Modell-Region Schleswig-Holstein:

Urlaub in der Pandemie: Offene Türen statt Verbote

Die dritte Corona-Welle scheint gebrochen oder zumindest ausgebremst. Mehr als 30 Millionen Deutsche haben bereits die erste Impfdosis erhalten, der bundesweite Inzidenzwert liegt unter 100. Die Rückkehr zu etwas mehr Normalität scheint greifbar.  Auch Urlaub ist in vielen Regionen schon oder wohl bald wieder möglich. Wie dieser sicher und zugleich erholsam gestaltet werden kann, testet Schleswig-Holstein, das Bundesland mit den geringsten Inzidenzen, seit Mitte April in einem Modellprojekt. 

Wie dringend der Wunsch nach etwas Erholung ist, hat sich in den Osterferien gezeigt, als rund 40 000 Deutsche in vollen Fliegern nach Mallorca „flüchteten“. In Deutschland herrschte zu der Zeit noch ein strenges Beherbergungsverbot. Lediglich Schleswig-Holstein lockerte bereits in einem Testlauf zum 19. April die Regelungen.

Vier Modellregionen

Nach intensiver Prüfung der Corona-Zahlen und Hygienekonzepte hatte das norddeutsche Bundesland vier Kandidaten für das vierwöchige Modellprojekt ausgewählt: An der Ostsee waren es Eckernförde mit der Schlei-Region sowie die innere Lübecker Bucht. An der Nordsee fiel die Wahl auf Nordfriesland mit Sylt und den Dithmarscher Urlaubsort Büsum. 

Dass bei den „Auserwählten“ nicht alle gleich fröhlich „hurra“ riefen, ist verständlich. Würden manche Gäste das Virus mitbringen, fragten sich einige bang. Ein Abbruch des Versuchs war ebenso denkbar wie eine Verlängerung. Auf alle Fälle musste die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner liegen.

Zweimal verschoben

Diese Vorgaben schaffte Eckernförde mit der Schlei-Region. Zum Start am 19. April blieb die Gegend rund um das Ostseebad zunächst das einzige Versuchsobjekt. In der Lübecker Bucht hingegen musste der Beginn zweimal verschoben werden. Auch an der Nordsee hatte man noch Bedenken. 

Nur überprüfte Betriebe dürfen beim Modellprojekt mitmachen. An der Schlei beteiligen sich 620 Ferienhäuser und -wohnungen, 22 Hotels, 30 Campingplätze, 32 Agenturen und vier Häfen. Wer das Glück hat, eine Unterkunft zu ergattern, kann aber nicht einfach die Koffer packen und losfahren – nein! 

Zuerst ist ein Formular auszufüllen – „Einwilligung des Gastes zur Teilnahme an dem Modellprojekt und zur Verarbeitung der Daten“ – und geschwind zurückzusenden. Mitzubringen ist ein negativer Antigentest, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, und die „Luca“-App auf dem Smartphone zwecks digitaler Rückverfolgung. 

Dänisches Erbe und ein Testzentrum als Besonderheiten

In Schleswig-Holstein angekommen, stechen nördlich von Kiel gleich ungewöhnliche Ortsnamen wie Norder- und Süderbrarup ins Auge. Daran ist gut zu erkennen, dass Schleswig und Holstein geraume Zeit bis zum Wiener Kongress 1815 zu Dänemark gehörten. 

Normalerweise fallen in Süderbrarup die Kirche aus dem zwölften Jahrhundert sowie urige Bauernhäuser mit Reetdach auf. Jetzt gesellt sich zu den Besonderheiten des Ortes ein Testzentrum: Alle drei Tage müssen sich die Gäste auf Covid-19 testen lassen.

Das ist auch im zwölf Kilometer entfernten Fischerstädtchen Kappeln unweit der spätbarocken St.-Nikolai-Kirche von 1793 möglich. Doch dort haben die Urlauber zumeist anderes als „Nasebohren“ im Sinn. 

Die Schlei ist beliebt bei Anglern. An dem 42 Kilometer langen Ostseefjord, der sich bis zur einstigen Landeshauptstadt Schleswig erstreckt, kommt zwischen der Klappbrücke und dem rotweißen Schaufelraddampfer richtiges Mississippi-Feeling auf. Die nostalgischen Dreimaster jenseits der Klappbrücke sind für Besucher aus dem Binnenland die größere Attraktion. 

Auf der breiten Promenade reihen sich die Restaurants. Nur Außengastronomie ist Anfang Mai möglich, doch Plastikplanen und Wolldecken schützen die Gäste vor kühlen Winden. Trotz des Gästeansturms wird nirgendwo gedrängelt. Abstandswahrung und Maskentragen ist selbstverständlich.

