Bangen um entführte Mitschwester

Mission unter Muslimen

Von den rund 19 Millionen Bewohnern im westafrikanischen Mali bekennen sich mehr als 80 Prozent zum sunnitischen Islam. Die Glaubenspraxis war bisher allerdings sehr vielfältig; alte afrikanische Vorstellungen von Dämonen, Geistern und verborgenen Kräften flossen vielfach mit ein. Auch die Christen mit einem Anteil von etwa fünf Prozent wurden meist toleriert. Seit Ende 2012 ein Putsch ausbrach, den das Mutterland Frankreich mit hartem militärischem Eingreifen bekämpfte, geraten immer mehr Bewohner in den Meinungssog der Islamisten. 

Nach der Entführung der Ordensschwester ist nichts mehr so wie es war: Über dem kleinen Altar im Nebenraum hängt ein Bild. Es zeigt eine lächelnde Frau. „Glorita, komm’ bald wieder. Wir beten jeden Tag für Dich.“ Janet Aguirre, Franziskaner-Missionsschwester von Maria Hilf, zeigt auf das Foto: „Jetzt ist sie schon seit über einem Jahr verschwunden.“ 

Die Ordensfrau lebt seit 14 Jahren in der Missionsstation im malischen Koulikoro. Ihr rechtes Handgelenk ziert ein buntes Perlenarmband. Ein Andenken an ihr Heimatland Kolumbien. Sie ist zuversichtlich, dass Gloria zurückkommt. „Sie lebt“, stimmt ihre Mitschwester Rosa Rodriguez zu. Vor wenigen Wochen erst haben sie ein verwackeltes Video der Geiselnehmer erhalten, in dem sich die entführte Ordensfrau über eine schwerkranke französische Nonne beugt und ihr Wasser zu trinken gibt. 

Digitales Lebenszeichen

Schwester Rosa sieht das Video auf ihrem Smartphone immer und immer wieder an. Sie zeigt auf das Display, als das Gesicht ihrer Landsmännin auftaucht. Gloria trägt einen Schleier. Auf ihrem Schoß liegt eine weitere Frau mit bedecktem Haar: Eine schwerkranke französische Nonne, um die sie sich kümmert. Außer dieser Filmsequenz haben die beiden Kolumbianerinnen keine Neuigkeiten über den Verbleib ihrer Mitschwester.

Februar 2017 im Grenzgebiet zu Burkina Faso: Drei bewaffnete und vermummte Männer dringen in die Missionsstation von Karangasso ein und nehmen die heute 57-Jährige Franziskanerschwester Gloria mit. Vorher hatte sie sich als Verantwortliche der Missionsstation schützend vor ihre Mitschwestern gestellt und sich freiwillig als Geisel angeboten. Schwester Rosa musste mitansehen, wie Gloria verschleppt wurde.

Mit Schwester Gloria wurden noch fünf weitere Ordensfrauen unterschiedlicher Nationalitäten entführt. Lebenszeichen gibt es kaum. „Sie werden im Norden des Landes vermutet, in den unwirtlichen Rückzugsgebieten der Dschihadisten“, berichten die Schwestern.

In der Missionsstation von Koulikoro hängen viele Fotos. Erinnerungen an die, die hier waren und Zeugnisse von denen, die bleiben. Wie Schwester Janet. Bei einer Tasse starkem kolumbianischen Kaffee erzählt sie von ihrem Einsatz in einem der ärmsten Länder der Welt. Ihre Augen funkeln, wenn sie über ihr Leben als Missionarin spricht. Es sei die Erfüllung eines Traumes.

In erster Linie widmen sich die Schwestern den Frauen und Mädchen am Ort. „Frauen haben in dieser Gesellschaft keinen großen Stellenwert. Genau da wollen wir ansetzen“, sagt Janet. „Denn wenn die Frauen etwas Neues lernen, zum Beispiel das Kochen schmackhafter Gerichte oder das Nähen eines Hemdes, sind die Ehemänner stolz auf sie. Sie erzählen das dann auch gerne im Dorf herum“, weiß Rosa.

