"La Patum" im spanischen Berga

Wo Fronleichnam Welterbe ist

BERGA – Eine gute Autostunde nördlich von Barcelona ist eine der eindrucksvollsten Fronleichnamsfeiern Europas zu Hause. „La Patum“ heißt das mehrtägige Fest, das zum immateriellen Weltkulturerbe gehört: ein ursprünglich rein religiöses Spiel, das heute viele Tausend Einheimische und Touristen in Bergas Altstadt lockt. 

Oben in den Bergen, im Marienkloster Queralt, träumt die Mutter Gottes, eine Marienfigur aus dem 14. Jahrhundert. Unten in Berga toben derweil die Teufel: eine Hundertschaft feuerspeiender Höllengeister. Pausenlos platzen Knallkörper. Magisch rot glänzt der Petersplatz im Herzen der Stadt, überlagert vom Qualm bengalischer Lichter. 

Für die Menschen in Berga ist es eine Art Fegefeuer, an dessen Ende sie geläutert und um ein Jahr älter sind. „In Berga lebt man von Patum zu Patum“, erzählt Roger, einer, der dem Fest Leben einhaucht. Er ist Träger einer der bis zu 110 Kilogramm schweren Riesenfiguren, die La Patum ein Gesicht geben. 

„Pa-Tum, Pa-Tum“: Dumpfe Trommelschläge verkünden nach dem Festgottesdienst die große Feier. Auf der Kirchentreppe sitzt die neugierige Jugend, auf dem Rathausbalkon stehen die Ehrengäste samt Bürgermeister. Kampfbereite Ritter eröffnen schließlich den Reigen des Fronleichnamsspiels, dessen Wurzeln tief ins Mittelalter reichen. Vier mit Holzschwertern bewaffnete Christen erwehren sich der Attacken säbelrasselnder Muslime. 

Kampf gegen Mauren

Der Kampf der Christen gegen die muslimischen Mauren ist ein Stück spanischer Geschichte, das auch heute noch gern erzählt wird. Vielleicht, weil die Christen in Spanien immer weniger, die muslimischen Einwanderer und Gastarbeiter aus Asien und Afrika immer mehr werden – auch in Berga mit seinen knapp 15 000 Einwohnern.

Der nächste Akt des Spiels war einst Teil religiöser Erwachsenenbildung: der Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert von Engeln und Teufeln. Michael und Luzifer heißen heute wie damals ihre Anführer. Der eine erscheint als geflügelter Erzengel, der andere als flammender Höllenfürst. Mit dem Speer versetzt Michael den Teufeln theatralisch den Todesstoß.

„La Guita“ heißt der nächste Unhold, ein Fabelwesen mit Eselsleib, Pferdeschwanz, Giraffenhals und Drachenkopf: ein feuerspeiendes Untier, das seit dem frühen 17. Jahrhundert sein Unwesen in Berga treibt – sehr zur Freude der Jugend, die es immer wieder neckt, wenn es kreuz und quer durch die Massen galoppiert. 

Seit 1890 hat das Untier ein Geschwisterchen. „Guita Boja“ nennen es die Einheimischen, „die Verrückte“, weil es noch wilder als das Muttertier ist. Sogar die Neugierigen hinter den Fenstern im ersten Stock der Häuser sind vor seinen Feuerspei-Attacken nicht sicher, wenn es seinen meterlangen Hals plötzlich nach oben reckt. Dann beten die Feuerwehrleute, dass wie jedes Jahr auch diesmal alles gut gehen möge.  

Wenn der Adler schließlich die Bühne betritt, scheint das Chaos erst einmal gebannt. Kulturwissenschaftler, die Bergas größtes Fest immer wieder unter die Lupe genommen haben, erinnern seine Auftritte an Tänze aus der Renaissance, die Musik an gregorianische Hymnen. Stolz dreht sich der mächtige Vogel im Kreis, im Maul ein paar rote Nelken und Olivenzweige. Manche wollen in ihm den Evangelisten Johannes sehen, der durch den Adler versinnbildlicht wird. 

Verkörperung des Stolzes

Andere werten ihn als Verkörperung des lokalen Stolzes. Schließlich sei es die Stadt gewesen, welche Berga das Adler-Kostüm 1756 für das Fest schenkte. Anders als die tobenden Ungeheuer wählt der Vogel seine Schritte mit Bedacht. Nur zum Schluss dreht er sich immer schneller, und man muss vor seinem meterlangen Schwanz in Deckung gehen, will man nicht geköpft werden.

Das sei schon vorgekommen, weiß Roger, der mit einem der vier Riesen auf den Schultern die Bühne betritt und sich dabei so schnell dreht, dass sich sein Rock vom Boden hebt. Dann sind die Zwerge dran. Die ersten Figuren schenkte Berga 1853 ein Politiker: vier lustige Gesellen mit Dreispitz und schwarzem Rock. 1890 kamen neue Zwerge hinzu, zwei Männer und zwei Frauen, ein altes und ein junges Paar, das die alten Dickköpfe ersetzen sollte.

Doch weil die Menschen in Berga sie nicht missen wollten, schickte man von da an eben alte und neue Zwerge zum Fronleichnamsfest. Ein Walzer, von den Einheimischen „El Tirabol“ genannt, vereint noch einmal alle Akteure, ehe das Festvolk zum Mittagessen zieht. 

Schon abends trifft sich Berga wieder auf dem Petersplatz. „Pa-Tum, Pa-Tum!“, bittet der Trommler zum neuen Spiel. Wieder tanzen Riesen und Zwerge, siegen die christlichen Ritter über die maurischen Säbelkämpfer, vernichtet der Erzengel den Höllenfürsten. Irgendwann gegen Mitternacht verlöschen alle Lichter. 

„Wenn Sie nicht wissen, was gleich los ist“, verkünden geheimnisvoll die Lautsprecher, „dann verlassen Sie bitte sofort den Platz.“ Für die Einheimischen heißt die Durchsage: die feuerfesten Hüte noch einmal tiefer ins Gesicht rücken und die letzten nackten Stellen an Hals, Armen und Beinen bedecken! Festes Schuhwerk trägt man an Fronleichnam hier ohnehin.

Zur Krönung des Fests nimmt eine Hundertschaft grüner Naturdämonen den Platz vor der Kirche in Beschlag. „Els Plens“ heißt die teuflische Schar: in Zweige und Blätter eingebundene Wilde Männer. Sie tragen Hörner mit Feuerwerkskörpern auf dem Kopf, die spektakulär zerplatzen. 

Schon im 17. Jahrhundert sind solche Spektakel in Berga belegt. Allerdings konnte man die Feuerteufel Jahrhunderte lang an einer Hand abzählen. Heute sind sie fast schon eine Massenplage. Aus Sicherheitsgründen ist ihre Zahl inzwischen auf gut 100 Höllenfürsten begrenzt.

Den Dämonen ganz nah

Schließlich haben die Dämonen und Ungeheuer ihren Feuerteppich gelegt, auf dem alle noch einmal im Kreis tanzen. Ganz langsam verzieht sich der Rauch in Bergas Nachthimmel. Stolz zeigt eine junge Dame die Löcher, welche die Teufel in ihr Hemd gebrannt haben. Auch der Kragen verrät, wie nah sie den Dämonen war. 

Dann lacht sie übers ganze Gesicht. „Ich bin der Hölle entronnen, jetzt aber geläutert und frei.“ Party ist nun angesagt, Tanz auf der Straße. „Wenn man einen Mann kennenlernen will“, ruft sie zum Abschied hinterher, „dann beim Patum oder nie.“

Günter Schenk