Begräbnisvillen und Beinhäuser

"Wir Knochen warten auf eure"

Der Tod gehört zum Leben. Zum klassischen Ablauf einer Portugalreise gehört nicht unbedingt ein Friedhof. Gleichwohl ist er  als Ort des Gedenkens, der Erinnerung und als Indikator kultureller Unterschiede sehr aufschlussreich. Dazu zwei Beispiele aus dem südportugiesischen Dorf Cacela Velha und der Hauptstadt Lissabon, ferner zwei zunächst fremd wirkende Knochenkapellen in Faro und Évora, hinter denen ein klares Konzept steht.

Still und idyllisch thront das Dorf Cacela Velha über den Ostausläufern der Lagunenlandschaft des Naturparks Ria Formosa. Die Ausblicke hinter der Kirche auf die Wasserweiten der östlichen Algarveküste sind fantastisch. Der Spaziergang durch die Gassen führt zu Häusern mit schmuckvollen Kaminen und farbigen Anstrichen von Tür- und Fensterrahmen, zu Zitronenbäumchen und Bougainvillen. Doch da ist noch ein Ziel, etwas abseits: der Cemitério Paroquial de Vila Nova de Cacela – der Friedhof. 

Äußerlich ungleich

Hier setzt sich die Kluft zwischen Reich und Arm vom Dies- ins Jenseits fort, zunächst. Die Ungleichheit fängt mit der Wahl der Grabstätte und damit der Außendarstellung an. Die Billigvariante sind Etagengräber, die Luxusversio-nen Mausoleen. 

Betonierte Einschubfächer und Prunkmausoleen

Die Einschubfächer der Etagengräber sind in Riesenblocks gefasst, vorfabrizierte Megabetonkästen. In fünf Ebenen übereinander sind sie angeordnet. Neben den eingravierten Namen sieht man ovale Plaketten mit verblassten Fotos von Verstorbenen, Kunstblumen, Kerzen, winzige Madonnenskulpturen. In Prunkmausoleen dagegen schaut man durch Glasscheiben unvermittelt auf Särge, die mit Spitzendeckchen verhüllt sind.

Beim Umgang mit Tod und Trauer legen Portugiesen generell eine andere Messlatte an. In dieses Bild passt eine Beobachtung, die Moritz Willkomm (1821 bis 1895) in seinem Band „Zwei Jahre in Spanien und Portugal“ aus São Bartolomeu de Messines, einem Städtchen im Hinterland der Algarveküste, schilderte. 

Zigarre und Wein

Er schreibt: „Hier ward mir ein seltsames Schauspiel. Es wurde nämlich gerade ein Gestorbener bestattet und ich begegnete dem Zuge auf dem Platze des Fleckens. Plötzlich mochten die Träger des Sarges, welcher offen stand und in dem die Leiche bloß in ein Leinwandtuch gehüllt lag, Durst bekommen. Sie setzten die Bahre mitten auf den Markt, ließen den singenden und betenden Klerus laufen, wohin er wollte, und traten in die benachbarte Estalagem [Gasthaus], um ein Glas Wein zu trinken und eine Zigarre zu rauchen.“

Cemitério dos Prazeres: aufgestapelte Särge

Aus deutscher Sicht etwas fremdartig geht es auch in Lissabon auf dem Cemitério dos Prazeres zu, dem „Friedhof der Freuden“. Hier haben seit den 1830er Jahren Zehntausende Lissabonner ihre letzte Ruhe gefunden. Glasscheiben, teils mit offenen Gardinchen, erlauben auch hier den freien Einblick auf aufgestapelte Sargungetüme in verschiedenen Höhenstufen rechts und links.

Die Anordnung im Innern gleicht sich vielfach. In der Mitte, zwischen den teils mit Tüchern bedeckten Särgen hindurch, führt der Durchgang auf eine Art Minialtar mit eingerahmten Fotos, Kerzenhaltern und kleinen Marienbildnissen zu. Auf der Gegenseite fällt das Licht durch ein Buntglasfenster, darunter an der Wand hängen Kreuze.

"Capela dos Ossos": Knochenmosaike im Dämmerdunkel

Noch weitaus fremder für deutsche Besucher wirken die Eindrücke in historischen Knochenkapellen. Eine solche „Capela dos Ossos“ gehört in der Algarve-Hauptstadt Faro zur Kirche Carmo und in der Region Alentejo im Städtchen Évora zur Kirche São Francisco. In beiden tritt man hinein in ein Dämmerdunkel, in dem sich die Wand- und Deckenzier aus Riesenmengen menschlicher Knochen und Totenschädel zusammensetzt. Die sterblichen Überreste sind kunstvoll drapiert und angeordnet, formen befremdliche Mosaike und Muster. 

Gegen die Vergänglichkeit

„Wir Knochen, die wir hier liegen, warten auf eure“, heißt es zur Begrüßung in der Knochenkapelle in Évora, die ab Ende des 16. Jahrhunderts auf Betreiben der Franziskaner in der Klosteranlage entstand. Dieser Spruch sei, so ist einer Infotafel zu entnehmen, „eine Einladung“, um die Vergänglichkeit des Menschen zu reflektieren. 

Denn eines ist klar: Verwirkt und verloren ist irgendwann auch das Leben des Betrachters – es sei denn, er wendet sich dem Heil des Glaubens zu und gewinnt das ewige Leben. 

Andreas Drouve

31.10.2019 - Ausland , Gedenken , Glaubensleben