Bundestag debattiert Abtreibung

Ungeborene töten – bald legal?

Im Streit um das in Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs geregelte Werbeverbot für Abtreibungen ringt die Bundesregierung hinter den Kulissen um einen Kompromiss. Linken, Teilen der Grünen und Feministinnen geht es um mehr: Sie wollen auch den Paragrafen 218 kippen und Schwangerschaftsabbrüche insgesamt legalisieren.

In den 1970er Jahren hatten Frauenrechtlerinnen unter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ für die Legalisierung von Abtreibungen gekämpft. Heute steht auf den Plakaten und T-Shirts auf der Zuschauertribüne des Bundestags „Mein Körper, meine Entscheidung – Weg mit § 219a“ oder „Abtreibung ist kein Verbrechen“. Auch wenn es nur wenige Demonstrantinnen sind, die das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zusammengetrommelt hat – sie haben Einfluss.

Nachdem Ende 2017 eine Ärztin aus Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Internetseite für Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis geworben hatte, ist in Deutschland der Streit um das Abtreibungsrecht neu entflammt. Linke, Grüne und die FDP wollen den Paragraf 219a abschaffen oder zumindest reformieren. 

Der Paragraf verbietet es, Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anzukündigen oder anzupreisen. Eigentlich würde auch die SPD das Verbot gerne kippen. Doch um den ohnehin strapazierten Koalitionsfrieden mit der Union, die an der Regelung festhalten will, nicht weiter zu belasten, haben die Sozialdemokraten ihren Gesetzentwurf zurückgezogen. 

Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags machte Katharina Jestaedt, stellvertretende Leiterin des katholischen Büros, unmissverständlich klar, dass für die Kirche der Schutz des Lebens über allem stehe. Die Juristin befürchtet, dass Abtreibungen im Falle einer Abschaffung des Paragrafen zu einer „gewöhnlichen Dienstleistung“ verkommen könnten. Das Gesetz wirke einer Bagatellisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegen. 

Der Augsburger Juraprofessor Michael Kubiciel geht in seiner Argumentation noch einen Schritt weiter. Er befürchtet eine Kommerzialisierung von Abtreibungen. Bereits vor der Anhörung hatte sich auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, für einen Fortbestand der seit 1933 geltenden Regelung starkgemacht. 

Eine rechtswidrige Tat

Er sagt, es sei intuitiv nachvollziehbar, dass man für eine rechtswidrige Tat nicht werben darf. In seiner Argumentation verweist er auf das in Paragraf 218 geregelte Abtreibungsrecht, wonach Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche grundsätzlich rechtswidrig, aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei sind.

Um einem erneuten Koalitionsstreit aus dem Wege zu gehen, wollen Union und SPD ihren Dissens beim Abtreibungsrecht auf Minister­ebene klären. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Justizministerin Katarina Barley, Frauenministerin Franziska Giffey (beide SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) sollen bis Herbst ein gemeinsames Papier erarbeiten. 

Moderiert wird das Verfahren von Kanzleramtschef Helge Braun. Es dürfte darauf hinauslaufen, dass man Ärzten und Kliniken zukünftig zumindest das „Ankündigen“ von Schwangerschaftsabbrüchen nicht mehr verbieten wird. Eine offensive Werbung dafür soll aber weiter verboten bleiben. 

Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, hat sich in dem Streit für „pragmatische Lösungen“ ausgesprochen. Denkbar sei beispielsweise die Einrichtung eines Internetportals, über das sich Frauen über den Eingriff als solchen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Beratungsstellen sowie über die zuständigen Ärzte informieren könnten. 

Bereits Ende Mai hatten der rot-rot-grüne Berliner Senat sowie die SPD-geführte Hamburger Gesundheitsbehörde auf ihren Internetseiten die Namen von Ärzten veröffentlicht, die Abtreibungen vornehmen. Sie wollten so wohl zusätzlichen Druck auf die Unionsparteien aufbauen.

Im Umfeld der Bischofskonferenz empfindet man die Veröffentlichung solcher Listen als „geschmacklos“. In der evangelischen Kirche stoßen sie dagegen auf weniger Vorbehalte: In einem Aufsatz für die „Herder Korrespondenz“ hat sich der EKD-Ratsbevollmächtigte Martin Dutzmann dafür ausgesprochen, solche Listen über die Schwangeren-Beratungsstellen weiterzugeben. Das allerdings ist längst Praxis.

Mit großer Sorge betrachtet man in der katholischen Kirche vor allem die bundesweit aufgeflammte Diskussion um das Abtreibungsrecht insgesamt. „Unsere Theorie ist, dass es nicht nur um den Paragraf 219a geht, sondern um mehr“, sagt Katha­rina Jestaedt im Gespräch mit dieser Zeitung. 

Tatsächlich arbeiten im Bundestag Linke und Teile der Grünen da­ran, auch Paragraf 218 abzuschaffen, um Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der Fristenlösung komplett zu legalisieren. „Langfristig muss klar werden, dass das gesamte Thema Schwangerschaftsabbruch nichts im Strafgesetzbuch zu suchen hat“, meint die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring.

Bisher sind in Deutschland Abtreibungen nur dann straffrei, wenn dafür medizinische oder kriminologische Gründe vorliegen oder die Frauen eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatung wahrgenommen haben. Diese vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Beratungspflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens wollen etliche Feministinnen nun kippen. 

Nach der Sommerpause will die Linke dazu einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Unterstützt wird sie dabei von der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung. Auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat deutlich gemacht, dass es die Abschaffung von Paragraf 219a nur als einen ersten Schritt begreift. 

Pro Jahr werden in Deutschland rund 100 000 Kinder abgetrieben. Lediglich für knapp fünf Prozent der Abbrüche gibt es medizinische oder kriminologische Gründe.

Andreas Kaiser

11.07.2018 - Gesundheit , Kriminalität , Politik