Terror gegen die Briten

Eine „Panne“ kostet 91 Leben

Es ist der 22. Juli 1946. Milizio­näre der radikalen jüdischen Untergrundarmee Irgun verkleiden sich als arabische Arbeiter. Gegen 12 Uhr fahren sie zum King-David-Hotel in Jerusalem und laden dort Milchkannen mit mindestens 350 Kilogramm Sprengstoff ab. Im Südflügel des Hotels ist das Hauptquartier der damaligen britischen Mandatsregierung untergebracht. Einen britischen Offizier schießen die Kämpfer nieder, ebenso einen Polizisten, der ihm zu Hilfe eilt. 

Um 12.25 Uhr – so der Bericht der britischen Streitkräfte – ereignet sich eine erste Explosion, vielleicht sind es auch zwei. Menschen rennen aus dem Hotel ins Freie und können so ihr Leben retten. Wenige Minuten zuvor haben die Irgun-Kämpfer das Hotel verlassen. Dann, um 12.37 Uhr, erschüttert die eigentliche Explosion den Westen Jerusalems und zerstört den Südflügel des siebenstöckigen Hotels. 

„Die tödliche Dusche von Trümmern erschlug auch einige Polizisten und Zuschauer“, schreibt Kulturhistorikerin Maximilliane Umlauf in einem Beitrag für die Universität Augsburg. Manche wurden bis zum YMCA-Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite geschleudert. Entsetzt verfolgte die Öffentlichkeit die Berichte über die steigende Zahl Getöteter, Verwundeter und Vermisster. 

Gescheiterte Evakuierung

„Geknickt und schockiert“ war auch Menachem Begin, Kommandeur der Irgun, als er gespannt die BBC-Nachrichten hörte. So schildert es der britische Nahostexperte Colin Shindler. Begin bekam nicht das zu hören, was er erhofft hatte. „Operation Malonchik“ galt dem Zen­trum des britischen Geheimdienstes. Hotelangestellte und -gäste, so der Plan, sollten vor Zündung des Sprengstoffs evakuiert werden.

Deshalb hatte die Irgun die Telefonzentrale des Hotels, das französische Konsulat und die Zeitung „Palestine Post“ kurz vor der Tat gewarnt. Der Hotel-Telefonist konnte den Sicherheitsoffizier aber nicht ausfindig machen – vermutlich ging er bereits der beginnenden Unruhe im Haus auf den Grund. So starben mindestens 91 Menschen, darunter 41 palästinensische Araber, 17 einheimische Juden und 28 Briten, unter denen wiederum mehrere Juden waren. 

Kurz vor dem Anschlag war General Evelyn Barker zum Chef der britischen Streitkräfte in Palästina ernannt worden. Der Befürworter der Todesstrafe wollte im Gegensatz zum britischen Hochkommissar Alan Cunningham entschieden gegen die Irgun vorgehen und einige ihrer Kämpfer als Terroristen hinrichten lassen. Das sei, erklärt Colin Shindler, eines der Motive gewesen, die zum Bombenanschlag führten.

Als „hinterhältigen Terrorangriff“ bezeichnet der israelische Historiker Mordechai Golani die Tat. Sie habe „unsere Geschichte befleckt und Narben hinterlassen“, kritisierte Golani bei einer Konferenz vor fünf Jahren in Tel Aviv. Bei dieser schüttelten sich zwei jüdische Damen jenseits der 90 die Hände – Mittäterin die eine, Opfer die andere: Sarah Aggasi warnte das Hotel per Anruf und stand Schmiere, Shona Levy Kampos, damals Schreibkraft für die Briten, trug durch die Detonation Augenschäden davon. 

Den Anschlag hatten ursprünglich drei Untergrundgruppierungen gemeinsam als jüdische Rebellion gegen die britische Mandatsmacht geplant. Nach „Operation Agatha“ (auch: Schwarzer Sabbat), einer Verhaftungswelle gegen den jüdischen Untergrund nur vier Wochen zuvor, zogen sich jedoch Hagana und Palmach zurück. Fortan waren die Aktivisten der 1931 entstandenen Irgun auf sich allein gestellt. 

Maximilliane Umlauf nennt die Irgun eine „kriminelle Bande“. Andere sehen sie als Truppe von Freiheitskämpfern, wieder andere als Terroristen. Mancher Friedensaktivist hat in der Diskussion über den bewaffneten Kampf der Palästinenser auf den Hotel-Anschlag verwiesen, der die Handschrift des späteren Premierministers und Friedensnobelpreisträgers Begin trägt. Der habe, sagt der israelische Historiker Tom Segev, alles daran gesetzt, „die Geschichte davon zu überzeugen, dass er kein Terrorist war“.

„Gegen zivile Ziele“

Terror und Terrorismus – zahlreiche Definitionen sind hierzu in Umlauf, von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, von US-Behörden und Terrorismusforschern. So definiert etwa das US-Außenministerium Terrorismus als „vorsätzliche, politisch motivierte Gewalt, verübt gegen zivile Ziele durch substaatliche Gruppen oder im Verborgenen arbeitende Täter“.

Anlässlich des 60. Jahrestags des Anschlags erinnerte Segev seine Landsleute daran, dass seit 1948, seit Gründung des Staates Israel, rund 750 000 Palästinenser ihr Zuhause verloren haben. Weitere 250 000 flohen im Zuge des Sechs-Tage-Kriegs 1967 aus dem Westjordanland. Im Abnutzungskrieg 1968 bis 1970 mussten Hunderttausende ägyptische Zivilisten ihre Städte entlang des Suezkanals verlassen – ähnlich wie Zehntausende Libanesen. 

Das alles sei aus einer Gesinnung heraus geschehen, meint Historiker Segev, die auch dem Anschlag auf das Jerusalemer Hotel zugrundeliegt: „Man kann ja immer sagen, es gab eine Panne“, kritisiert er und meint damit die Aussage Begins, die Irgun habe vor dem Anschlag gewarnt – aber niemand habe auf die Warnung gehört.

Johannes Zang

22.07.2021 - Ausland , Politik , Terror