Folgen des Ukraine-Kriegs

Sorgen im globalen Dorf

Der Krieg im Osten Europas verschärft die globale Lebensmittelknappheit: Sowohl die Ukraine als auch Russland sind wichtige Produzenten von günstigem Getreide – vor allem Weizen. Nun wächst die Sorge vor einer neuen Ernährungskrise in Afrika. Pater Giu­lio Albanese ist Comboni-Missionar, Journalist und Berater von Papst Franziskus bei Fragen, die den Schwarzen Kontinent betreffen. Im Interview spricht er über mögliche Folgen des Kriegs für arme Länder.

Pater Giulio, Sie haben vor kurzem darauf hingewiesen, dass der Krieg in der Ukraine auch weltweite „Kollateralschäden“ verursacht. Was meinen Sie damit?

Da die Preise der Rohstoffe steigen, ist vor allem Afrika direkt und sehr hart von dem Krieg betroffen. Bezogen auf die Erdöl- und Gas-Preise könnte die derzeitige Preissteigerung zwar einigen Ländern wie Algerien, Angola, Nigeria oder Libyen Mehreinnahmen einbringen. Aber da gleichzeitig die Exportkosten für diese Länder steigen, würden sie kaum von der Preisentwicklung profitieren. Klar ist: Vom Krieg profitiert Afrika in keinster Weise.

In den westlichen Ländern klagen viele besonders über die durch den Krieg angeheizte Inflation …

Sicher betrifft die Inflation, die wir hier in Europa haben, nicht nur uns. Die gesamte Weltwirtschaft   ist vom Krieg betroffen. Dazu kommen die Sanktionen gegen Russland. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Ländern sind heute so groß, dass wir alle die negativen Folgen zu spüren bekommen.

Dieser Krieg hat also globale Auswirkungen?

Vielleicht sehen wir Katholiken das besser als andere: Wir sind, ob wir wollen oder nicht, alle miteinander verbunden. Wenn wir von der „Menschheitsfamilie“ sprechen, meinen wir genau das. Die wirtschaftliche Globalisierung hat uns vor Augen geführt, dass wir füreinander verantwortlich sind. Leider haben das aber, wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Fratelli tutti schreibt, viele nicht verstanden. Sie denken – oder handeln zumindest so –, als ob die Mitmenschen, also unsere Brüder und Schwestern, dazu da wären, ausgebeutet zu werden. Dasselbe sehen wir am Umgang mit der Umwelt. Die Wirtschaft hat die Schöpfung als „Ausschöpfungsobjekt“ betrachtet. Auf lange Sicht führt das zum Verderben – und zwar des Ausbeuters selbst.

Welche Konsequenzen sind für den afrikanischen Kontinent zu befürchten?

Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir in einer Welt, die zu einem globalen Dorf geworden ist, alle ein gemeinsames Schicksal teilen. Das heißt, die Probleme der Peripherien der Welt, wie Franziskus dies nennt, können die Art und Weise des Lebens aller Menschen beeinflussen.

Umgekehrt hatten doch auch die Ereignisse im Nahen Osten oder in Nordafrika große Auswirkungen auf Europa (etwa während der Flüchtlingskrise 2015, Anm. d. Red.). Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass jetzt auch Afrika unter den Folgen des Kriegs in der Ukraine leidet. Der Krieg erinnert uns daran, dass der afrikanische Kontinent viel näher bei uns liegt, als wir denken. 

Neben der Nahrungsmittelkrise verschärfen die hohen Ölpreise und Versorgungsprobleme die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Länder des Südens …

In letzter Zeit wurde die Nahrungsmittelkrise oft mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht. Und in der Tat ist diese Komponente nicht zu vernachlässigen. Aber das ist nicht der einzige Grund für den Hunger auf der Welt. Meines Erachtens gibt es da ein größeres Problem: die Finanzierung der Grundnahrungsmittel und Nahrungsrohstoffe.

Nahrungsmittel werden heutzutage an den Börsen nicht nur gehandelt, sondern damit wird regelrecht spekuliert. Vielleicht kann uns der Krieg dieses perverse Spiel bewusst machen und zu einer globalen Empörung beitragen, damit das endlich aufhört.

Im Moment geht es vorrangig darum, einen Weg zu einem Frieden in der Ukraine zu finden. Doch was wären Schritte darüber ­hinaus, um die globale Nahrungsmittelkrise zu überwinden?

Wenn ich daran denke, dass viele unserer Pensionsfonds an der Börse von Chicago die Nahrungsmittelrohstoffpreise beeinflussen, geht es um die Haltung eines jeden von uns. Das heißt, unsere Versicherungen und Renten­einrichtungen tragen maßgeblich dazu bei, dass sich viele Menschen auf der Welt kaum ihr Essen leisten können. 

Im Afrika südlich der Sahara müssen die meisten Menschen etwa 80 Prozent ihres Einkommens für Essen ausgeben, um ihre Ernährung zu sichern. Höhere Preise für Nahrungsmittel haben also sehr weitreichende Folgen. 

Befürchten Sie, dass der Krieg in der Ukraine auch wegen der Rohstoffproblematik zu einer internationalen Eskalation führen könnte?

Der Papst hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die heutige Finanzwelt eine Wirtschaft fördert, die tötet. Wir müssen also alles ­daran setzen, dies zu ändern. Das wäre die beste Strategie, um zu verhindern, dass aus dem Krieg in der Ukraine ein Weltkrieg wird.

Interview: Mario Galgano

30.03.2022 - Ernährung , Krieg , Ukraine