Jerusalem

Knackpunkt für den Weltfrieden

Jerusalem, 14. Mai 2018. Freudentaumel in Israel. Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnet die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem als „glorreichen Tag“. Er nennt die Stadt vor den USA und der ganzen Welt die „ewige und ungeteilte“ Metropole Israels. 

Jared Kushner, Schwiegersohn und Sondervermittler des amerikanischen Präsidenten, betont, die US-Regierung werde sich weiter um ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern bemühen. Die USA seien entschlossen, dabei zu helfen, „einen nachhaltigen Frieden zu schaffen“. Im Hinblick auf die gleichzeitig laufenden, teils tödlich endenden Proteste ein Hohn für die Palästinenser.

Grenzverlauf klären

Der Streit um die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zeigt den Nahostkonflikt wie in einem Brennglas: Israel hat den jordanischen Ostteil Jerusalems im Sechstagekrieg 1967 erobert. Während der jüdische Staat den Anspruch der Palästinenser auf Ost-Jerusalem als ihre Hauptstadt ablehnt, pocht die internationale Gemeinschaft darauf, dass der künftige Grenzverlauf in Verhandlungen beider Seiten geklärt werden muss. 

Tatsache ist, dass die international umstrittene Eröffnung der US-Botschaft am 14. Mai massive Zusammenstöße zwischen Palästinensern und der israelischen Armee mit Dutzenden von Toten ausgelöst hat. Für viele Palästinenser war dieser Tag das Ende der von ihnen angestrebten „Zwei-Völker-Zwei-Staaten-Lösung“. 

Mit schwarzen Flaggen

Im Westjordanland nahmen Tausende an einem Protestmarsch teil. Sie trugen palästinensische und schwarze Flaggen. Mit Schlüsseln in der Hand wiesen sie auf ihre Forderung nach einer Rückkehr in die Gebiete hin, aus denen 1948 im Zuge der israelischen Staatsgründung Hunderttausende Palästinenser geflohen oder vertrieben worden waren. Demonstranten verbrannten US-Flaggen. 

Russland sah angesichts der Verlegung der US-Botschaft den Welt-Frieden in Gefahr. Im UN-Menschenrechtsrat stimmten 29 Staaten für die Einsetzung einer internationalen Ermittlungskommission, um den Einsatz von Israels Armee im Gaza-Streifen zu prüfen. Daraufhin hat Israel die Botschafter Spaniens und Sloweniens einbestellt.

Bei allem politischen Gerangel um Jerusalem, um jene Stadt, die sowohl Juden und Palästinenser vollkommen für sich beanspruchen, bleibt für die Christen Jerusalem das ungeteilte Herzstück ihres Glaubens. Weil hier Jesus gewirkt, gestorben und auferstanden ist. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Apostolische Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, am Vorabend von Pfingsten die Gläubigen der Stadt zu einer Gebetsvigil in der Kirche St. Stephan, der Bibelschule École Biblique, aufrief. 

Während seines Friedensappells machte Pizzaballa deutlich, dass diese weitere Episode von Hass und Gewalt den Tod von fast 60 Menschen und Tausenden von Verletzten gefordert habe, während auf der anderen Seite eine große Party gefeiert wurde. Doch müsse die Heilige Stadt allen Völkern offenstehen als das religiöse Herz der drei monotheistischen Religionen. Jede einseitige Bewegung Jerusalems trage nicht zur Förderung des Friedens bei. Jerusalem sei kein Privateigentum, sondern die Mutter aller, die in diesem Land leben: Christen, Muslime und Juden. Und eine Mutter ist traurig, wenn sie von  ihren Kindern ausgeschlossen wird oder wenn diese sterben. 

Falscher Heiligenschein

Pizzaballa lud alle Menschen ein, für Jerusalem zu beten. „Wir müssen die Rhetorik und das Misstrauen von ihrem falschen Heiligenschein befreien. Für uns Gläubige kann der Friede nicht von dem getrennt werden, was Jesus hier in Jerusalem getan hat.“ Deshalb habe die Kirche von Jerusalem beschlossen, in einer Gebetswache für alle Opfer dieses schier endlosen Konflikts und für die Umkehr der Menschen zu einem friedvollen Miteinander zu fasten und zu beten. „Wir wollen den Heiligen Geist bitten, die Herzen zu erleuchten und die fest gefahrenen Meinungen der politischen Führer zu ändern, damit sie sich begegnen und Konzepte für einen gerechten Frieden finden.“ 

Wolf und Esel

Die Friedensvision des Propheten Jesaja ist keine bloße Utopie: Wo der Wolf und das Lamm friedlich beieinander liegen und wo das Kind unbeschadet am Schlupfloch der Natter spielt. Dass so etwas tatsächlich in der Natur möglich ist, konnte man vor einiger Zeit in einer Zeitungsnotiz lesen. In einem Naturpark in Albanien sollte einem ausgehungerten Wolf ein junger, lebendiger Esel zum Fraß vorgeworfen werden. Was keiner für möglich hielt: Esel und Wolf freundeten sich an und leben nun gemeinsam im gleichen Gehege. 

Jerusalem wird gerne als das Herz der Welt bezeichnet. Viele sind überzeugt: Wenn Jerusalem befriedet ist, wird auf der ganzen Welt Frieden herrschen. Es scheint geradezu paradox: Das Land, in dem die Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen stattfand und von dem aus der ganzen Welt die Versöhnung geschenkt wurde, hat bis heute die eigene Aussöhnung noch nicht gefunden. Letztlich kann es nur einen Weg für eine friedliche Zukunft geben: das Miteinander, die Geschwisterlichkeit und das Aufeinander-Zugehen.

Karl-Heinz Fleckenstein

01.06.2018 - Ausland , Nahost