Alte Tradition lebt wieder auf

Zur Ausbildung in den Vatikan

Die ersten Unterrichtswochen sind bereits vorüber: 20 junge Frauen und Männer besuchen die neue Kunsthandwerkerschule der Fabbrica di San Pietro (vatikanische Dombauhütte). Sechs Monate lang leben sie im Vatikan und lernen dort von den Meistern ihres Fachs. Mit der kostenlosen Weiterbildung hat die Dombauhütte eine alte Tradition wieder ins Leben gerufen. 

Freude, Aufregung und der große Wunsch, aus der Geschichte zu lernen: Mit diesen Gefühlen begann im Januar für 20 junge Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt das erste Lehrjahr der Kunstgewerbeschule der Fabbrica di San Pietro. An der Instandhaltung des Petersdoms arbeitet die Dombauhütte jeden Tag. Der Kurs will aber nicht nur künftige Vatikan-Handwerkerinnen und -Handwerker ausbilden. 

Pater Francesco Occhetta, Generalsekretär der Stiftung Fratelli Tutti, die das Fortbildungsangebot fördert, erklärt: „Die Schule hat das Ziel, theoretisches Wissen, das man studieren muss, um die Geschichte, die Funktion von Materialien und die Entwicklung von Kunst und Architektur zu verstehen, mit einem theologischen Ansatz zu verbinden.“

Theorie und Praxis

Es gibt drei Kurse, die sich jeweils an Steinmetze und Marmorarbeiter, Stuckateure und Dekorateure sowie Zimmerleute richten. Das Ausbildungsangebot umfasst 200 Stunden theoretischen Unterricht, in dem auch theologische Themen behandelt werden, und 400 Stunden Praxis. „Die Mitarbeiter der Fabbrica di San Pietro werden ihr Wissen an die Studenten weitergeben“, sagt Pater Occhetta.

Für den Unterricht wurden eigens Räumlichkeiten neben dem Petersdom bereitgestellt. Die Teilnehmer sind zwischen 20 und 25 Jahre alt und kommen aus der ganzen Welt – „junge Menschen voller Leben“, so Occhetta. Viele sind selbst Kinder von Kunsthandwerkern. Sie seien sich der einmaligen Chance bewusst, die ihnen die Fab­brica di San Pietro biete. „Und sie freuen sich sehr, endlich loszulegen. Sie machen sich mit der für ihr Alter typischen Freude und Kraft auf den Weg“, fügt der Priester an. Die jungen Kunsthandwerker werden nun sechs Monate lang im Herzen des Vatikans leben.

Mit der Kunstgewerbeschule hat die Fabbrica di San Pietro unter dem Vorsitz von Kardinal Mauro Gambetti, dem Erzpriester des Petersdoms, eine Tradition aus dem 18. Jahrhundert wieder aufleben lassen: Schon damals gaben erfahrene  Handwerker der vatikanischen Basilika ihr Wissen an die Jugend weiter. Dieses Vorgehen der alten Werkstatt – eine Generation gibt Traditionen und Fertigkeiten an die nächste weiter – soll nun wiederhergestellt werden.

„So viele wie möglich“

Bei der Auswahl der Lehrer, fährt der Generalsekretär der Stiftung Fratelli Tutti fort, habe man sich dafür entschieden, „so viele wie möglich einzubeziehen, die in erster Linie über Kompetenzen verfügen und ihren Auftrag innerhalb der Fabbrica di San Pietro ausführen“. Man nennt sie auch „Sanpietrini“ – eine Anspielung auf die typischen Steine, die den Petersplatz zieren. Mehrere sehr gute „Sanpietrini“ hätten sich als Dozenten zur Verfügung gestellt. 

Darüber hinaus verfüge die Fab­brica di San Pietro über eigene Experten, etwa den Architekten Professor Pietro Zander, der für die Nekropole zuständig ist, oder Assunta Di Sante, die im Archiv arbeitet – Wissenschaftler, die sich bestens mit der Geschichte, Architektur und künstlerischen Ausstattung der Basilika auskennen, erklärt Pater Occhetta. Bei Bedarf würden sich auch Dozenten von italienischen und ausländischen Universitäten an der Durchführung der Kurse beteiligen.

Weltweites Angebot

Die Kunstgewerbeschule sei auch Ausdruck einer aufgeschlossenen Kirche, sagt der Priester: „So viel Wissen, das die Mitarbeiter des Vatikans im Laufe der Jahrhunderte angesammelt haben, wird nicht als geheimer Schatz gehütet, sondern jungen Menschen aus Italien, Peru, Deutschland und Weißrussland zugänglich gemacht.“ Kardinal Gambetti habe bei der Vorstellung dieser Ini­tiative ganz bewusst alle Nun­tien angeschrieben, um deutlich zu machen, dass die Schule für junge Menschen aus allen Ländern offenstehe, explizit auch Studenten aus den ärmsten Ländern dieser Welt.

Ganz in der Tradition vergangener Jahrhunderte ist die Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme kostenlos. Pater Occhetta erklärt: „Wir versuchen,  das Geschenk, das wir erhalten haben, dem Allgemeinwohl zur Verfügung zu stellen. Wir wollen jungen Menschen nicht nur handwerkliche oder intellek­tuelle Fähigkeiten vermitteln. Unser Wunsch ist es, mit ihnen eine denkende Gemeinschaft aufzubauen, eine Gemeinschaft, in der es um mehr geht als das ‚Füllen leerer Gefäße‘.“ Vielmehr stünden jene Werte im Vordergrund, die die jungen Leute für eine erfolgreiche Zukunft bräuchten – „qualifiziert dank einer Erfahrung, die man nur einmal im Leben an einem so wunderbaren Ort wie dem Petersdom machen kann“, sagt der Priester.

Berufliche Perspektive

Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie die beruflichen Möglichkeiten der Auszubildenden aussehen werden: Die Schule habe gerade erst begonnen und befinde sich in einer Versuchsphase, betont der Geistliche. „Sicherlich werden die Studenten mit dieser großartigen Erfahrung in die Arbeitswelt und auch in den Markt eintreten. Dann führt eines zum anderen!“ Und wenn sich manch ein Schüler besonders auszeichne, erklärt Pater Occhetta abschließend, „können wir nicht ausschließen, dass wir ihm vorschlagen werden, sich in Zukunft in den Dienst der Basilika zu stellen“.

Mario Galgano

03.02.2023 - Jugend , Kunstgeschichte , Vatikan