Zum 90. Geburtstag von Michael Ende († 1995)

„Schreiben als Abenteuer“

„Ich setzte mich also an meine Schreibmaschine und schrieb: ‚Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein.‘ Das war der erste Satz, und ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie der zweite heißen würde.“ Michael Ende ließ sich von seiner im wahrsten Sinn endlosen Fantasie treiben. Das Resultat war eines der bekanntesten und charmantesten Kinderbücher aller Zeiten. 

Der Schöpfer von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ wurde am 12. November 1929 in Garmisch geboren und wuchs in München auf. Sein Vater war der surrealistische Maler Edgar Ende, seine Mutter die Preziosen­händlerin Luise Bartholomä. Die Nazis brandmarkten die Werke seines Vaters als „entartete Kunst“. 

1948, nach dem Abitur an einer Stuttgarter Waldorfschule, begann Michael Ende ein Schauspielstudium an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule. So hoffte er auf eine ­Karriere als Theater­autor. Ende hatte Engagements als Schauspieler an diversen Regionaltheatern, von 1954 bis 1962 arbeitete er als Filmkritiker für den Bayerischen Rundfunk. Nebenher schrieb er humoristische Texte für das politische Kabarett. 

Als die eigenen Theaterstücke erfolglos blieben, geriet er in eine tiefe Schaffenskrise. Eher aus Langeweile und Frustration tippte er 1956 die ersten Zeilen einer Kindergeschichte rund um die Dampflok Emma in die Schreibmaschine: „Ich hatte keinerlei Plan zu einer Geschichte und keine Idee. Ich ließ mich einfach ganz absichtslos von einem Satz zum anderen, von einem Einfall zum nächsten führen. So entdeckte ich das Schreiben als ein Abenteuer.“ Dieses Erfolgsrezept sollte ihm und seinen Lesern die Tore in immer neue fantastische Welten aufschließen. 

Zunächst wurde „Jim Knopf“ von zwölf Verlagen abgelehnt – angeblich war es zu lang für ein Kinderbuch. Als es dann aber 1960 publiziert wurde, gewann es den Deutschen Jugendbuchpreis und wurde durch die legendäre Verfilmung der Augsburger Puppenkiste populär: Wer erinnert sich nicht gerne zurück an die Kulissen von Lummerland, Ozeane aus Plastikfolie oder Figuren wie König Alfons den Viertelvorzwölften? 

In Endes Domizil nahe Rom entstand 1972 sein Roman „Momo“, gefolgt vom Bestseller „Die unendliche Geschichte“, deren Verfilmung durch Bernd Eichinger im Jahr 1984 Ende aber zutiefst missfiel. Endes Werke wurden in 40 Sprachen übersetzt und 30 Millionen Mal verkauft, doch die deutschen Literaturkritiker hatten ihm den Krieg erklärt: Angeblich bereiteten Endes Geschichten die Kinder zu wenig auf den „Ernst des Lebens“ vor. Jene Kritiker begriffen nicht, dass Ende auch für die junggebliebenen Erwachsenen schrieb. 

Wie bei Karl May sollte man Endes Bücher zweimal lesen, als Kind und als Erwachsener mit einem reiferen Verständnis für Endes hochpolitische und philosophische Botschaften. Vor allem sah Ende im „Ernst des Lebens“, im Sterben der Poesie, in den Banalitäten des grauen Alltags ein Grundübel der Zivilisation. Am 28. August 1995 erlag der Autor einem Magenkrebsleiden. 

Michael Schmid

12.11.2019 - Bücher , Deutschland , Kinder