Theodor Fontane wird 200 Jahre alt

„Von den Pfarrern begeistert“

Theodor Fontane, dessen Geburtstag sich am 30. Dezember zum 200. Mal jährt, gehört zu den Hauptvertretern des „poetischen Realismus“. Hinter fiktiven Romanfiguren steht hier die Kritik an realen Verhältnissen in Gesellschaft, Politik und Kirche. Bei Fontane haben Religion und Geistlichkeit auch einen festen Platz, weil er sie als Wahrer von Geschichte und Identität wertschätzt.

Fontane entstammte einer alten Hugenotten-Familie und war so dem reformierten Christentum verhaftet. Doch: „Er war ein Individualist“, sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, „einer, der sich ungern kategorisieren ließ. Dafür war er viel zu lebendig. Er gehört hinein in die Tradition des aufgeklärten Protestantismus.“

Claussen hat Streifzüge durch das Ruppiner Land, das Oderbruch und das Havelland rund um Berlin unternommen. Dort suchte Fontane einfache Dorfpfarrer auf. „Kritisch war er vor allem der kirchlichen Obrigkeit gegenüber“, sagt Claussen. „Er hat scharfe polemische Porträts von kirchlichen Karrieristen geschrieben. Wo Kirche sich zur Magd der Herrschenden machte, war er dagegen.“

Intellektuell ebenbürtig

Gegenüber der christlichen Frömmigkeit war der Romancier sehr offen. „Dafür steht für ihn das Bild des alten Dorfpastors in der Mark Brandenburg“, sagt Claussen. In den Dorfpfarrern fand Fontane ein intellektuell ebenbürtiges Gegenüber. Für seine Romane waren sie wichtige Ideengeber.

„Fontane geht es auch darum, dass einer im Dorf ist, der für alle da ist“, sagt Claussen, „der nicht nur auf der Seite der Armen oder der Herren steht, sondern der alle Schichten verbindet und zum gesellschaftlichen Ausgleich wesentlich beiträgt. Und wenn der Pfarrer auch noch die Chroniken führt, ist es ihm umso lieber.“

Das bestätigt Germanistin Christiane Barz, die die Geburtstagsausstellung „Fontane.200“ in Potsdam und weiteren Städten mit aufgebaut hat: „Von den Pfarrern war er begeistert, weil sie mit dem Bedeutungsverlust des lokalen Adels die Rolle übernahmen, die lokale Überlieferung lebendig zu halten und zu vermitteln.“

Fontane war kein nüchterner Historiker, sondern ein Schriftsteller, der die vielen geschichtlichen Details rund um die Pfarrhäuser als Fundgrube benutzte. So nutzte er auch Bücher, die nicht auf Papier, sondern auf Hanf geschrieben und auch zu Fontanes Zeiten noch gut lesbar waren, weil ihnen kein Holzfraß etwas anhaben konnte.

Ein Beispiel: das Kirchenbuch von Gröben und Siethen, das älteste erhaltene Kirchenbuch in Brandenburg. „Fontane interessiert sich für die Aufzeichnungen von drei Pfarrern, die sich den Frust über die moralische Verderbtheit von der Seele schreiben, wer wieder ein uneheliches Kind mit welchem Schandsack gezeugt hat“, weiß Barz. Fontane finde, das ins Kirchenbuch einzutragen, sei ein legitimes Zuchtmittel. „Und als solches zitiert er es.“

Fontane sog alle Informationen auf, die Dorfkirchen und ihr Inventar, Grüfte, Grabinschriften, Bilder und Heiligenschreine. Eine riesige Materialsammlung entstand. Aus Notizen wurden erste Manuskriptentwürfe mit Einklebungen, Sammelmappen, erste Artikel in Zeitungen bis zu seinen Romanen, den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. 

Dem Protestanten war gerade die katholische Zeit vor der Reformation wichtig. So interessierte er sich etwa für Totenkronen, die für verstorbene Säuglinge oder Kinder in die Kirche gehängt wurden. „Er bedauert es, dass Totenkronen als Staubfänger verbannt wurden“, sagt Barz, „dass die alten katholischen Schnitzaltäre entweder grässlich überstrichen waren oder in einer Rumpelkammer landeten.“ Fontane sei eine Art „früher Pionier der Denkmalpflege“. 

Dem Dichter war es ein Graus, dass das 19. Jahrhundert weiße Wände für schick hielt. Er dagegen wollte Fresken sehen und Bildwerke erhalten. Bei allem reformatorischen Eifer sollten die Spuren der Geschichte sichtbar bleiben. Fontane entwickelte eine Abscheu gegen Architekten, die alles nur übertünchen wollten. 

Fontane entwarf die Architektur einer guten Gesellschaftsordnung. Ihre Kennzeichen sind ein gedeihliches Miteinander zwischen einfachen Leuten und ihrem Herrn, dem Patron im Dorf. Der Pfarrer sollte mittendrin sein und Brücken bauen. Die meisten Dorfkirchen in Fontanes Umkreis waren Patronatskirchen, die einst vom örtlichen Adel gestiftet wurden.

Geschätzter Seelsorger

Fontane erschrieb sich das Ideal des sozial engagierten Pfarrers Lorenzen in seinem Alterswerk „Stechlin“, sagt der Kulturbeauftragte Claussen: „Das ist ein Pastor, der für die junge Sozialdemokratie einsteht, für ein gutes Verhältnis zur Arbeiterschaft. Der ist links, aber zugleich der geschätzte Seelsorger des alten Patrons.“

Nicht die großen Dome und Kathedralen seien für Fontane das Wichtige, sondern die kleinen Fachwerk- und Feldsteinkirchen in den Dörfern, betont Christiane Barz. „Wenn man sich vom Pfarrer aufschließen lässt und der einem etwas erzählt“, schwärmt sie, dann erlaube das quasi durchs Schlüsselloch interessante Blicke in die Lokalgeschichte.

Seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ haben Theodor Fontane berühmt gemacht. Damit habe er eine gesamtdeutsche Bedeutung, sagt der gebürtige Hamburger Claussen. Fontane sei ein „toller Wegweiser“, der Menschen in die neuen Bundesländer führt. Auch 30 Jahre nach der Wende seien noch zu wenige Westdeutsche im „Osten“ gewesen. Der Dichter selbst baue Brücken und mache Türen auf.

Thomas Klatt

28.12.2019 - Bücher , Deutschland , Jubiläum