Segen in der Economy-Klasse

Wenn die Muttergottes Bonusmeilen sammelt

Sie ist eine Flugpassagierin, wie das Airline-Personal sie sich wünscht: Sie sitzt gerne in der Mittelreihe, ist immer angeschnallt, still, ohne Sonderwünsche und ohne Flugangst: die reisende Pilgerstatue der Muttergottes von Fátima. Bildhauer José Ferreira Thedim hat sie nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen – nach Angaben von Lúcia dos Santos, einem der drei Hirtenkinder, denen die Madonna 1917 erschienen war.

„Sou do céu“, habe die Muttergottes in Fátima auf die Frage der damals zehnjährigen Lúcia geantwortet, erzählten die portugiesischen Hirtenkinder später: „Ich bin vom Himmel.“ Sie ist da oben, als Vielfliegerin an Bord eines Flugzeugs, also ganz in ihrem Element. Der Vorschlag für die reisende Pilgerstatue kam 1947 von eben jener Lúcia dos Santos.

Sein Leben lang wollte Bildhauer José Ferreira Thedim Skulpturen schaffen, welche das überirdische Wesen, „heller als die Sonne strahlend“, das den Kindern bei der Cova da Iria von Fátima erschienen war, veranschaulichen. Er besuchte Lúcia in ihrem Kloster in Tuy in Spanien und wollte alle Details wissen: Wie sah ihr Gesicht aus, die Augen die Stirn, ihre Nase, Wangen, Mund und Kinn? 

„Der Dame so ähnlich“

Die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene US-Pilgerstatue aus Ferreira Thedims Hand ist gut einen Meter groß. Der Künstler meißelte sie zusammen mit seinem Schüler Joaquim Oliveira aus Mahagoni-Holz. Lúcia dos Santos, die zu diesem Zeitpunkt als einziges der drei Hirtenkinder noch am Leben war, sagte anerkennend: „Ich habe noch keine Abbildung gesehen, die der Dame so ähnlich sah.“ 

Eine erste Figur, die Ferreira Thedim kurz nach den Erscheinungen aus Zedernholz zu schnitzen begann, steht heute in der Kapelle des Wallfahrtsortes. Dort hatte sich am 13. Oktober 1917 das Sonnenwunder ereignet, das Phänomen der „tanzenden Sonne“ genau zum angekündigten Zeitpunkt. Es soll von mehr als 30 000 Menschen beobachtet worden sein und hob Fátima weit über andere Pilgerorte hinaus. 

In Auftrag gegeben hatte die Statue der US-Amerikaner John Haffert, Mitbegründer der katholischen „Blauen Armee Unserer Lieben Jungfrau von Fátima“, welche sich heute Fátima-Weltapostolat nennt. Haffert rief 1946 nach einem Gespräch mit Lúcia dos Santos zur Gründung der „Blauen Armee“ auf, zu einer „Mobilmachung“ gegen die Rote Armee des Sowjetkommunismus. In den folgenden Jahren gewann die Vereinigung über eine Million Mitglieder weltweit. Diese geloben, ein Skapulier zu tragen und täglich den Rosenkranz zu beten.

Die Statue für die „Blaue Armee“ wurde am 13. Oktober 1947 von Bischof José Alves Correia da Silva vor der Grotte von Fátima gesegnet. Zusammen mit Pfarrer Harold Victor Colgan, der seine Genesung von einem Herzinfarkt der Muttergottes von Fátima zuschrieb, brachte John Haffert die Statue nach Ottawa in Kanada, wo sie von Erzbischof Alex­ander Vachon gekrönt wurde. Am 8. Dezember erreichte „Our Lady of Fatima“ in Buffalo das Territorium der USA und wurde wie eine Königin empfangen. Geschätzte 200 000 Menschen säumten die Straßen.

Botschaft des Friedens

Seither reist die Pilgerstatue sowohl in den USA umher wie auch in die weite Welt. Mit sich bringt sie ihre Botschaft des Friedens und der Liebe. Sie steht jeweils für ein paar Tage in einer Kirche oder einem Andachtsraum und empfängt die Gläubigen der Region. In mehr als 100 Ländern war sie bereits. Selbst die kleine Insel Guam im Pazifik lag schon auf ihrer Route. Während ihrer Reisen in der Economy-Klasse könnte sie ordentlich Bonusmeilen sammeln.

Distanzen unter 1000 Kilometern innerhalb Nordamerikas legt die Statue in der Regel mit dem „Queen of Peace“-Tourbus zurück.Die Begleiter der Statue, Carl Malburg und Patrick Sabat, können von unzähligen berührenden Erlebnissen mit Besuchern der „Lady“ in all den Ländern, Städten und Regionen berichten. Oft werden große Hoffnungen an die Figur herangetragen. 

Von Wundern berichtet

Das halten die Begleiter der Statue für den Grund, warum so viele Gläubige in Tränen ausbrechen, wenn sie ihr gegenüberstehen. Lange angestaute Sorgen und Nöte lösten sich bei ihrem Anblick. Die „Lady“ helfe überall und immer wieder, Leid zu verkraften, und eröffne neue Zuversicht und Perspektiven, bestätigen die Begleiter. Selbst von spontanen Wundern wurde ihnen berichtet – wobei sie diese Nachrichten mit Zurückhaltung aufnehmen.

Mittlerweile ist die „Lady of Fátima“ nicht mehr alleine unterwegs: Mehrere Pilgerstatuen tun es ihr gleich. Am 11. Januar 2017, im Vorfeld des 100-Jahr-Jubiläums der Erscheinungen in Portugal, segnete Papst Franziskus in Rom nicht weniger als sechs neue Fátima-Statuen.

Einer jener Künstler, die „Unserer Lieben Frau von Fátima“ ihre irdische Form geben, ist der Holzschnitzer Luciano Thedim de Oliveira im portugiesischen Nogueiro bei Porto. Er ist Enkel und Schüler des 1971 gestorbenen José Ferreira Thedim, der die ersten Skulpturen schuf. Er konnte die Proportionen der Skulptur mit dem Zirkel millimetergenau auf das Holz eines neuen Werkstücks übertragen. 

Luciano setzt die Tradition der „Santeiros“ fort. In dem katholischen Land in der südwestlichsten Ecke Europas ist die Arbeit jener Heiligenschnitzer seit Jahrhunderten ein sehr geachtetes Handwerk. Überall in Kirchen und Kapellen wurden Statuen von Heiligen gebraucht, vor welchen die Gläubigen ihre Nöte und Anliegen im Gebet benennen konnten.

Wenige Arbeitsschritte

Heute ist das Kopieren einer solchen Figur aus Holz eine rein technische Angelegenheit geworden – in wenigen Arbeitsschritten machbar. In spezialisierten Werkstätten erfolgt ein Abtasten des Originals, berührungsfrei durch einen Laserstrahl, welcher die Figur digital in 3D erfasst. Die elektronischen Daten werden bearbeitet und einer CNC-Fräse übermittelt. 

Hochpräzise trägt ein rotierender Stahlstichel das Holz ab, bis sich allmählich die perfekte Kopie aus dem Holz schält. Das Kunstwerk braucht dann nur noch einen subtilen Feinschliff. Schließlich kann eine eventuelle Bemalung von Künstlerhand erfolgen – und die Segnung durch einen Priester.

Karl Horat

10.10.2018 - Ausland , Heilige , Kunst