Als Kenias Bildungsminister George Magoha im Juli vor die Kameras trat, sprach er Worte, die damals niemand hören wollte: Das aktuelle Schuljahr sei „verloren“. Die Schüler der ostafrikanischen Nation müssten den Unterrichtsstoff 2021 wiederholen. Geändert hat sich seither wenig. Aus der Corona- ist längst eine Bildungskrise geworden.
„Millionen Kinder und Jugendliche“ lernten nicht die Fertigkeiten, die sie bräuchten, um der Armut zu entkommen, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef angesichts der Folgen der Corona-Pandemie. Technik könnte dieses Problem lösen. Doch die steht – anders als in Europa, den USA oder Australien – im Großteil der Welt nur wenigen Begüterten zur Verfügung.
Den Vereinten Nationen zufolge zwang die Pandemie 1,6 Milliarden Kinder und Jugendliche weltweit dazu, statt in der Schule von zu Hause aus zu lernen. Für mehr als ein Drittel von ihnen blieb der Fernunterricht jedoch eine Illusion. „Die hohe Zahl an Kindern, deren Ausbildung monatelang unterbrochen wurde, kommt einem globalen Bildungsnotstand gleich“, kritisiert Unicef-Direktorin Henrietta Fore.
In Südafrika unterstützte die UN-Agentur die Regierung bei der schrittweisen Öffnung ihrer Schulen nach dem ersten Lockdown. Die Kap-Republik ist von allen afrikanischen Ländern am schwersten von Corona betroffen. Während die eine Hälfte der Schüler abwechselnd im Klassenzimmer unterrichtet wurde, hieß es für die andere Hälfte: Lernen via Apps und Onlineplattformen. Für Vorschüler übersetzte Unicef das digitale Lernmaterial in alle elf Landessprachen.
Doch selbst die UN-Agentur stieß bald an ihre Grenzen und musste eingestehen: „Trotz guter Absichten hat Online-Lernen das Potenzial, Ungleichheit zu verstärken.“ Während 30 Prozent der Haushalte in Südafrikas Städten Zugang zu einem Computer hätten, seien es in ländlichen Gegenden gerade einmal neun. Dabei gilt das Land als eines der fortschrittlichsten auf dem Kontinent.
Noch weit schlimmer traf die Pandemie den Unterricht in anderen afrikanischen Ländern, fand Human Rights Watch heraus. Eine Mutter aus Nigeria beklagte der Organisation gegenüber: „Ich habe nicht einmal Geld, um meine Familie zu ernähren. Wie soll ich mir ein Telefon oder Internet leisten?“ Die Mutter einer Neunjährigen im Kongo berichtete: „Mein Kind lernt nicht mehr. Es wartet nur noch darauf, dass die Schulen wieder öffnen.“
Süd- und Ostafrika traf der Lernstopp von allen Entwicklungsregionen am härtesten: Hier hatte Unicef-Angaben zufolge rund die Hälfte der Schüler keinen Zugriff auf Fernunterricht. Die wenigsten Schüler, die ohne Lehrer auskommen mussten, gab es mit nur neun Prozent in Lateinamerika.
Verheerende Folgen
Mittlerweile sind die meisten Schulen in Afrika wieder geöffnet. Doch die Angst ist groß, dass eine neue Corona-Welle den Unterricht erneut unterbrechen könnte. Eine große Impf-Kampagne wie in Europa wird in afrikanischen Ländern frühestens Mitte des Jahres erwartet. Die Folgen einer verlorenen Bildungs-Generation wären verheerend: Aktivisten warnen vor einer Zunahme von Kinderehen, weiblicher Genitalverstümmelung und häuslicher Gewalt.
„Ich habe Angst, dass meine Kinder einer der Rebellengruppen in der Region beitreten“, befürchtet ein kongolesischer Vater. Neben den persönlichen Schicksalen trifft eine Bildungskrise laut Weltbank auch die globale Wirtschaft hart: Es drohe der Verlust von acht Billionen Euro an Einnahmen während der Lebenszeit der betroffenen Generation.