Urteil des Bundesgerichtshofs

Unterlassene Hilfeleistung bei Suizid nicht automatisch strafbar

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwei Ärzte aus Hamburg und Berlin freigesprochen, die kranke Menschen beim Suizid begleitet und Rettungsmaßnahmen unterlassen hatten. Das Gericht stärkte am Mittwoch in Leipzig zugleich das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die Suizid begehen. Ärzteorganisationen und Patientenschützer kritisierten das Urteil.

Der Vorsitzende Richter des fünften BGH-Strafsenats betonte, Ärzte müssten bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht gegen den Willen des Sterbenden zu Rettungsmaßnahmen greifen. In beiden Fällen seien weder das ärztliche Standesrecht noch die in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht in strafbarer Weise verletzt worden. „Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen ihrem Willen nicht geboten.“

Deutliche Kritik kam von der Bundesärztekammer und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. „Betont werden muss auch heute, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zählt“, erklärte Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt. Es wäre fatal, wenn in der Bevölkerung die Erwartung geweckt würde, es gäbe einen Anspruch auf ärztliche Assistenz beim Suizid. „Daher ist und bleibt es richtig, wenn Handlungen zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung strafbar sind.“

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, erklärte, das Urteil löse keine Probleme, sondern schaffe neue. Die ärztliche Berufsordnung stelle eindeutig klar, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürften. Ärzte müssen Sterbenden Beistand und Fürsorge leisten. „Sterbebegleitung kann und darf aber keine Hilfe zur Selbsttötung sein.“

Henke äußerte die Befürchtung, „dass eine schleichende Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids, wie sie im Urteil des BGH zum Ausdruck kommt, sehr problematische Signale in die Gesellschaft sendet. Wer alt und krank ist, darf nicht auf den Gedanken kommen, er würde anderen zur Last fallen, um dann den vermeintlichen Ausweg Suizid zu wählen.“

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz zeigte sich enttäuscht. „Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs macht überdeutlich, wie wichtig das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist“, sagte Vorstand Eugen Brysch mit Blick auf das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Überdies sei der Freispruch für den Berliner Hausarzt „unverständlich“, der seiner Patientin ein Suizidmittel überlassen hatte. „Tagelanges Ringen mit dem Tod, Hausbesuche zur Todesfeststellung und aktive medizinische Hilfestellung sind keine Sterbebegleitung oder palliative Therapie“, betonte Brysch.

Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ wertete das Urteil dagegen als „epochale Abkehr“ von früheren Entscheidungen des BGH. 1984 hatte das Gericht entschieden, dass der Sterbehelfer zur Lebensrettung verpflichtet ist, sobald der Suizident bewusstlos geworden ist. „Mit dieser unwürdigen Situation ist nun Schluss. Sterbehelfer dürfen künftig beim Sterbenden bleiben, weil dessen Sterbewunsch auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit beachtlich bleibt.“

KNA