Suizidbeihilfe: Recht auf Tod, Schutz vor Tötung

Wer soll sterben dürfen?

Im Februar hatte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Suizid-beihilfe gekippt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung sei verfassungswidrig, hieß es. In der Politik nimmt die Debatte über Sterbehilfe seither an Fahrt auf. Die FDP und die Humanistische Vereinigung haben erste Gesetzentwürfe vorgelegt. Christliche Parlamentarier sondieren noch. Ärzte aber mahnen zur Eile.

Unmittelbar nach dem Richterspruch hatte die FDP erste Eckpunkte für eine Regelung der Suizidbeihilfe vorgelegt. Als vor wenigen Wochen die Humanistische Vereinigung mit einem ebenfalls recht liberalen Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit ging, intensivierten auch einige christliche Bundestags-abgeordnete um Ex-Gesundheits-minister Hermann Gröhe (CDU) ihre Gespräche. 

Beratungen per Video

Die Gruppe, der auch der Unions-politiker Michael Brand und Arbeitsstaatssekretärin Kerstin Griese (SPD) angehören, hatte 2015 das inzwischen verworfene Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe auf den Weg gebracht. Da wegen der Corona-Krise zuletzt kaum persönliche Treffen möglich waren, fand man sich in Videoschalten und Telefongesprächen zusammen. Der Rat von Juristen, Ethikern und Psychologen wurde eingeholt. Ein Entwurf der Gruppe liegt jedoch noch nicht vor. 

Um die Chancen und Rahmenbedingungen für ein neues Gesetz auszuloten, will die Gruppe, sobald persönliche Treffen wieder möglich sind, auf Abgeordnete zugehen, die 2015 noch für eine Legalisierung der Suizidbeihilfe etwa für unheilbar Kranke durch ihre Ärzte votiert hatten. Dass Karlsruhe sogar jungen Menschen, die an keiner schweren Krankheit leiden, das Recht auf
Suizidbeihilfe einräumte, kam auch bei vielen nicht christlich geprägten Parlamentariern schlecht an. 

Man habe sich „bewusst gegen Schnellschüsse entschieden“, teilte der CDU-Politiker Michael Brand auf Anfrage mit. Stattdessen setze man auf einen geordneten und sorgfältigen Prozess, „bei dem wir uns auch von Verfassungsrechtlern und anderen“ detaillierte Einschätzungen darüber einholen, „wie das Urteil in der Praxis ausgelegt werden könnte und was die Optionen für das Parlament sind“. Zu den Vorlagen von FDP und Humanisten schrieb Brand, diese seien „erkennbar ohne intensive Prüfung der Auswirkungen des Verfassungs-gerichtsurteils erfolgt. Sie könnten in einzelnen Formulierungen durchaus problematisch sein.“ Details nannte er aber nicht. 

Während sich die Politik noch Zeit lassen möchte, mahnen Mediziner, die jetzt offenbar verstärkt mit den Suizidwünschen ihrer -Patienten konfrontiert werden, zur Eile. „Die Sterbehilfe-Gesetzgebung ist lücken-haft und muss so schnell wie möglich präzisiert werden“, urteilte jüngst die Deutsche Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. 

Neben dem Recht Einzelner auf Suizidbeihilfe „in begründeten Ausnahmefällen“ gelte es nun, die vielen alten und kranken Menschen vor dem sozialen Druck zur Selbsttötung zu schützen. Unmittelbar nach dem Urteil hatten einige selbst-ernannte Sterbehelfer angekündigt, ihre umstrittene Arbeit wiederaufzunehmen. 

Da diese Vereine aber auch nach Ansicht der Konrad-Adenauer-Stiftung keinesfalls „die Authentizität des Suizidwunsches“ sicherstellen könnten, reifen aktuell in der Politik Überlegungen, künftig Psychologen mit der Begutachtung von Suizidwünschen zu betrauen. Zudem seien längere Wartefristen etwa für Menschen denkbar, die an keiner unheilbaren Krankheit leiden. 

Da am Ende ein einzelnes Gesetz nicht ausreichen könnte, um ein Ausufern der Sterbehilfe wie in Belgien oder den Niederlanden zu verhindern, wo sogar Minderjährigen die assistierte Selbsttötung erlaubt ist, mehren sich in der Kirche die Rufe nach einem umfassenden Schutzkonzept für Menschen in Not. Neben dem Ausbau palliativmedizinischer Angebote für Schwerkranke gelte es auch, die Suizidprävention noch stärker auszugestalten. Zudem seien mehr psychotherapeutische Angebote für Sterbewillige nötig. Nach Darstellung von Psychiatern liegen 90 Prozent aller Suizidhandlungen psychische Ursachen wie Depressionen zugrunde. 

Ein Schein zum Suizid?

Geht es dagegen nach dem Willen der FDP-Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, müssten sich suizidwillige Menschen zur Bescheinigung ihrer Selbsttötungsabsicht nur einmalig von einer unabhängigen Beratungsstelle beraten lassen. Diese Lösung aber stößt bei katholischen Rechtsexperten auf Ablehnung. Erfahrungen aus der Schwangerenkonfliktberatung zeigten, dass eine ernsthafte Beratung zum Leben dort oft nicht stattfindet. Da müsse man nur wissen, zu welcher Beratungsstelle man zu gehen hat – und bekomme einen Schein in die Hand gedrückt. 

In einer Predigt hatte jüngst Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, die Christen aufgerufen, noch klarer „für die Heiligkeit und Unverfügbarkeit des Lebens“ einzutreten. Schwache, Kranke, Leidende und Sterbende bräuchten nach dem Urteil von Karlsruhe einen besonderen Schutz.

Andreas Kaiser

17.06.2020 - Ethik , Politik , Sterbehilfe