Ungewöhnliche Geste

Kardinal Woelki predigt schweigend

Mit einer ungewöhnlichen Geste hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki an die Opfer des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche erinnert und die Kirche zu Umkehr, Reue und Buße aufgerufen. „Damit wir nicht immer nur reden, werde ich die restlichen fünf Minuten meiner Predigt schweigen“, sagte er am Mittwochmorgen in einem Gottesdienst in Fulda. Anschließend wurde in mehreren Fürbitten für die Missbrauchsopfer und deren Angehörige gebetet und an das Versagen der Kirche erinnert.

Zu Beginn des Gottesdienstes hatte Woelki die katholische Kirche zu Umkehr und Buße aufgerufen. Die Erkenntnisse aus der Missbrauchsstudie hätten „Fassungslosigkeit und Schamesröte ins Gesicht getrieben“. Dass Vertreter der Kirche so etwas tun „und dass dies auch noch von der Institution Kirche so oft zugelassen wurde, macht fassungslos“. Weiter betonte der Kardinal: „Wir haben das Vertrauen missbraucht - von Jugendlichen und Kindern, von deren Eltern und Familien.“

Die katholischen Bischöfe setzen am heutigen Mittwoch ihre Beratungen bei der Herbstvollversammlung in Fulda fort. Nach der Vorstellung der Missbrauchsstudie gehen die Debatten über das Thema sexueller Missbrauch durch Geistliche weiter. Zum Abschluss der Tagung wollen die Bischöfe am Donnerstag erste Konsequenzen und weitere Schritte vorstellen.

Bei der Vorstellung der Studie am Dienstag hatten die Bischöfe um Entschuldigung gebeten und bekannt, man habe viel zu lange geleugnet, weggeschaut und vertuscht. Wissenschaftler, Politiker und Opferverbände forderten unter anderem eine Debatte über kirchliche Strukturen, die den Missbrauch begünstigen können.

Die Predigt im Wortlaut:

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder,

wenn ich am heutigen Tage vor der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zu den Texten der heutigen Lesungen predigen sollte, dann gäbe es da ein paar Fragen. Können wir alle wirklich von Herzen bekräftigen, was die Heilige Schrift uns heute im Buch der Sprüche sagt:

"Gib mir nicht Armut, nicht Reichtum! Lass mich essen mein zugemessenes Brot!"? Und tun wir wirklich, um das Reich Gottes zu verkünden, das, was Jesus uns im Lukasevangelium aufträgt: "Nehmt nichts mit auf den Weg, weder einen Stab noch eine Tasche, noch Brot, noch Geld".

Ich bin der Erzbischof von Köln. Ich habe einen Stab. Ich habe eine Tasche. Ich werde gleich gut frühstücken. Der Haushalt des Erzbistums Köln beläuft sich in 2018 auf rund 880 Millionen Euro. Gut, ich kann das alles erklären. Aber ich habe merkwürdigerweise auch Schwierigkeiten, den Menschen das Reich Gottes zu verkünden. Auch das kann ich natürlich erklären. Doch ich weiß nicht, ob all diese Erklärungen den Herrn am Jüngsten Tag überzeugen werden. Ich muss Buße tun.

Gestern hat der Vorsitzende unserer Bischofskonferenz, unser Mitbruder Reinhard Kardinal Marx, mit wirklich guten Worten im Namen von uns allen öffentlich unsere Beschämung über den Missbrauchsskandal zum Ausdruck gebracht. Ich fühle in diesen Stunden in besonderer Weise mit den Betroffenen. Und ich schäme mich für das, was durch uns auch als Kirche geschehen ist. Ich will nicht zum Mittäter werden durch Wegsehen, Vertuschen oder Bagatellisieren.

Fides heißt im Lateinischen nicht nur Glauben, sondern auch Vertrauen. Nicht nur die Bischöfe in den USA oder Australien oder Irland, sondern auch wir Bischöfe in Deutschland haben, dadurch, dass wir Gutes unterlassen und Böses getan haben, das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen, von deren Eltern, Freunden und Angehörigen, missbraucht. Dafür müssen wir all diese Menschen um Vergebung bitten und ihnen überzeugend versprechen, alles zu tun, damit das nicht wieder vorkommt.

Damit es aber nicht nur bei Worten bleibt, möchte ich die mir noch zustehenden fünf Minuten meiner Predigt schweigen, damit wir alle in dieser Zeit in uns gehen können und unsere Reue und unseren Vorsatz im demütigen Gebet vor Gott und vor das ganze Volk Gottes tragen können.

KNA

26.09.2018 - Bischöfe , Kirchenmusik