sie ausschließlich in den virtuellen Raum gelegt wird. Wir werden für viele Jahre mit der Bewältigung der Folgeschäden zu tun haben.

Welche Nachricht hätten Sie Ihrem Fernsehpublikum am liebsten präsentiert?

Das war mir glücklicherweise vergönnt: im Prozess der deutschen Einheit als Moderator/Reporter dabei sein zu dürfen. Die Öffnung des Brandenburger Tors war der Glückspunkt eines langen Journalisten­lebens, mit Freudentränen und Rotkäppchen-Sekt in Berlin, umgeben von glücklichen Menschen.

Was sagen Sie jenen, die die Ansicht vertreten, man könne mit etwas Hirn und einer Prise aktueller Wissenschaft kirchliche Weisheiten als Unsinn entlarven?

Es geht nicht um „Entlarvung“ kirchlicher Weisheiten, aber es geht darum, unser Leben nicht total zu verwissenschaftlichen. Das würde unser Leben ärmer machen. Glaube ist Tiefe des Lebens und Halt in Stunden der Not. Das habe ich auch erleben müssen und dürfen.

Warum sind unabhängige Medien für die Demokratie überlebensnotwendig?

Weil offener Streit Demokratie-notwendig ist und weil der grassierende Populismus nur mit unabhängigen Medien beantwortet werden kann.

Und wie weit, wenn man sich die Mohammed-Karikaturen ins Gedächtnis ruft, darf Medienfreiheit gehen?

Diese Frage ist ganz schwer zu beantworten. Die Kunst muss frei sein, darf aber keine religiösen Gefühle verletzen. Aber wer zieht die Grenze?

Welche Werte sind für Ruprecht Eser unerlässlich, wenn es um ein friedliches und soziales Miteinander geht?

Die Fähigkeit zur mitfühlenden, hilfsbereiten Anteilnahme, Gerechtigkeit und Solidarität und die Erkenntnis, dass Materialismus nicht das Maß der Dinge ist. Und Frieden unter den Völkern.

Welche Fehler entschuldigen Sie?

Ich entschuldige jene Fehler, die man zugibt.

Haben Sie einen Leitgedanken, der Sie begleitet?

Frei nach Edit Piaf: „Nein, ich bereue nichts!“ und genauso frei nach Udo Lindenberg: „Ich mach’ mein Ding!“

Interview: Andreas Raffeiner