Internationaler Tag der Bildung am 24. Januar:

Mit Corona leben und lernen

Als Kenias Bildungsminister George Magoha im Juli vor die Kameras trat, sprach er Worte, die damals niemand hören wollte: Das aktuelle Schuljahr sei „verloren“. Die Schüler der ostafrikanischen Nation müssten den Unterrichtsstoff 2021 wiederholen. Geändert hat sich seither wenig. Aus der Corona- ist längst eine Bildungskrise geworden.

„Millionen Kinder und Jugendliche“ lernten nicht die Fertigkeiten, die sie bräuchten, um der Armut zu entkommen, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef angesichts der Folgen der Corona-Pandemie. Technik könnte dieses Problem lösen. Doch die steht – anders als in Europa, den USA oder Australien – im Großteil der Welt nur wenigen Begüterten zur Verfügung.

Den Vereinten Nationen zufolge zwang die Pandemie 1,6 Milliarden Kinder und Jugendliche weltweit dazu, statt in der Schule von zu Hause aus zu lernen. Für mehr als ein Drittel von ihnen blieb der Fernunterricht jedoch eine Illusion. „Die hohe Zahl an Kindern, deren Ausbildung monatelang unterbrochen wurde, kommt einem globalen Bildungsnotstand gleich“, kritisiert Unicef-Direktorin Henrietta Fore. 

In Südafrika unterstützte die UN-Agentur die Regierung bei der schrittweisen Öffnung ihrer Schulen nach dem ersten Lockdown. Die Kap-Republik ist von allen afrikanischen Ländern am schwersten von Corona betroffen. Während die eine Hälfte der Schüler abwechselnd im Klassenzimmer unterrichtet wurde, hieß es für die andere Hälfte: Lernen via Apps und Onlineplattformen. Für Vorschüler übersetzte Unicef das digitale Lernmaterial in alle elf Landessprachen. 

Doch selbst die UN-Agentur stieß bald an ihre Grenzen und musste eingestehen: „Trotz guter Absichten hat Online-Lernen das Potenzial, Ungleichheit zu verstärken.“ Während 30 Prozent der Haushalte in Südafrikas Städten Zugang zu einem Computer hätten, seien es in ländlichen Gegenden gerade einmal neun. Dabei gilt das Land als eines der fortschrittlichsten auf dem Kontinent.

Noch weit schlimmer traf die Pandemie den Unterricht in anderen afrikanischen Ländern, fand Human Rights Watch heraus. Eine Mutter aus Nigeria beklagte der Organisation gegenüber: „Ich habe nicht einmal Geld, um meine Familie zu ernähren. Wie soll ich mir ein Telefon oder Internet leisten?“ Die Mutter einer Neunjährigen im Kongo berichtete: „Mein Kind lernt nicht mehr. Es wartet nur noch darauf, dass die Schulen wieder öffnen.“ 

Süd- und Ostafrika traf der Lernstopp von allen Entwicklungsregionen am härtesten: Hier hatte Unicef-Angaben zufolge rund die Hälfte der Schüler keinen Zugriff auf Fernunterricht. Die wenigsten Schüler, die ohne Lehrer auskommen mussten, gab es  mit nur neun Prozent in Lateinamerika. 

Verheerende Folgen

Mittlerweile sind die meisten Schulen in Afrika wieder geöffnet. Doch die Angst ist groß, dass eine neue Corona-Welle den Unterricht erneut unterbrechen könnte. Eine große Impf-Kampagne wie in Europa wird in afrikanischen Ländern frühestens Mitte des Jahres erwartet. Die Folgen einer verlorenen Bildungs-Generation wären verheerend: Aktivisten warnen vor einer Zunahme von Kinderehen, weiblicher Genitalverstümmelung und häuslicher Gewalt. 

„Ich habe Angst, dass meine Kinder einer der Rebellengruppen in der Region beitreten“, befürchtet ein kongolesischer Vater. Neben den persönlichen Schicksalen trifft eine Bildungskrise laut Weltbank auch die globale Wirtschaft hart: Es drohe der Verlust von acht Billionen Euro an Einnahmen während der Lebenszeit der betroffenen Generation.   

Not macht erfinderisch – nach diesem Motto müssten die Regierungen ärmerer Staaten aus der Corona-Krise steuern, meint die Bildungsallianz „Global Partnership for Education“: „Im Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie sollten wir nicht versuchen, zurück an den Start zu gehen, sondern Kreativität und Entschlossenheit nutzen, um endlich unser Versprechen von Bildung für alle einzulösen.“ 

Gefragt ist neben Politik und Hilfsorganisationen die Telekommunikationsbranche. Einen ersten Schritt machten Mobilfunknetzbetreiber in Ghana: In dem westafrikanischen Land konnten Schüler die hohen Internetkosten umgehen und via Mobiltelefon kostenfrei auf über 100 Lernplattformen zugreifen. In Malawi erhielten einige Schüler solarbetriebene Tablets mit vorprogrammierten Lehr­einheiten, in Kenia solarbetriebene Radios. 

Jeden Schüler dieser Welt mit einem Gerät und dem nötigen Strom- und Internetanschluss ausstatten, das mag futuristisch klingen, ferner nach einer Mammutaufgabe und einem naiven, schier unmöglichen Unterfangen in von Korruption und Armut gezeichneten Staaten. Die Unicef und ihre Partner glauben dennoch an die digitale Lernrevolution. Diese könne Kinder in Myanmar ebenso erreichen wie in Somalia. Kostenpunkt bis 2030 wären 388 Milliarden Euro. „Mit einer engagierten, globalen Koalition von Partnern ist das machbar.“ 

Markus Schönherr

20.01.2021 - Afrika , Corona , Schule