Festung der Wikinger

Ebenso selbstverständlich ist für die Urlauber ein Ausflug nach Hai­thabu. Die mächtige Wikinger-Festung gehört seit 2018 zum Unesco-Weltkulturerbe. Im Frühmittelalter war der Ort das wichtigste Handelszentrum in Nordeuropa und wurde zu einer reichen Stadt mit bis zu 1500 Einwohnern. 

An diese Epoche erinnen die sieben nachgebauten Holzhäuser, darunter die Häuser des Kammmachers und des Tuchhändlers sowie die Herberge. Im zugehörigen Museum wird alles genau erklärt. Die Hauptattraktion bildet ein Langschiff der Wikinger, das anhand von gefundenen Holzteilen rekonstruiert wurde. 

Beim Verlassen des Geländes fällt die Kirche von Haddeby auf. Die heutige Andreaskirche ist vermutlich der Nachfolgebau eines Holzkirchleins aus dem neunten Jahrhundert. Erzbischof Ansgar, Missionar in Skandinavien und „Apostel des Nordens“, hatte in Haithabu die erste christliche Kirche nördlich von Hamburg gebaut. 

Verschlossener Dom

Lässt man die Augen in die Ferne streifen, erblickt man am Horizont den Turm des St.-Petri-Doms in Schleswig. In der Stadt angekommen stellt man jedoch fest, dass das Gotteshaus eingerüstet und die Pforten verschlossen sind. 

Statt Dombesichtigung also ein Abstecher zur ehemaligen Fischersiedlung Holm und ein anschließender Bogen zum weitläufigen Rathausmarkt. Vor kleinen Häusern laden dort Tische, Stühle und Strandkörbe zum Pausieren ein. Die gehören zum Traditionsrestaurant Senator-Kroog von 1884. 

Exponate aus fünf Jahrhunderten

Weiter geht es auf die Museums­insel. Schloss Gottorf bietet Exponate aus fünf Jahrhunderten. In der Gotischen Halle ist kirchliche Kunst des Mittelalters zu sehen, ausdrucksstarke Schnitzwerke und St. Georg hoch zu Ross. In die farbenfreudige Kapelle blicken die Besucher von oben hinein. 

In Eckernförde lockt der Kurstrand die Urlauber an. Die Strandkörbe sind schon aufgestellt, Kinder spielen im Sand. Vertäute Oldtimer-Großsegler, umfunktioniert zu Hotels und Restaurants, warten auf Gäste. In der „Bonbonkocherei“ in der Frau-Clara-Str. 22 sind es eher die Süßschnäbel, die aus Abstandsgründen draußen warten müssen. 

Beim Hafen-Spaziergang vorbei an den bunten Fischerbooten ist kein Warten nötig und auch nicht bei der Betrachtung des ungewöhnlichen Rundspeichers, einem Backsteinbau aus den 1930er Jahren. Eine hölzerne Klappbrücke führt hinüber in den Stadtteil Borby mit der Borbyer Kirche aus dem zwölften Jahrhundert. 

Die kleinste Stadt Deutschlands

Auch die kleinste Stadt Deutschlands liegt in der Region: Arnis wurde 1667 von 62 Schifferfami­lien­ aus Kappeln gegründet, die der Leibeigenschaft des Gutsherrn entgehen wollten. Kleine Giebelhäuser reihen sich an der Langen Straße, die Kirche auf einem kleinen Hügel fällt zunächst kaum ins Auge. 

Kaum standen die ersten Häuser, begannen die Wegzügler mit dem Bau der Schifferkirche, die 1673 geweiht wurde. Weit und breit spendeten die Bürger damals für diesen Kirchbau. Seine Tür ist offen. Über dem schneeweißen, blitzblanken Kirchengestühl hängen Votivschiffe. Auch die Barockorgel ist erhalten. Offensichtlich pflegen die Bewohner von Arnis dieses Juwel. 

Gepflegt wirkt auch das Restaurant Strandhalle nahe dem Mini-Hafen. Anfang Mai war es allerdings noch geschlossen. „Kiek mol wedder in“ ermunterte dennoch ein Schild – und vermutlich lässt sich das nun auch machen. 

Vorbildhafter Versuch

Denn das Modellprojekt Eckernförde mit der Schlei-Region wurde schnell zum Vorbild. Am 1. Mai startete das vorher zögerliche Sylt in die Testphase, am 8. Mai gaben sich die Orte in der Lübecker Bucht einen Ruck. Und ab 10. Mai schloss sich Büsum an. 

Offene Türen statt Beherbergungsverbot: Inzwischen ist aus dem Test- ein Regelbetrieb geworden. Seit vergangener Woche sind Gaststätten, Hotels, Pensionen und Campingplätze in Schleswig-Holstein generell wieder geöffnet – natürlich unter strengen Hygieneauflagen. Ein großer Schritt zurück in die Normalität. 

Ursula Wiegand 

Informationen

Mehr zur Urlaubsregion und zu
Buchungsmöglichkeiten unter 

www.ostseefjordschlei.de.

21.05.2021 - Corona , Politik , Urlaub