Schutzengelfest am 2. Oktober

Auf himmlische Helfer hoffen

An diesem Dienstag, dem 2. Oktober, begeht die Kirche das Schutzengelfest und gedenkt der himmlischen Helfer, deren Wirken schon mancher Erdenbürger in schwieriger Lebenslage wahrzunehmen glaubte. Aber gibt es Engel wirklich? Pater Anselm Grün hat eine Antwort auf die Frage. Der Mönch und Bestseller-Autor ist ein echter Engel-Experte. Im Interview sagt er, dass ein Schutzengel keine Garantie ist, von Krankheit, Unfall oder Tod verschont zu werden.

Pater Anselm, Sie schreiben in vielen Büchern von unterschiedlichen Engeln. Wie sieht’s aus: Haben Sie heute schon mit Ihrem „Engel der Gelassenheit“ gesprochen? 

(Lacht) Noch nicht gesprochen, aber der Engel der Gelassenheit ist in der Tat wichtig für mich – besonders wenn ich wie heute viele Termine habe. Da brauche ich den Engel der Gelassenheit.

Gibt es denn Engel wirklich oder sind sie nur Produkte eines naiven Kinderglaubens? 

Natürlich gibt es Engel wirklich! Die Frage ist nur, was Engel überhaupt sind. Ich finde die nüchterne dogmatische Definition hilfreich: Engel sind geschaffene geistige Wesen, personale Mächte – aber sie sind keine Personen, man kann sie nicht individualisieren. Ein Engel kann ein Impuls sein, ein Engel kann auch ein Mensch sein, der im richtigen Moment da ist. Ein Engel kann ein Wort sein, das mir auf einmal aufgeht. Aber es gibt durchaus auch Erfahrungen, dass jemand so etwas wie einen Engel tatsächlich sieht. Aber darauf kommt es eigentlich gar nicht an. Engel sind Wirklichkeit – aber eine Wirklichkeit, über die wir nur in Bildern sprechen können.

Es gibt Berichte von Überlebenden eines Flugzeugabsturzes, die erzählen, sie hätten neben sich auf dem Sitzplatz einen Engel gesehen, kurz bevor oder während sie abstürzten. 

Es gibt solche Erfahrungen in der Tat. Allerdings: Wenn in der Esoterik von Engeln gesprochen wird, als könne man mit ihnen telefonieren, ist mir das eher suspekt. Dennoch gibt es wirklich Engel-Erfahrungen. Manche sehen dabei etwa Licht um einen Menschen herum oder erfahren Schutz. Man muss aber auch vorsichtig sein. Heute ist es modern, mit solch außergewöhnlichen Erfahrungen hausieren zu gehen. Da besteht immer die Gefahr, dass man sich als ein besonders spiritueller Menschen präsentiert, der Erfahrungen gemacht hat, die alle anderen nicht gemacht haben. Damit stellt man sich über die anderen Menschen.

Aber Sie sagen schon, es gibt solche Erfahrungen? Es ist keine Einbildung, wenn ich Engel sehe? 

Nein. In der Tat gibt es solche Erfahrungen.

Gibt es denn auch dunkle Engel oder „gefallene Engel“? 

Die Theologie nennt solche gefallenen Engel „Dämonen“. Nach der Definition der Dogmatik sind auch sie personale Mächte, die mein Personsein schädigen, mir schaden wollen. Das ist natürlich auch ein Bild. Man muss schon aufpassen, erst recht, wenn man von „Besessenheit“ spricht, als ob da ein Wesen einen Menschen besetzt hielte. Da kann man nämlich ganz leicht die Verantwortung für schlechte Taten abgeben – nach dem Motto: „Ich konnte nichts dafür, das war ein Dämon.“ Dämonen sind Symbole für die Tiefendimen­sion des Bösen. Zu meinen, das Böse gäbe es nur als böse Gedanken, wäre definitiv zu harmlos. 

Wie erklären Sie sich die große Beliebtheit von Engeln in der Kunst, im Kitsch und nicht zuletzt in Ihren Büchern? 

Engel sind eben erfahrbar. Für manche ist Gott weit weg oder sie können ihn sich nicht vorstellen. Auch die Kunst möchte Gott gern darstellen – was nun mal nicht so einfach ist. Also greift man zu Engeln. Sie sind der Einbruch des Transzendenten in unsere Welt. Man kann von Engeln nicht sprechen, ohne von Gott zu sprechen. Sie sind Boten Gottes. Man könnte auch sagen: Sie sind die Erfahrbarkeit Gottes – aber man darf sie nicht über Gott stellen. 

Machen wir diese Erfahrbarkeit doch mal gegenständlich: Es gibt einen Autounfall. Der Fahrer überlebt und dankt anschließend seinem Schutzengel. Aber auf dem Beifahrersitz starb ein Mensch. Hatte der keinen Schutzengel? 

Das kann man nicht sagen. Natürlich gibt es den Schutzengel, der uns vor einem Unfall bewahrt. Und wenn man das erlebt, hat man das Gefühl: Das war nicht mein Verdienst, sondern da war ein Schutzengel bei mir. Aber der Schutzengel ist keine Garantie dafür, dass ich nicht krank werde oder nicht sterbe. Er schützt vielmehr den innersten Kern des Menschen, sein Personsein. Und auch wenn ein Mensch stirbt – so sagen es die frühen Kirchenväter – trägt ihn der Schutzengel über die Schwelle in Gott hinein.

Das heißt: Auch, wer bei einem Autounfall ums Leben kommt, hatte einen Schutzengel? 

Genau, auch er hatte einen Schutzengel. Aber das heißt eben nicht, dass wir nie einen Unfall haben oder nicht sterben.

Wovor schützt der Schutzengel dann? 

Vor dem Zerfall des Persönlichen. Er schützt den innersten Kern des Menschen.

Wie finden Sie es, dass eine große Versicherung, ein Automobilclub oder eine Umweltschutzaktion mit einem Engel wirbt? 

Ich sehe es schon skeptisch, wenn ein religiöses Symbol kommerzialisiert und in Geld umgesetzt wird.

Wo sehen Sie Grenzen und Gefahren eines Engelkultes? 

Die Grenze ist immer da, wenn man über die Engel verfügen will. Gott ist unverfügbar und die Engel sind es auch. Wenn man etwa dem Gespräch mit seinen Engeln mehr Zeit und Bedeutung einräumt als dem Gespräch mit seinen Mitmenschen, wird es gefährlich. Da werden die Engel für eine Flucht aus der Realität missbraucht – und sie sind eben nicht mehr das, was sie eigentlich sind: eine Hilfe, die Realität zu bewältigen. Der Engel ist ein Bild dafür, dass Gott bei mir ist. Er schickt seinen Engel in jede Situation. Aber damit ist auch klar: Gott schickt den Engel. Wir können nicht über ihn verfügen. 

Interview: Markus Nolte