Deshalb war das Engagement der Schwestern durchaus anerkannt. Auch die Alphabetisierungskurse waren begehrt. Bildung sei immer noch der wichtigste Stützpfeiler im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Das Erlernen eines Berufes gehöre auch dazu: Als Köchin, im Hotelgewerbe, als Schneiderin oder als Friseurin war man anerkannt.

Für alle offen

Das Ausbildungszentrum liegt auf dem Gelände der nahen Kirche Saint Pierre, die zur Diözese von Bamako gehört – der rund zwei Autostunden entfernten malischen Hauptstadt. „Unsere Ausbildungen stehen für alle Religionsgruppen offen“, ergänzt Schwester Janet. „Wir wollen den Frauen eine Zukunft geben, egal, welchen Glauben sie haben.“

 Die Kurse dauern drei Jahre und werden bei erfolgreichem Abschluss mit einem staatlichen Diplom belohnt. „Die Urkunde vom Ministerium zählt in der Bevölkerung viel. Wer diese in Händen halten kann, findet auch Arbeit.“ Damit werden die Frauen selbständiger und selbstbewusst. „Und sie können mit ihrem Einkommen zum Familienunterhalt beitragen. Das gefällt auch den Männern.“ 

Im Frauenzentrum geht es nicht nur ums Geldverdienen. „In der Region Koulikoro häufen sich weibliche Genitalverstümmelungen. Wir diskutieren darüber, und laden dazu auch die Männer ein.“ Die Folgen bis hin zum Tod der jungen Mädchen und langfristige Gesundheitsprobleme werden klar und ohne Schnörkelei benannt. „Die Männer sind oft nachhaltig beeindruckt und verständnisvoll und wollen die Beschneidung ihrer Töchter nicht mehr“, erklärt die 43-Jährige.

Doch das Hauptproblem seien die Frauen, die immer noch an dieser uralten Tradition festhalten. „Das sind die Groß- und Urgroßmütter, die Beschneiderinnen ins Dorf holen und den Mädchen weismachen, dass die bevorstehende Zeremonie der schönste Tag ihres Lebens wird.“

Insgesamt gibt es im Förderzentrum 22 Lehrerinnen und Lehrer. Für die Teilnehmerinnen ist der soziale Austausch mit Andersgläubigen eine große Erfahrung. 130 bis 150 Frauen nehmen regelmäßig an den Schulungen teil. „Sie kommen aus der ganzen Region und wissen, dass wir nur das Beste für sie wollen. Unser erklärtes Ziel ist es, ihre Lebensbedingungen zu verbessern“, sagt Schwester Janet.

Der Zustand der Vorsicht

Und wie gehen die Schwestern mit der Angst um, in einem Land zu leben, wo Entführungen mittlerweile an der Tagesordnung sind? Schwester Rosa vergleicht die Situa­tion mit ihrer Heimat Kolumbien. Sie sei in einer Region aufgewachsen, in der es auch Rebellen gab. Fremd sei ihr daher der Zustand, vorsichtig zu sein, nicht. Das beteuert auch ihre ältere Mitschwester, die mit der Entführten zwölf Jahre in der Mission von Karangasso zusammenarbeitete.

Heute gibt es die winzige Station an der Grenze zu Burkina Faso nicht mehr. Nach der Geiselnahme wurde sie geschlossen. „Wenn ich dort geblieben wäre, würde die Angst mich ständig begleiten“, gibt Rosa zu. „Wir waren immer ein offenes Haus, jeder konnte zu uns kommen, mit seinen Freuden, Nöten und Sorgen.“ 

Noch heute kann Rosa kaum fassen, was im Februar 2017 passierte. Trost finden beide Schwestern im Gebet und vor dem Bild Glorias, wo die Mitschwester geradezu spürbar ist. Hier sind sie ihr ganz nah. Hoffen, Bangen, Warten – jeden Tag. Das kann noch lange anhalten, auch wenn die Verhandlungen zur Freigabe laufen.

Sabine Ludwig

21.09.2018 - Ausland , Kriminalität , Orden