Südwestlich von Bethlehem

Ruhestätte der Hebamme Jesu

Im Wald von Lachisch, 35 Kilometer südwestlich von Bethlehem, wurde im Dezember 2022 eine 2000 Jahre alte Grabhöhle aus der Zeit des zweiten jüdischen Tempels freigelegt, die als „Salome-Höhle“ bezeichnet wird und eine der beeindruckendsten antiken Grab­stätten in Israel ist. Dazu gehört ein 350 Quadratmeter großer Vorhof, den Mosaiken schmücken.

Bei den Eingängen zur Höhle und zur inneren Kapelle sind einige der Steine mit feinen dekorativen Pflanzenmustern verziert: Rosetten, Granatäpfel und Akanthusvasen. Alles zeugt davon, dass das Grab einer wohlhabenden jüdischen Familie gehörte. 

Gemietete Öllampen

Bei den Ausgrabungen wurde auch eine Reihe von Verkaufsständen mit Hunderten von teils zerbrochenen, teils noch intakten Tonlampen freigelegt. „Wir glauben, dass Pilger hierher kamen und eine Öl­lampe mieteten, um drinnen in der Höhle ihre Gebete zu verrichten. Ähnlich wie heute, wenn man zum Grab eines verehrten Rabbiners oder in die Kirche geht und dort eine Kerze anzündet“, sagt der israelische Archäologe Zvi Firer.

Die Höhle umfasst mehrere Kammern mit in den Fels gehauenen Grabnischen und zerbrochenen steinernen Gebeinkästen, sogenannten Ossuarien. Sie weisen auf jüdische Bestattungsriten hin. Die Grabanlage wurde in der byzantinischen und auch in frühislamischer Zeit weiter genutzt.  

Obwohl die Höhle bereits 1982 von Grabräubern ausfindig gemacht und geplündert wurde, bestätigen die jüngsten Ausgrabungen die Vermutung, wer darin ursprünglich zur Ruhe gebettet worden sein dürfte: „Salome, die Marias Hebamme war“ verrät eine in den Stein geritzte Inschrift. 

Nach Ansicht der israelischen Altertumsbehörde reichen die zahlreichen Graffiti in altgriechischer und arabischer Sprache aus, um zu beweisen, dass es sich um die Grabhöhle der heiligen Salome handelt. Zu den Belegen zählen die Worte „Salome“, „Jesus“, die Namen von Pilgern und in die Wand geritzte Kreuze. 

Die Höhle wurde erstmals in byzantinischer Zeit von einheimischen Christen als Grabstätte der aus Bethlehem stammenden Hebamme Salome identifiziert und entwickelte sich schließlich zu einem Wallfahrtsort. Die neuesten Funde liefern weitere Beweise dafür, dass die Höhle trotz der muslimischen Eroberung der Region bis ins neunte Jahrhundert ein wichtiger Wallfahrtsort für Christen war. 

Viermal Salome

Salome war ein gebräuchlicher jüdischer Name in der Zeit des zweiten Tempels. Im Neuen Testament tauchen mindestens drei Frauen mit diesem Namen auf. Eine vierte Salome steht nicht in der Bibel, sondern erscheint nur in den sogenannten Apokryphen. 

Dabei handelt es sich um Texte, die nie allgemein in der Kirche Verwendung fanden. Es sind „Evange­lien“ und Geschichten, die zwischen 200 vor und etwa 400 nach Christus entstanden und unter dem Namen eines Apostels überliefert werden. Solche Texte reichen von Kindheitserzählungen Jesu über Worte des Auferstandenen an seine Jünger bis zu Apostelgeschichten mit teilweise recht kuriosen Schilderungen. 

Die im apokryphen Jakobusevangelium genannte Hebamme Salome kommt zu spät, um Maria bei der Geburt Jesu beizustehen: Das Kind ist bereits geboren. Als die nicht genauer benannte Hebamme, die während der Geburt anwesend war, voller Freude aus der Höhle heraustritt, in der Maria Jesus zur Welt gebracht hat, trifft sie auf Salome und erzählt ihr: „Salome, Salome, ich habe dir ein nie dagewesenes Schauspiel zu erzählen. Eine Jungfrau hat geboren, was doch ihre Natur nicht zulässt.“ 

Skeptisch und ungläubig

Salome reagiert auf diese Neuigkeit mit großer Skepsis: „So wahr der Herr, mein Gott, lebt: Wenn ich nicht meinen Finger hinlege und ihren Zustand untersuche, werde ich nicht glauben, dass eine Jungfrau geboren hat.“ Die Hebamme, überzeugt von der Jungfräulichkeit Marias, befiehlt der Gottesmutter, sich für eine Überprüfung bereitzulegen. Ein „nicht geringer Streit“ bestünde um sie. 

Maria tut so, wie ihr geheißen wurde. Daraufhin legt Salome zur Untersuchung von Marias Zustand ihren Finger an. Das genügt, um sie ihren Irrtum erkennen zu lassen. So schreit sie auf: „Wehe über meinen Frevel und meinen Unglauben, denn ich habe den lebendigen Gott versucht. Siehe, meine Hand fällt von Feuer verzehrt von mir ab.“ Sie fleht Gott um Erbarmen an. Da erscheint ein Engel vor ihr und verspricht ihr Heilung: „Salome, Salome, der Allherrscher hat dein Gebet erhört. Streck deine Hand aus zu dem Kind und nimm es auf den Arm! So wird dir Freude und Heil zuteilwerden.“ 

Geheimnisvoll

Voller Freude tritt Salome zum Kind. „Sie nimmt es hoch und spricht: ‚Ich will ihn anbeten, denn Israel ist ein großer König geboren.‘“ Manche orthodoxen Kirchen stellen Salome neben der ersten Geburtshelferin dar. „Sie ist eine geheimnisvolle Figur“, sagt Archäologe Firer.

Die Ausgrabung wird im Rahmen des Projekts „Judean Kings, Trail“ von der israelischen Antikenbehörde, dem Ministerium für Kulturerbe und dem Jüdischen Nationalfonds durchgeführt. Damit soll eine sinnvolle und tief verwurzelte Verbindung zwischen Archäologie und kulturellem Erbe geschaffen werden. Der „Judean Kings, Trail“ ist ein 100 Kilometer langer Pfad von Beersheba nach Beit Guvrin mit bedeutenden archäologischen Stätten 

„Sobald die Restaurierungs- und Erschließungsarbeiten an der Salome-Höhle abgeschlossen sind, werden Vorplatz und Höhle für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, erklärt Saar Ganor, Direktor des „Judean Kings’ Trail“. Und beklagt zugleich: „Immer noch betreten manche Pilger illegal das Grab, wie moderne religiöse Gegenstände, Ikonen und Kerzen in den Innenräumen belegen. Wir hoffen, dass die offizielle Eröffnung der Höhle es einer größeren Anzahl von Menschen ermöglichen wird, die Stätte sicher zu erleben.“

Karl-Heinz Fleckenstein

27.01.2023 - Archäologie , Historisches , Nahost