Parlamentswahl in Israel

Ein Votum gegen den Frieden

Israel hat mehrheitlich rechts gewählt: nationalistisch, orthodox-religiös. Damit rückt eine Lösung des seit 140 Jahren schwelenden jüdisch-arabischen Konflikts in den Hintergrund. Abgestraft haben die Wähler die Regierung von Jair Lapid aus acht Parteien und Bündnissen. 

Noch-Premier Lapid steht nun massiv in der Kritik. Er hatte gegen eine Absenkung der Sperrklausel gestimmt und damit seinen kleinen Koalitionspartnern den erneuten Einzug in die Knesset unmöglich gemacht. Auch der arabisch-natio­nalistischen Partei Balad und der Vorsitzenden der linksliberalen Arbeitspartei Awoda, Verkehrsministerin Merav Michaeli, wird der „Schwarze Peter“ zugeschoben. 

Die Awoda sieht sich als Partei Jitzchak Rabins dem Friedensprozess verpflichtet. Viele empfinden sie jedoch als arrogant, abgehoben und realitätsfremd. Wiederholt hatte die 56-Jährige Parteichefin abgelehnt, im Bündnis mit der ebenfalls linksliberalen Meretz anzutreten, um die 3,25-Prozent-Sperrklausel sicher zu überspringen. Ihre Partei schaffte dies mit Mühe, stürzte aber von sieben auf vier Mandate ab. Meretz flog aus der Knesset. 

Recht bequeme Mehrheit

Da die Parteien der linken Mitte es nicht vermochten, neue Wähler zu gewinnen, erfreut sich das rechte Lager mit 65 Mandaten einer für israelische Verhältnisse recht bequemen Mehrheit. Der Likud von Ex-Premier Benjamin Netanjahu erreichte 32 Sitze. Der 73-Jährige dürfte seine sechste Amtszeit als Regierungschef antreten können. Als Partner stehen das ultrarechte Bündnis „Religiöser Zionismus“ (14 Sitze), die ortho­doxe Shas-Partei (elf) sowie das Vereinigte Thorajudentum (acht) bereit.

Eine „quasi-faschistische, ultra­religiöse Regierung für ein Land, das Besseres verdient hat“ – so nennt Alon Pinkas die wahrscheinliche künftige Regierung in der liberalen Tageszeitung Ha’aretz. Und Judy Maltz fragt, ob Israel nun eine „Theokratie“ werde. Nichtreligiöse Juden sehen das Wahlergebnis jedenfalls mit Sorge. 

Auch die Minderheit der arabischen Israelis – Muslime, Christen und Drusen – dürfte nicht erfreut über das neue Regierungsbündnis sein, das die Geschicke des Landes bald bestimmen dürfte. Und was erst wird der Wahlsieg der Gegner eines eigenen palästinensischen Staats für die fünf Millionen Palästinenser im besetzten Westjordanland und im Gaza-Streifen bringen? Sie sollten sich wohl warm anziehen.

„Tod den Arabern“

Das liegt auch an Itamar Ben-Gvir vom Bündnis „Religiöser Zionismus“. Für viele Beobachter ist er der eigentliche Wahlgewinner, für manche gar faktischer Regierungschef. „Tod den Arabern“, sangen seine Anhänger auf der Wahlparty und feierten den 46-jährigen radikalen Siedler. Rund 50 Mal wurde Ben-Gvir bereits angeklagt: unter anderem wegen Hetze und Unterstützung einer Terrorgruppe. Dem „Spiegel“ gilt der Schüler des 1990 ermordeten rassistischen Rabbiners Meir Kahane als „Provokateur“. Andere sehen ihn als „Trump Israels“. 

Polizeikommissar Kobi Shabtai sagte 2021, nachdem die palästinensische Gewalt zum fünften Gaza-Krieg seit 2006 eskaliert war: „Die Person, die für diese Intifada verantwortlich ist, heißt Itamar Ben-Gvir.“ Bei dem elftägigen Krieg starben damals sechs Israelis sowie 233 Palästinenser, darunter viele Kinder. Die Gewalt sprang aufs Kernland Israel über und forderte auch dort Verletzte und Tote. 

Militärschlag gegen Iran?

Nun dürften Ben-Gvir und sein Bündnis Schlüsselressorts verlangen, die ihnen die Kontrolle über das Westjordanland sichern: das Verteidigungs-, Innen- oder Bauministerium. Rückendeckung wird er von den acht Parlamentariern erhalten, die ebenfalls in völkerrechtswidrigen Siedlungen leben. Netanjahu selbst, der wegen Korruption vor Gericht stand, hat angedeutet, das Justizsystem grundlegend umzubauen – zu seinen Gunsten. Manche befürchten gar einen israelischen Militärschlag gegen den Erzfeind Iran.  

Ernsthafte Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern wird es jedenfalls weiterhin nicht geben. Der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten dürfte weiter forciert werden, Armee und Polizei gegenüber den Palästinensern noch freiere Hand erhalten. Das Antragsverfahren für den Passierschein für Palästinenser, die nach Israel oder Ost-Jerusalem gelangen wollen, wird wohl komplizierter werden. Möglicherweise werden auch Reisen in die palästinensischen Gebiete für Pilger erschwert.

Warnung von Diplomaten

Schon haben ausländische Diplomaten in Israel anonym vor einem Rückschlag der internationalen Beziehungen gewarnt, sollte Ben-Gvir Minister werden. Dass es so gekommen ist, ist für Beobachter auch eine Folge des Versagens der Staaten­gemeinschaft: Jahrzehntelang hat sie sich für die Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen. 

Auf jeden Ausbau der Siedlungen reagierte sie stets lediglich mit einem Ausdruck der Sorge anstatt mit klaren roten Linien. Diese haben israelische Friedens- und Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fast verzweifelt gefordert. Vergeblich.

Johannes Zang

08.11.2022 - Gaza , Israel , Politik