Von Nazi-Polizisten getötet

Ungeboren und trotzdem selig

Es ist ein Unikum der Kirchengeschichte. Ein noch ungeborenes Kind, das mit seiner Mutter und weiteren Familienmitgliedern getötet wurde, soll in die Schar der Seligen aufgenommen werden. Papst Franziskus hat kurz vor Weihnachten das Martyrium der polnischen Familie Ulma bestätigt. Dies ist die Voraussetzung für eine Seligsprechung der Familie, die nun als „Diener Gottes“ verehrt werden darf.

„Ihr Geschenk des Lebens ist ein Zeichen für uns, dass wir manchmal unser Leben opfern müssen, um andere Menschen zu retten“, dankte Erzbischof Adam Szal von Przemyśl im Karpatenvorland im äußersten Südosten Polens für den Einsatz der neunköpfigen Familie während des Zweiten Weltkriegs. „Heute bitten wir um das Geschenk ihrer Seligsprechung.“

Juden Zuflucht geboten

Pater Witold Burda, der Postulator des Seligsprechungsverfahrens, sieht die Ulmas als großes Vorbild für heutige Christen: Die Familie habe „das Gesetz Gottes jeden Tag an die erste Stelle“ gesetzt. Indem sie Juden in ihrem Haus Zuflucht boten, setzten Józef und Wiktoria Ulma ihr Leben und das ihrer sieben Kinder – einschließlich eines Ungeborenen – für die Verwirklichung der Nächstenliebe aufs Spiel. 

Ihr Martyrium nahm am frühen Morgen des 24. März 1944 seinen Lauf. Deutsche Polizeibeamte und polnisch-ukrainische Hilfspolizisten umstellten das Haus der Familie am Ortsrand von Markowa im Südosten Polens, das damals als „Generalgou­vernement“ von Nazi-Deutschland besetzt war. Ein Polizist aus dem nahen Łańcut, Włodzimierz Leś, soll die Familie denunziert haben. 

Tatsächlich fanden die Polizisten in einem Versteck die sechsköpfige jüdische Familie Szall und die beiden jüdischen Schwestern Golda und Layka Goldman. Bereits 1942 waren die Ulmas Zeugen einer Exe­kution von fast 100 Juden geworden. Einige der Opfer konnten im Tumult der Massenverhaftung und -ermordung fliehen. Nachdem sich alles ein wenig beruhigt hatte, boten etliche Bauern den Überlebenden Unterschlupf an. 

Viele Bewohner gaben den Verfolgten einen Teil ihrer Lebensmittelrationen. Anderthalb Jahre blieb dies von den Behörden unbemerkt. Nun aber holte man die versteckten Juden aus dem Haus der Ulmas und erschoss sie. Dann erschossen die Polizisten zunächst den 44-jährigen Familienvater Józef und seine zwölf Jahre jüngere hochschwangere Frau Wiktoria. Als die Kinder der Ulmas beim Anblick ihrer getöteten Eltern zu schreien begannen, wurden auch sie erschossen.

Die Bewohner des Ortes mussten den Hinrichtungen beiwohnen – zur Abschreckung. Das brutale Vorgehen erschütterte sie derart, dass einige, die ebenfalls Juden versteckt hielten, diese nachts aufs Feld führten und dort eigenhändig umbrachten. Yehuda Erlich, der in seinem Versteck überlebte, berichtet, dass am nächsten Morgen 24 Leichen von Juden aufgefunden wurden. Daneben gab es aber doch einige Bauern, die weiterhin Unterschlupf gewährten. In Markowa überlebten deshalb fast 20 Juden den Krieg. 

Premiere in der Kirchengeschichte

Dass die römische Selig- und Heiligsprechungsbehörde das ungeborene, namenlose und ungetaufte Kind der Ulmas in den Seligsprechungsprozess einbezogen hat, ist eine Premiere in der Kirchengeschichte. „Gerade diese Seligsprechung eines ungeborenen Kindes ist eine Anerkennung, dass ein Kind bereits im Mutterleib ein Mensch ist und diese Person Schutz und Fürsorge verdient“, macht der Weihbischof der Erzdiözese Przemyśl, Stanisław Jamrozek, deutlich.

Unter dem Namen „Barmherzige Samariter von Markowa“ kann die Familie Ulma nun verehrt werden. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem verlieh Józef und Wiktoria Ulma bereits 1995 posthum den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“. Zum 60. Jahrestag der Exekution 2014 zelebrierte der damalige Erzbischof von Prze­myśl, Józef Michalik, in Markowa einen Gottesdienst und übergab einen Gedenkstein seiner Bestimmung.

122 polnische Märtyrer

Seit 2016 informiert im Ort des Massakers ein Museum über den selbstlosen Einsatz des Obstbauern und Amateurfotografen und seiner Familie. Einschließlich der Ulmas stand zuletzt noch die päpstliche Anerkennung von 122 polnischen Märtyrern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs aus. Im Fall der Familie Ulma ist man dem Ziel der Seligsprechung nun einen entscheidenden Schritt nähergekommen.

Elmar Lübbers-Paal

10.01.2023 - Märtyrer , NS-Zeit , Papst