Vor 120 Jahren geboren

Das „Gewissen der Nation“

Zeitlebens lebte er wie ein Mönch. Er ging keine Ehe ein, weil er die Weitergabe seiner Depressionserkrankung an die nächste Generation befürchtete. Reinhold Schneider, der schlanke, große Mann, der als „Gewissen der Nation“ bezeichnet wurde und zum Ende seines Lebens nur noch Flüssignahrung aufnehmen konnte, starb nach einem Unfall mit 54 Jahren.

„Allein den Betern kann es noch gelingen“ ist wohl Schneiders bekannteste Dichtung. Dabei hat der formstrenge Lyriker allein mehr als 400 Sonette verfasst, die sich oft mit der kritischen Beäugung des politischen Lebens befassen. Geboren wurde Schneider am 13. Mai 1903, vor 120 Jahren, in Baden-Baden in eine Familie von Hotelbesitzern. Zu den Gästen des elterlichen Hotels Messmer zählte das deutsche Kaiserpaar Wilhelm I. und Augusta Marie. 

Als er gerade 19 Jahre alt ist, erschießt sich sein Vater. In dieser schweren Zeit steht ihm Anna Maria Baumgarten zur Seite. Schneider bezeichnet sie später als die „Gefährtin seines Lebens“. Sein Weltbild ist zutiefst christlich geprägt. Schneider will „eine menschliche Welt, die dem Göttlichen zustrebt“. Und er sagt: „Alle christliche Ethik geht auf eine einzige Forderung zurück: das Tun der Wahrheit.“

Bildreiche Erzählungen

Nach einer kaufmännischen Lehre in einer Druckerei in Dresden packt Schneider die Reiselust. 1929 reist er nach Portugal. Von seinen auch später unternommenen Reisen fertigt er ausführliche Beschreibungen an, die er Verlagen zur Veröffentlichung anbietet. Sie werden für ihn eine gute Einnahmequelle, da sich wenige Menschen eine eigene Reise ins Ausland leisten können, aber anhand seiner bildreichen Erzählung wenigstens eine Reise in Gedanken vollziehen können. 

Als Schriftsteller kommt Schneider viel herum. Seine Erkenntnisse verarbeitet er in seinen Werken. Privat wohnt er zunächst in Loschwitz bei Dresden, dann ab 1932 in Potsdam, bevor er 1937 für etwa ein Jahr nach Hinterzarten zieht, das in seiner badischen Heimat liegt. 1938 übersiedelt er nach Freiburg. Die Stadt im Breisgau mit ihrem imposanten Münster wird nun seine Heimat. 

Widerstand des Christentums erkennbar

Schneiders historische Stoffe, von tragischer Geschichtsdeutung gekennzeichnet, lassen für Zeitgenossen die Deutung zu, sie meinten die eigene, die Nazi-Zeit. Zumal darin eine Negierung der NS-Politik und die Widerstandsfähigkeit des Christentums vernehmbar sind. Das macht Schneider für die NS-Machthaber angreifbar. Seine Werke gelten zunehmend als unerwünscht. 1941 erhält der Dichter eine Privat­audienz bei Papst Pius XII. Im selben Jahr entziehen ihm die Behörden die Druckgenehmigung für seine Werke. „Ein Staat ohne Gott ist im besten Fall eine gut organisierte Räuberbande“, sagt Schneider.

Die Melancholie des Dichters bringt tragisch-tiefgründige Texte hervor. „Las Casas vor Karl V.“ etwa: Diese „Szenen aus der Konquistadorenzeit“ verwerfen jede Anmaßung einer Herrenrasse oder Herrschaft über andere Völker. Die Nazis verbieten das Buch nach der Erstauflage. Heute sind die literaturhistorisch nicht klar verortbaren Texte Schneiders, die für junge Leser komplizierte stilistische Elemente enthalten, vielen Menschen völlig unbekannt. 

Hefte illegal verbreitet

Seine Hefte wurden illegal verbreitet und entwickelten sich zu „religiösen Sanitätern“. Weil der katholische Militärpfarrer Johannes Kessels 1944 die Schriften im polnischen Reichshof (Rzeszów) heimlich druckt, finden sie sogar Leser in Schützengräben, Konzentrationslagern, Gefängnissen und Luftschutzkellern. Dies bleibt der braunen Obrigkeit nicht gänzlich verborgen, sodass Hausdurchsuchungen, Verhöre und schließlich 1945 eine Anklage wegen Hochverrats gegen Reinhold Schneider folgen. 

Dem Zusammenbruch der Nazi-­Herrschaft ist es zu verdanken, dass eine wohl drohende Todesstrafe nicht mehr ausgesprochen wird. Bereits während der Kriegsjahre gehörte Schneider dem Freiburger Kreis an, in dem sich katholische Intellektuelle nach den Novemberpogromen 1938 zu einem oppositionellen Gesprächskreis um den Publizisten Karl Färber treffen. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden Schneider etliche Auszeichnungen zugesprochen. 1948 erhält er anlässlich des 100. Todestags Annette von Droste-Hülshoffs zusammen mit Gertrud von Le Fort den Gedenkpreis der Badischen Landesregierung. 1952 wird er auf Vorschlag von Bundespräsident Theodor Heuss zum Ritter des Ordens „Pour le Mérite“ ernannt. 1956 erhält Schneider den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“.

Erneut Außenseiter

Auf der anderen Seite wird der Dichter, der neben Gertrud von Le Fort und Werner Bergengruen zur katholisch-sozialkritischen Bewegung „Renouveau catholique“ in Deutschland zählt, in der jungen Bonner Republik erneut zum Außenseiter. Schneider spricht sich gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands aus und wirbt für Frieden und die Wiedervereinigung mit der DDR – sogar im SED-Blatt „Neues Deutschland“.

Das isoliert ihn im Westen zusehends. Seine Arbeit für Zeitungen und Radiosender ist nicht mehr gefragt. Nur wenige Mitstreiter aus Zeiten der „Inneren Emigration“ während des NS-Regimes brechen den Kontakt nicht ab – vor allem Werner Bergengruen, mit dem ihn bis zuletzt eine enge Freundschaft verbindet.

Nach einem Sturz auf der Straße im März 1958 stirbt Reinhold Schneider am 6. April 1958 im Loretto-Krankenhaus in Freiburg. Sein letztes Buch „Winter in Wien“, das posthum veröffentlicht wird, sorgt für eine gewisse öffentliche Rehabilitierung des Dichters. Der Schweizer Autor Pirmin Meier ist sich sicher: Reinhold Schneider habe „das Leben eines auf exemplarische Weise gläubigen Christen und Beters geführt“.

Elmar Lübbers-Paal

09.05.2023 - Christentum , Literatur , NS-Zeit